Regie: Andreas Horvath
Original-Titel: Lillian
Erscheinungsjahr: 2019
Genre: Roadmovie, Drama
IMDB-Link: Lillian
Lillian (Patrycja Planik) möchte in New York Pornodarstellerin werden, aber ihr Visum ist abgelaufen und außerdem spricht sie kein Englisch. Der Produzent rät ihr, zurück nach Russland zu gehen – denn dort gäbe es Geld und Chancen für Mädchen wie sie. Das nimmt sie dann etwas zu wörtlich, denn sie macht sich zu Fuß auf den Weg von New York zur Beringstraße in Alaska, um dort nach Russland überzusetzen. Eine solche Geschichte hat sich tatsächlich zugetragen: In den 1920er ging Lillian Alling den ganzen Weg von der Ostküste bis nach Alaska. Ob sie Sibirien tatsächlich erreichte, ist nicht klar – am Yukon verlor sich ihre Spur. Diese irre Geschichte übertrug Andreas Horvath in die heutige Zeit. Die Geschichte von Lillian bekommt dadurch interessante Ebenen hinzugefügt, an denen Horvath mehr interessiert ist als an Lillian selbst: Zum Einen wird aufgeworfen, wie anachronistisch diese natürliche Art der Fortbewegung heutzutage gilt. So wird Lillian beispielsweise unterwegs von einem Sheriff aufgegriffen, da es einfach nicht sein kann, dass eine junge Frau meilenweit einen Highway entlang geht. (Diese kurze Episode mit dem Sheriff überrascht im Übrigen dadurch, dass sämtliche Klischees, die zu erwarten wären, aufgegriffen und gleichzeitig unterwandert werden.) Eine weitere zusätzliche Ebene ist ein Blick auf die USA von heute, auf die Menschen abseits der großen Städte. Andreas Horvath macht hierbei nicht viel mehr, als die Kamera auf Gesichter zu halten und im Hintergrund Radiosprecher das Wetter und andere alltägliche Dinge kommentieren zu lassen. Durch diese respektvollen Porträts kommt man den Menschen, die gezeigt werden, vielleicht nicht unbedingt näher, aber man entwickelt eine Art von Verständnis dafür, woher sie kommen und was sie formt. Ein gelungener Kunstgriff ist es, Lillian den ganzen Film über schweigen zu lassen. Dadurch wird sie zur reinen Projektionsfläche, und die Interaktionen mit ihr (gefilmt in einem semidokumentarischen Ansatz mit Personen, die man unterwegs getroffen hat) werden zu einer Spiegelung. Patrycja Planik hat dabei die Mammutaufgabe zu bewältigen, den ganzen Film mit ihrer Mimik tragen zu müssen. Doch diese Aufgabe meistert sie bravourös. Jede ihrer Bewegungen ist interessant und signifikant. Man sieht hier eine beharrliche, trotzige Frau, die dem Leben den Mittelfinger zeigt und wortwörtlich ihren eigenen Weg geht. Und dieser führt sie durch atemberaubend schöne Landschaften, die allein es schon wert sind, den Film zu sehen. Allerdings braucht man schon gehörig Sitzfleisch für „Lillian“. Es passiert nicht viel mehr als dass eine Frau durch größtenteils einsame Landschaften geht. Und das zieht sich bei einer Laufzeit von deutlich über zwei Stunden zuweilen schon recht hin.
7,0
von 10 Kürbissen
(Foto: Stadtkino Filmverleih)