Hach, die Oscars. Der renommierteste Filmpreis der Welt. Wenngleich auch nicht der künstlerisch relevanteste. Wie jedes Jahr werde ich mir das Spektakel live im Kino geben, werde mich über unerwartete, aber verdiente Außenseiter-Siege freuen, die meiste Zeit aber über schimpfen und die Vorhersehbarkeit der meisten Entscheidungen bedauern. Im Gegensatz zu früheren Jahren fehlen mir tatsächlich einige Filmsichtungen, allen voran „Ford V Ferrari“, immerhin 4fach nominiert. Und „Little Women“ gibt es als traditionellen Vor-Oscar-Film am Sonntag um 11 Uhr nachts. Verzeiht bitte, wenn sich vor der Oscar-Verleihung dazu keine Review mehr ausgeht.
Aber wer sind nun die Favoriten, wer wird meiner Meinung nach gewinnen und wer sollte stattdessen gewinnen? Hier eine kurze Einschätzung zu den Kategorien Bester Film, Beste Regie und die vier Darsteller-Kategorien. Es gäbe noch viel mehr zu erzählen, noch viel mehr spannende Kategorien, aber so viel Text möchte ich euch dann doch nicht aufbürden. Seht euch einfach selbst die Filme und die Verleihung an. Ein bisschen Zeit habt ihr ja noch.
Bester Film
Keine Frage, der Sieg führt hier nur über 1917. Parasite und Once Upon A Time … in Hollywood könnten Sam Mendes als aussichtsreichste Herausforderer noch die Party versauen, zwei frühe Favoriten, die mittlerweile nur noch als gefährliche Außenseiter ins Rennen gehen, sind zudem The Irishman und Joker, aber ich denke nicht, dass es reichen wird. „1917“ scheint nach den letzten Preisverleihungen eine sichere Bank zu sein. Generell kann ich aber festhalten, dass dieser Jahrgang verdammt stark ist. Von den 7 Filmen, die ich bislang gesehen habe, wurde The Irishman mit immer noch sehr guten 7,5 Kürbissen von mir am schlechtesten bewertet.
Auf wen würde ich wetten? 1917. Ein technisches Meisterwerk, das auch dramaturgisch punkten kann.
Wen würde ich auszeichnen? Joker. Oft wird er auf Joaquin Phoenix‘ Leistung reduziert, aber der Film funktioniert als zeitgemäße Kritik an einer mitleidlosen Neid- und Spaßgesellschaft auch für sich.
Und was wäre meine sentimentale Wahl? JoJo Rabbit. Ein wunderbar ambivalenter Film, der moralische Überzeugungen auf den Prüfstand stellt, und Humor wie Schrecken gleichermaßen zulässt.
Und wer fehlt (mir) am meisten? The Last Black Man in San Francisco. Ein Film des Jahres für mich, ein Regiedebüt mit so viel Seele und gleichzeitig virtuoser Inszenierung, dass man nur Beifall klatschen kann.
Beste Regie
Lassen wir die (wohl berechtigte) Aufregung rund um Greta Gerwigs Nicht-Nominierung beiseite, zu der ich noch nichts sagen kann, da ich „Little Women“ erst am Sonntag sehen werde. Es gibt aber darüber hinaus eh genug zu diskutieren in dieser hart umkämpften Kategorie. Lange Zeit hat es so ausgesehen, als wäre Scorsese der Frontrunner. Das Blatt hat sich mittlerweile gewendet. Das Duell dürfte Sam Mendes vs. Quentin Tarantino lauten. Tatsächlich aber ist das eine Kategorie, in der man den Oscar einfach gerecht durch fünf teilen sollte, und jeder geht mit einem Arm oder einem Bein des Goldmannes nach Hause, und Tarantino darf von mir aus den (blutigen) Kopf haben.
Auf wen würde ich wetten? Sam Mendes für 1917. Er wurde in den vergangenen Preisverleihungen dann doch etwas öfter ausgezeichnet als die Kollegen.
Wen würde ich auszeichnen? Ebenfalls Sam Mendes. Der Aufwand, der für diesen Film betrieben wurde, ist enorm – und hier die Fäden fest in der Hand zu halten, ist eine Meisterleistung.
Und was wäre meine sentimentale Wahl? Martin Scorsese für The Irishman. Das mag überraschen, weil ich den Film zwar gut fand, aber nicht so abgefeiert habe, aber ich würde es dem Altmeister sehr gönnen, seine Oscar-Anzahl zu verdoppeln. Denn eigentlich sollte er ohnehin schon viel mehr davon zuhause stehen haben.
Und wer fehlt (mir) am meisten? Taika Waititi für JoJo Rabbit. Die Nominierung (und Favoritenstellung) für das beste Drehbuch ist nur eine schwache Entschädigung angesichts dieser couragierten und aberwitzigen Regie-Leistung.
Beste Hauptdarstellerin
Ich muss gleich gestehen, dass ich bislang nur Judy und Marriage Story gesehen habe, also nur zwei von fünf Nominierten. Tatsächlich ein großes Versäumnis, aber was will man machen, wenn die Filme bei uns so spät starten? Beide Leistungen – sowohl von Scarlett Johansson als auch von Renée Zellweger – waren aber überragend, und es scheint ausgemacht zu sein, dass eine von beiden das Goldmännchen mit nach Hause nehmen darf.
Auf wen würde ich wetten? Renée Zellweger für Judy. Der Oscar scheint eine klare Sache zu sein. Ihre Leistung war grandios. Und Hollywood liebt Filme über seine Stars.
Wen würde ich auszeichnen? Scarlett Johansson für Marriage Story. Ja, Zellweger war toll, aber sie hatte ein reales Vorbild, an dem sie sich orientieren konnte. Wie Johansson aber ihre fiktive Nicole erschaffen hat, fand ich persönlich noch eindrucksvoller.
Und was wäre meine sentimentale Wahl? Ebenfalls Scarlett Johansson. Sie hat eine Reihe von großen Rollen vorzuweisen und glänzt eigentlich immer. Eine für mich immer noch unterschätzte Schauspielerin. Saoirse Ronan könnte sie als sentimentale Favoritin aber noch abfangen – denn die ist trotz ihrer junge 25 Lenze auch längst überfällig für einen Oscar.
Und wer fehlt (mir) am meisten? Beanie Feldstein für Booksmart. Ihr natürliches, sympathisches Spiel eines Nerd-Mädchens, das emotional überfordert Party machen möchte, war ganz, ganz groß.
Bester Hauptdarsteller
Hier gibt es etwas zu entscheiden? Hier ist doch schon seit Monaten längst alles entschieden. Vier Nominierte sind Staffage, damit es nicht ganz so blöd aussieht, wenn Joaquin Phoenix seinen ersten (!) Oscar entgegennimmt.
Auf wen würde ich wetten? Joaquin Phoenix für Joker. Und ich würde damit kaum Geld verdienen.
Wen würde ich auszeichnen? Joaquin Phoenix. Er hat für mich das Schauspiel noch mal auf eine neue Ebene gehoben. Seine Leistung ist etwas, was man sich an Filmschulen künftig standardmäßig anschauen wird.
Und was wäre meine sentimentale Wahl? Jonathan Pryce für The Two Popes. Ein durch und durch seelenvolles Spiel eines Darstellers, der mich immer wieder begeistert und immer noch viel zu wenig beachtet wird.
Und wer fehlt (mir) am meisten? Robert Pattinson für The Lighthouse. Ja, richtig gelesen. Pattinson. Der Robert Pattinson. Aber was soll man machen? Seine Leistung war einfach grandios; sehr physisch, sehr präsent, trotzdem lakonisch und auf dem Punkt.
Beste Nebendarstellerin
Auch hier: Bislang nur zwei Darstellungen gesehen, nämlich jene von Scarlett Johansson für JoJo Rabbit und Laura Dern für Marriage Story. Aber auch hier scheint der Bär schon erlegt und das Fell zerteilt zu sein. Prognose: Ein Film wird hier seinen einzigen Oscar holen. Wie so oft in den Nebendarsteller/innen-Kategorien.
Auf wen würde ich wetten? Laura Dern für Marriage Story. Sie ist bei den Buchmachern ganz hoch im Kurs, und ich kann es den Bookies nicht verdenken. Ihre Leistung war toll – wie einfach alle darstellerischen Leistungen in diesem Film.
Wen würde ich auszeichnen? Ebenfalls Laura Dern. Auch wenn es für mich eine knappe Kiste ist zwischen Laura Dern und Scarlett Johansson.
Und was wäre meine sentimentale Wahl? Scarlett Johansson für JoJo Rabbit. Allein schon für ihren sexy deutschen Akzent. Aber auch, weil die Frau – siehe oben – einen Oscar längst verdient hat.
Und wer fehlt (mir) am meisten? Adèle Haenel für Porträt einer jungen Frau in Flammen. Schade, dass es herausragende Leistungen in kleineren europäischen Produktionen über dem Teich meistens schwer haben. Verdient wäre eine Nominerung von Haenel jedenfalls – und das wäre schon öfter der Fall gewesen. Eine tolle Schauspielerin.
Bester Nebendarsteller
Weil sich Joe Pesci und Al Pacino für The Irishman wohl gegenseitig Stimmen wegnehmen, ist der Weg frei für Brad Pitt. Manche unken, dass er für seine Darstellung des lakonischen Stuntmans in Once Upon a Time … in Hollywood eher für seine bisherige Lifetime Achievement ausgezeichnet werden würde, aber ich sehe das nicht so. Er war das Highlight des Films. Es gäbe weitaus schlechtere Wahlen als ihn. Aber auch eine bessere.
Auf wen würde ich wetten? Brad Pitt für Once Upon a Time … in Hollywood. Dass Brad Pitt ein großartiger Schauspieler ist, weiß man schon länger. Und nun scheint es an der Zeit zu sein, dass dies auch mit großem Trara gewürdigt wird – in Form eines Oscars.
Wen würde ich auszeichnen? Joe Pesci für The Irishman. So gut Brad Pitt auch war (und ich liebe seine Darstellung), aber Joe Pesci war für mich noch mal einen Hauch besser.
Und was wäre meine sentimentale Wahl? Anthony Hopkins für The Two Popes. Wer Papst Benedikt XVI. humanistisch erscheinen lassen kann, hat jeden Preis der Welt verdient.
Und wer fehlt (mir) am meisten? Willem Dafoe für The Lighthouse. Was für eine arge, uneitle Darstellung! Dafoe ist einer der Größten, nur schade, dass offenbar zu wenige Jury-Mitglieder den Film gesehen haben.
Und wie seht ihr das? Was sind eure Favoriten, wer fehlt euch unter den Nominierten?
Aus gegebenem Anlass : die beste Oscar-einlage EVER mit seinem Kumpel Burt :
KIRK FOREWA !
103 Bemmerln – des is ka Schaas
oba no long nix firn Douglas.
Einar, Dax und Spartacus
20.000 Meilen mit da Nautilus.
Einsom san die, wos si wos traun
und an Briaf schreibn an drei Fraun.
Und wenns Liacht am End da Wöt
finsta wiad durch a Keulerei,
braucht er ka Handvoi Göd
sundan a poa Tog im Mai.
A echta Teifelsschüla im Pinsl schwinga
konn er si do net söbst umbringa,
fliagt irgendwonn in seina Enterprise
und habert am Saturn a Eierspeis.
Weu ans waaß i gonz gewiss
dass unsa Kirk a Käptn is !
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Wow! Endlich mal jemand, der in weiten Teilen meine Voraussagen, Einschätzungen und vor allem Liebe zu „Joker“ und „JoJo Rabbit“ teilt. Auch wenn ich mich über den Sieg von „Parasite“ freue und „1917“ allzu sehr als Oscar Bait angelegt und im Genre eher Mittelmäßig (und nicht im Mindesten mit Dunkirk zu vergleichen) fand. Hier muss ich jetzt in Zukunft wohl dauerlesen …
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Ich freue mich sehr über deinen Kommentar, vielen Dank! :-) Und noch mehr aufs zukünftige Mitlesen und den weiteren Austausch über die weite Welt der Filme.
Bin übrigens auch der Meinung, dass „Dunkirk“ der bessere Film war. Für mich ist er sogar die aktuelle Referenz schlechthin in Sachen Kriegsfilm. Dennoch fand ich „1917“ auch sehr gut gemacht und spannend inszeniert.
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