Politfilm

Wag the Dog – Wenn der Schwanz mit dem Hund wedelt (1997)

Regie: Barry Levinson
Original-Titel: Wag the Dog
Erscheinungsjahr: 1997
Genre: Satire, Politfilm
IMDB-Link: Wag the Dog


Der Anlass für diesen Re-Watch ist ein trauriger, denn vor wenigen Tagen schied die talentierte Schauspielerin Anne Heche nach einem von ihr verursachten Unfall aus dem Leben. „Wag the Dog“ von Barry Levinson ist in meinen Augen der beste Film, in dem sie je mitgewirkt hat. Und auch unabhängig von ihrem tragischen Tod sollte man dieser Tage mal wieder einen genaueren Blick auf diesen machen. Was Barry Levinson und die Autoren Mitte der 90er-Jahre vorweggenommen haben, ist nicht weniger als die politische Realität unserer Zeit, in der bei Bekanntwerden schlechter Nachrichten prominente Kettenhunde der Parteien ausziehen, um möglichst effektive Nebelgranate zu zünden, die von dem eigentlichen Problem ablenken. Das ist gelebte Praxis, und wir in Österreich sitzen diesbezüglich leider erste Reihe fußfrei, um diesen ganzen Scheiß mitanzusehen. Diese Praxis noch gewürzt mit Fake News, und wir haben die politische Unkultur unserer Zeit auf den Punkt gebracht. „Wag the Dog“ war bei seinem Erscheinen vor 25 Jahren noch eine bitterböse Satire. Heute könnte der Film fast schon als Lehrstück über die politische Realität durchgehen. Der Inhalt: Da der Präsident der Vereinigten Staaten nicht einmal zwei Wochen vor der möglichen Wiederwahl über ein Schulmädchen stolpert, muss besagte Nebelgranate her. Auftritt Conny Brean (Robert De Niro), der als Troubleshooter für Ablenkung sorgen soll. Zusammen mit der Beraterin des Präsidenten, Winifred Ames (Anne Heche), und dem preisgekrönten Hollywood-Produzenten Stanley Motss (Dustin Hoffman) inszeniert er nicht weniger als einen fiktiven Krieg gegen Albanien. Der Zynismus trieft hier aus allen Poren. Jedes Mittel ist recht in der Politik und in Hollywood, um ans Ziel zu gelangen. Ob das Ziel erstrebenswert oder zumindest moralisch in Ordnung ist, fragt hier niemand. Bezeichnend, dass Motss gegen Abschluss der Fake News-Kampagne von der besten Arbeit seines Lebens spricht. Damals, als ich den Film zum ersten Mal vor etwa zwanzig Jahren sah, fand ich ihn grandios. Heute halte ich ihn – mit Schaudern – für prophetisch.


8,5 Kürbisse

(Bildzitat: © 1997 New Line Cinema, Quelle http://www.imdb.com)

Argo (2012)

Regie: Ben Affleck
Original-Titel: Argo
Erscheinungsjahr: 2012
Genre: Drama, Historienfilm, Thriller
IMDB-Link: Argo


Oscar-Verleihung 2013. Das war jene Preisverleihung, als Jennifer Lawrence der grandiosen Emmanuelle Riva den Oscar wegschnappte, Haneke aber immerhin bei fünf Nominierungen, darunter für die beste Regie, das beste Drehbuch und den besten Film, den Hauptpreis für den besten fremdsprachigen Film nach Hause nehmen konnte, sich jedermann und jedefrau fragte, wie es passieren konnte, dass Ben Affleck nicht für die beste Regie nominiert war und am Ende doch „Argo“ als bester Film triumphierte. Die besten Geschichten schreibt das Leben – und wenn eine solche Geschichte auch noch so gekonnt und spannend inszeniert wird wie „Argo“ von Ben Affleck, dann passt das schon mit dem großen Hauptpreis für diesen Politthriller. Die Geschichte: 1979 strandeten nach der Islamischen Revolution im Iran einige US-amerikanische Botschaftsangehörige in der Botschaft von Kanada, wo sie versteckt gehalten wurden. Alle anderen Botschaftsmitarbeiter:innen wurden vom Iran als Geiseln gehalten. Die Frage war nun, wie kriegt man die in der kanadischen Botschaft Versteckten aus dem Land, ohne dass sie als Botschaftsangehörige enttarnt werden, denn das hätte eine sofortige weitere Geiselnahme oder noch Schlimmeres für die Betroffenen zur Folge gehabt. Dem von Affleck gespielte CIA-Mitarbeiter Tony Mendez kommt schließlich die zündende Idee: Die Amerikaner sollen sich als Produzenten eines Hollywood-Films auf Location-Suche ausgeben. Und damit die misstrauischen Iraner auch wirklich keinen Verdacht schöpfen, muss der fiktive Film so authentisch wie möglich wirken. Was nach einer absurden Verwechslungskomödie klingt, wurde von Affleck als rasiermesserscharfer und realistischer Thriller realisiert. Das Tempo ist gemächlich, doch gerade dadurch baut sich die Spannung auf bis zum großen Finale. „Argo“ ist ein weiterer Beweis dafür, dass Affleck seine persönlichen Höchstleistungen vielleicht nicht als Mime erreicht, sehr wohl aber als Regisseur mit einem guten Gespür für Spannungsaufbau und realitätsnahe Inszenierungen.


7,5 Kürbisse

(Bildzitat: Foto von Courtesy Warner Bros. Entertainment – © 2012 Warner Bros. Entertainment Inc, Quelle http://www.imdb.com)

In gewisser Hinsicht (1977)

Regie: Sara Gómez
Original-Titel: De cierta manera
Erscheinungsjahr: 1977
Genre: Drama, Politfilm
IMDB-Link: De cierta manera


Filme können Arbeit sein. Und Arbeit kann Inhalt des Films sein. Beides trifft sich in „De Cierta Manera“, der einzige Langfilm der früh verstorbenen kubanischen Filmmacherin Sara Gómez aus den Jahren 1974-1977. Ihr Film spielt kurz nach der Revolution 1959. In einem arg didaktischen Ansatz erzählen eine männliche und eine weibliche Stimme aus dem Off von gesellschaftlichen Entwicklungen in den Schichten der Ärmsten, während sich auf einer fiktionalisierten Ebene die Liebesgeschichte zwischen Mario, einem Arbeiter und Macho, und der Lehrerin Yolanda entspinnt – mit allen Höhen und Tiefen. Die Ideale der Revolution ziehen sich auch in den privatesten Bereich hinein, das Fiktive vermischt sich mit dem Dokumentarischen, die Bilder schwanken zwischen intimer Vertrautheit und abstrakten Bildern von Abrissbirnen, die sich durch die Elendsviertel von Havanna fräsen. Ich muss zugeben: Mehr als einmal hat mich der Film gedanklich verloren, obgleich er nicht zu später Stunde, sondern an einem lauen Nachmittag gelaufen ist. Das Problem – für mich – ist eben dieser didaktische Aufbau, der kaum Nähe zu den Figuren zulässt. Auch springt Gómez arg hin und her, möchte alles, möchte ganz Kuba in einen Film packen und verliert den Zuseher dabei auf dem Weg. So bleiben einige sehr schöne Szenen, aber der Film fügt sich nicht zu einem stimmigen Ganzen zusammen. Man kann durchaus die Ambition würdigen, filmhistorisch ist das alles auch recht interessant und ein gefundenes Fressen für alle Filmstudenten dieser Welt, noch mal werde ich mir den Film allerdings nicht ansehen.


4,5 Kürbisse

(Foto: (c) ICAIC / Viennale)

The Ides of March – Tage des Verrats (2011)

Regie: George Clooney
Original-Titel: The Ides of March
Erscheinungsjahr: 2011
Genre: Thriller, Politfilm, Drama
IMDB-Link: The Ides of March


Es gibt ein paar Berufe, die wären nichts für den Filmkürbis eures Vertrauens. Lobbyist zum Beispiel. Oder Strafverteidiger. Oder auch Wahlkampfmanager. Alles Berufe, für die man zumindest eine dehnbare Ausprägung an Moralvorstellungen mitbringen muss, ansonsten zerfrisst einem das eigene Tun die Seele. Der junge Stephen Meyers (Ryan Gosling) erfährt dies so nach und nach in George Clooneys „The Ides of March – Tage des Verrats“. Darin spielt er einen Wahlkampfmanager für den von Clooney selbst gespielten demokratischen Präsidentschaftskandidaten Mike Morris. Und auch wenn es sich erst noch um die Vorwahlen der Demokraten handelt, so muss Meyers bald feststellen, dass auch hier schon mit allen Mitteln, auch schmutzigen, gespielt wird. So wird er vom Wahlkampfmanager (Paul Giamatti) des ersten Herausforderers kontaktiert, der das junge politische Talent kurzerhand abwerben möchte. Das gefällt Meyers Boss Paul Zara (der selige Philip Seymour Hoffman einmal mehr mit einer überzeugenden Darstellung) nicht sonderlich, und die Kaskade der Ereignisse führt zu einem politischen Katz-und-Maus-Spiel, bei dem am Ende keiner mehr weiß, an welcher Stufe der Nahrungskette er steht. „The Ides of March – Tage des Verrats“ ist ein spannender Beitrag zur Perversion politischer Wahlen und deren Beeinflussbarkeit durch die Steuerung der Medienlandschaft. Dass die Realität die Fiktion mal mit Karacho rechts überholen würde durch die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten, hätte damals, als „The Ides of March“ gedreht wurde, wohl auch niemand gedacht. Insofern ist das Bild, das George Clooney in seinem Film vermittelt, erschreckend akkurat. Dieser Film wird in den kommenden Jahren wohl nichts von seiner Relevanz einbüßen. Leider.


7,5 Kürbisse

(Bildzitat: Photo by Saeed Adyani – © 2011 IDES FILM HOLDINGS, LLC., Quelle http://www.imdb.com)

Death to 2020 (2020)

Regie: Charlie Brooker
Original-Titel: Death to 2020
Erscheinungsjahr: 2020
Genre: Satire, Politfilm
IMDB-Link: Death to 2020


Ein bisserl Masel hatten die Macher von „Black Mirror“ mit ihrem Jahresrückblick „Death to 2020“ ja schon. Veröffentlicht am 27. Dezember auf Netflix gingen sie frech davon aus, dass in den letzten Tagen des Jahres nichts mehr passieren würde, was in ihrem voreilig veröffentlichten Film sonst fehlen würde. Immerhin hielten sich in den USA die Anhänger des orangenen Proud Boy-Knallkopfs an den Zeitplan und stürmten das Kapitol erst im Jänner. Und so greift „Death to 2020“ im Schnelldurchlauf dann doch alle wichtigen Themen des vergangenen Jahres auf. Schon nach den ersten fünf Minuten wird einem noch einmal so richtig bewusst, was für eine absolute Shitshow auf politischer und gesellschaftlicher Ebene 2020 tatsächlich war. Vieles hat man ja zwischenzeitlich schon erfolgreich verdrängt. Danke, Charlie Brooker, dass du uns den ganzen Mist noch mal nach oben spülst! Waldbrände in Kalifornien, Buschbrände in Australien, Brexit-Chaos, Kettengerassel zwischen Iran und den USA nach der Ermordung von Soleimani, nicht erwähnt, aber durch die Nachrecherche zu dieser Kritik wieder ins Bewusstsein geholt: der Großbrand des Affenhauses in Krefeld, der Terroranschlag in Hanau – und das alles, bevor die erste Fledermaussuppe serviert wurde. Und dann eben dieser wunderschöne Rückfall ins Mittelalter: Eine weltweite Seuche, fundamentalistische Verschwörungstheoretiker, die Wissenschaftler als Ketzer und Häretiker mit Mistgabeln aufspießen wollen, und die Gesandten Gottes in Form der ÖVP-Spitze unter Oberapostel Sobotka, die zum gemeinsamen Gebet ins Parlament laden. Und da soll noch mal einer behaupten, Zeitreisen wären heutzutage noch nicht möglich. Letzteres sparen Charlie Brooker und sein Team gnädigerweise aus, aber Österreich ist nicht der Nabel der Welt, und mit der Aufarbeitung der Fehltritte von Johnson, Bolsonaro und Trump sind die Macher des Films eh gut beschäftigt. Dabei bekommt Brooker tatkräftige Unterstützung aus Hollywood: Samuel L. Jackson als Journalist, Hugh Grant als konservativer Historiker, Lisa Kudrow als dauerlügende Pressetante des Weißen Hauses sind da nur die Speerspitze, Grant und Kudrow dabei die parodistischen Highlights, wenn man von Trump absieht, der selbst seine eigene bestmögliche Parodie abgibt. Das Erschreckende an dem Film ist aber, dass all das, was hier humorvoll aufgearbeitet wird, auch wirklich passiert ist. Da bleibt einem so manches Lachen im Hals stecken. Ein wenig mehr Drive hätte ich mir an der einen oder anderen Stelle gewünscht, auch sind manche Kommentare zum Weltgeschehen noch immer viel zu zahm – mir wären da noch deutlichere Worte eingefallen. Man hätte den Pegel also durchaus noch etwas nach oben drehen können. 2020 hätte es verdient. Hoffen wir mal, dass es keine Fortsetzung „Death to 2021“ braucht, um diese Empfehlung noch umzusetzen.


6,0
von 10 Kürbissen

(Bildzitat: © 2020 Netflix, Inc., Quelle http://www.imdb.com)

Vergiftete Wahrheit (2019)

Regie: Todd Haynes
Original-Titel: Dark Waters
Erscheinungsjahr: 2019
Genre: Drama, Politfilm, Biopic
IMDB-Link: Dark Waters


Einsamer Anwalt kämpft für das Gute gegen böse, gesichtslose Multikonzerne, die alles tun, um eine unbequeme Wahrheit zu verschleiern. Man kann nicht sagen, dass Todd Haynes‘ Justizfilm neue Pfade betritt oder das Genre gar neu erfindet. Aber wozu auch? Der Inhalt ist brisant genug und basiert noch dazu auf wahren Ereignissen. Ein einzelner Anwalt, der vormals für die größten Chemiekonzerne arbeitete, bekämpft nach Bekanntwerden eines massiven Umwelt- und Gesundheitsskandals zwei Jahrzehnte lang den Chemieriesen DuPont und zwingt durch Beharrlichkeit und leidenschaftlicher Arbeit diesen schließlich in die Knie. Diesen Robert Bilott, von Mark Ruffalo ausgezeichnet gespielt, gibt es wirklich, und ihm ist es zu verdanken, dass zigtausende Geschädigte mittlerweile eine Gesamtentschädigung in Höhe von über 600 Millionen US-Dollar von DuPont ausbezahlt bekommen haben. Ausgangspunkt ist ein Farmer in West Virginia, der vermutet, dass die Erkrankung seiner Kühe etwas mit der Abfallentsorgung der Chemiefabrik in der Nachbarschaft zu tun haben könnte. Todd Haynes zeichnet den langen Weg bis zu den ersten Erfolgen im Kampf gegen das Unrecht sehr unaufgeregt und präzise nach. Er kann sich dabei auf einen großartigen Cast verlassen, der von Mark Ruffalo angeführt wird, aber nicht bei diesem endet. Vor allem Tim Robbins als Chef der Anwaltskanzlei von Robert Bilott zeigt eine seiner besten Leistungen überhaupt. Und auch der Rest der Besetzung kann glänzen, wenngleich diese insgesamt etwas zu kurz kommt – vor allem Anne Hathaway als Bilotts Ehefrau, die dafür sorgen muss, dass der Haushalt funktioniert, wenn sich ihr Mann wieder zu sehr in den Fall verbeißt. Unterm Strich ist „Dark Waters“ ein gerader, ehrlicher Film ohne Schnörkel, der eine komplizierte Geschichte einfach verständlich erzählt, ohne Effekthascherei zu betreiben. Und gerade dadurch bekommt das Thema des Films die Dringlichkeit, die es braucht.


7,0
von 10 Kürbissen

(Bildzitat: Quelle imdb.com)

Die perfekte Kandidatin (2019)

Regie: Haifaa Al Mansour
Original-Titel: The Perfect Candidate
Erscheinungsjahr: 2019
Genre: Komödie, Politfilm
IMDB-Link: The Perfect Candidate


Es braucht halt Frauenpower. Das Mädchen Wadjda war 2012 der erste abendfüllende Kinofilm Saudi-Arabiens und konnte gleich ein weltweites Publikum überzeugen. Gedreht wurde er von Haifaa Al Mansour, die nun mit „Die perfekte Kandidatin“ ihren dritten Spielfilm vorlegt. Und wieder geht es um eine selbstbewusste junge Frau, die zwar mit den starren Grenzen, die ihr das islamische Regime vorgibt, zurecht kommen muss, die aber innerhalb dieser Begrenzungen versucht, ihr eigenes Leben und das Leben anderer zu verbessern. Die junge Ärztin Maryam (Mila Al Zahrani) arbeitet im lokalen Krankenhaus und sehnt sich angesichts der dort prekären Umstände (so gibt es beispielsweise nicht einmal eine asphaltierte Zufahrtsstraße zur Klinik) nach einem besseren Job in Riad. Eher durch Zufall wird sie jedoch plötzlich als Kandidatin für den Gemeinderat aufgestellt – und statt Jobinterviews hält sie nun Wahlkampfreden. Zur Seite stehen ihr ihre beiden Schwestern, während der Vater, ein Musiker, mit seiner Band gerade auf Tour durchs Land tingelt – eine einmalige Chance für ihn, der bislang sein Leben lang auf Feiern spielen musste. Und schon bald zeigt sich, dass die Kandidatin, die anfangs nur milde belächelt wird, die Menschen auch tatsächlich erreichen kann – wenngleich zu Beginn auch nur die Frauen. „Die perfekte Kandidatin“ begeht nicht den Fehler, die Geschichte zu märchenhaft zu erzählen, sondern zeigt vielmehr auf subtile Weise die starren gesellschaftlichen Regeln Saudi-Arabiens auf. Für den westeuropäischen Zuseher scheinen viele Szenen komplett absurd zu sein, geben aber die Lebensrealität der Bevölkerung wider. Spannend daran ist die Selbstverständlichkeit, mit der diese Regeln mitgetragen werden bei gleichzeitigem Erkennen ihrer Absurdität. Allein dieses Spannungsfeld hat im Anschluss an den Film bei zwei Gläsern Wein für mindestens eine Stunde angeregter Diskussion gesorgt. Gleichzeitig stellt sich die Frage, wie dieser kritische Blick auf die Gesellschaft wohl in Saudi-Arabien selbst aufgenommen wird. Allein deshalb schon ist „Die perfekte Kandidatin“ ein gelungener und relevanter Film. Darüber hinaus erzählt er mit qualitativ hochwertigen Mitteln eine interessante (Familien-)Geschichte. Für den ersten Kinobesuch eines neuen Films nach dem Lockdown gerade die richtige Wahl.


7,0
von 10 Kürbissen

(Foto: Filmladen Filmverleih)

Die Berufung – Ihr Kampf für Gerechtigkeit (2018)

Regie: Mimi Leder
Original-Titel: On the Basis of Sex
Erscheinungsjahr: 2018
Genre: Biopic, Drama, Politfilm
IMDB-Link: On the Basis of Sex


Vor Ruth Bader Ginsburg, die mit hartnäckiger Arbeit das ganze System ausgehebelt hat, das gesetzlich Frauen in den USA benachteiligt hat, und die es später sogar bis an den Supreme Court geschafft hat, ist fraglos eine eindrucksvolle Frau. Wer sich davon in Live-Bildern überzeugen möchte, dem lege ich sehr die Dokumentation RBG ans Herz. Fast zeitgleich mit dem dokumentarischen Porträt dieser außergewöhnlichen Dame erschien 2018 das Biopic „On the Basis of Sex“ von Mimi Leder mit Felicity Jones in der Hauptrolle. Darin geht es um den bedeutenden Fall aus den 70ern, als Bader Ginsburg einen Mann vor Gericht vertrat, der aufgrund seiner Geschlechtszugehörigkeit diskriminiert wurde – als es um den steuerlichen Abzug von Pflegegeld ging. So unscheinbar dieser Fall auch scheint, er war letztlich jener Stein, der die Abschaffung von Diskriminierung nach Geschlechtern ins Rollen gebracht hat. Und natürlich ist ein solcher Stoff ein dankbares Sujet, um ein flammendes Plädoyer für Gleichberechtigung zu halten, das in unserer heutigen Zeit immer noch notwendig erscheint. Insofern kann man dem Film nicht abstreiten, relevant zu sein. Leider ist die Umsetzung nur mäßig gelungen. Zu sehr folgt Mimi Leder den ausgetretenen Pfaden des Biopics und arbeitet brav Kapitel für Kapitel bis zum entscheidenden Punkt, nämlich der Urteilsverkündung, ab und folgt der Blaupause für biographische Filme bis auf den kleinsten Punkt. Das heißt nicht, dass der Film nicht unterhaltsam sein kann – eine mit Herz spielende Felicity Jones, ein gut aufgelegter Armie Hammer als Ehemann und Staranwalt im Steuerrecht sowie die inhaltliche Brisanz des Films an sich reichen aus, um über die volle Spielzeit von 2 Stunden gern dabei zu bleiben, aber leider gehört „On the Basis of Sex“ auch zu jenen Filmen, die man sofort nach dem Ansehen auch wieder vergisst. Dann lieber gleich die Doku ansehen, denn sowohl jener Film auch die echte Ruth Bader Ginsburg geben viel mehr her, als es Mimi Leders Film vermag.


5,5
von 10 Kürbissen

(Bildzitat: Quelle: imdb.com)

Das Letzte, was er wollte (2020)

Regie: Dee Rees
Original-Titel: The Last Thing He Wanted
Erscheinungsjahr: 2020
Genre: Thriller, Drama, Politfilm
IMDB-Link: The Last Thing He Wanted


Dee Rees kann es. Das hat die Regisseurin 2017 mit Mudbound bewiesen. Nur leider hat sie auf ihr Können beim Dreh von „The Last Thing He Wanted“ wohl völlig vergessen. Denn dieser Film ist ihr trotz einer charismatischen Besetzung (Anne Hathaway in der Hauptrolle, dazu u.a. Ben Affleck und Willem Dafoe) zu einem chaotischen, unverständlichen Wirrwarr geraten. Der Stoff hätte eigentlich viel hergegeben. Mitte der 80er pfeift eine integere Polit-Journalistin, die von den gefährlichsten Orten der Welt berichtet, auf all ihre Integrität, um für ihren kranken Vater einen letzten Deal abzuschließen. Und schon sieht sie sich in ein lumpiges Waffengeschäft mit finsteren Typen verwickelt und auf der falschen Seite des Gesetzes stehen. Das bringt natürlich jede Menge Stress mit sich, und da kann auch eine hübsche Villa in Costa Rica, in der sie Unterschlupf findet, den Puls drastisch senken. „The Last Thing He Wanted“ marschiert mit fieberhafter Nervosität durch einen Plot, der für den Zuseher kaum Sinn ergibt. Das Hauptproblem ist, dass Dee Rees, die auch am Drehbuch mitgeschrieben hat, zu viel voraussetzt – so als hätte jeder Zuseher diesen Prozess der Figuren- und Handlungsentwicklung gemeinsam mit ihr selbst schon längst durchgemacht. Man fühlt sich ein bisschen wie in einer Runde cooler Hipster gefangen, die einen Insider-Witz nach dem anderen loslassen. Man will mitlachen, aber man hat keinen Plan, worum es geht. Also nippt man verstimmt an seinem Gin Tonic und hofft, dass der Abend bald vorbei ist. Allein Anne Hathaway kann man keinen Vorwurf machen, sie trägt den Film gut und scheint als eine der wenigen auch das Drehbuch verstanden zu haben. Ben Affleck und Willem Dafoe hingegen sind völlig verschenkt. Bei Affleck passiert es sogar so, dass man sich jedes Mal aufs Neue wundert, wenn er auf dem Bildschirm erscheint, da man seit seinem letzten Auftritt bereits vergessen hat, dass er mitspielt. Und Dafoe ist einfach zu wenig zu sehen, um da noch was zu retten. Am Ende dieser gefühlt ewigen zwei Stunden bleibt das vage Gefühl zurück, dass unter der ganzen nervösen Schwurbelei irgendwo auch eine gute Geschichte versteckt lag, nur hat Dee Rees es leider nicht verstanden, diese ans Tageslicht zu bringen.


3,5
von 10 Kürbissen

(Bildzitat: Quelle: imdb.com)

Good Bye, Lenin! (2003)

Regie: Wolfgang Becker
Original-Titel: Good Bye, Lenin!
Erscheinungsjahr: 2003
Genre: Drama, Komödie, Politfilm
IMDB-Link: Good Bye, Lenin!


Die Leute, die vor zwei Monaten ins Koma gefallen sind und in den nächsten Wochen daraus erwachen, werden sich erst mal ziemlich wundern. So ähnlich ergeht es auch Alex‘ Mutter, die aufgrund eines Herzinfarktes, verursacht durch einen schweren Schock, an dem der Filius nicht unbeteiligt ist, die Wende und den Siegeszug des Kapitalismus durch die DDR verschläft. Als Muttern unverhofft nach Monaten wieder erwacht, ist die Freude zunächst groß bei ihrer Familie. Doch die Botschaft des Arztes lässt gleich wieder dunkle Wolken heranziehen: Jeglicher Schock ist zu vermeiden, denn einen zweiten Herzinfarkt würde die gerade Genesene nicht überleben. Doch was tun, wenn die Mutter glühende Kommunistin ist? Also muss die DDR nur wenige Monate nach ihrem Ende in einer kleinen Wohnung ist Ost-Berlin wieder auferstehen. Und schon beginnen die Schwierigkeiten. Wie die Coca-Cola-Reklame fernhalten, die gerade großflächig vom Haus gegenüber ausgerollt wird? Und wo kriegt man noch Spreewald-Gurken her, wenn die neuen Gurkerl allesamt aus Holland kommen? Und überhaupt: Was, wenn die im Moment noch ans Bett Gefesselte wieder teilnehmen möchte am Leben da draußen, auch wenn es vorerst nur durchs tägliche Schauen der Nachrichten im Fernsehen ist? Da sind gewitzte Ideen gefragt. Und Alex (Daniel Brühl) hat alle Hände voll zu tun, um die Illusion zu bewahren. Zu allererst ist „Good Bye, Lenin!“ natürlich mal eine politische Komödie über die Wende und gleichzeitig Seitenhieb auf den Kommunismus wie auf den Kapitalismus (und überhaupt jeden -Ismus, der vorstellbar ist). Allerdings versinkt der Film glücklicherweise nicht in Klamauk, sondern versteht es vor allem, die leisen Zwischentöne zu inszenieren. So ist der Film überraschend melancholisch – was ich so nicht erwartet hätte.


7,0
von 10 Kürbissen

(Bildzitat: Photo by Conny Klein – © 2003 Sony Pictures Classics, Quelle: imdb.com)