Viennale 2022

Father’s Day (2022)

Regie: Kivu Ruhorahoza
Original-Titel: Father’s Day
Erscheinungsjahr: 2022
Genre: Drama
IMDB-Link: Father’s Day


Man könnte ja meinen, es gibt keine anderen Erkrankungen mehr als COVID. Doch ich kann bestätigen: Auch eine hundsordinäre Verkühlung kann einem die Viennale verhageln. Jedenfalls den Nationalfeiertag. Einen Tag später ist der Kürbis eures Vertrauens zumindest wieder fit genug, um sich Kivu Ruhorahozas (kein Finne!) Film „Father’s Day“ anzusehen. Um dann doch wieder ins Grübeln zu kommen, ob nicht alles irgendwie gerade COVID ist. Der Film spielt während der Pandemie, und eines muss man ja sagen: Was die Maskendisziplin betrifft, so kann sich der „besorgte Bürger“ hierzulange einiges abschauen von den Menschen in Ruanda, die den Fetzen sogar pflichtbewusst draußen in der Pampa tragen. Aber darum geht’s ja eigentlich nicht. Sondern um zwei Frauen, die beide großen Kummer mit sich tragen. Da wäre die Mutter Zaninka (Mediatrice Kayitesi), die ihren Sohn bei einem Unfall verloren hat und sich in ihrer Trauer von ihrem Mann distanziert. Da wäre auch die junge, reiche Mukobwa (Aline Amike), die ihrem lungenkranken Vater das Leben retten könnte, indem sie einen Teil ihrer Lunge spendet. Doch kann sie sich nicht zu diesem Entschluss durchringen. Ein dritter Erzählstrang schließlich folgt dem Kleinganoven Karara (Yves Kijyana), der ein Aggressionsproblem mit sich herumträgt und seinen kleinen Sohn wie einen Soldaten formen möchte. All diese Geschichten eint, dass – vielleicht auch verstärkt durch die Pandemie und die Umwälzungen, die diese auslöst – das althergebrachte Bild des Patriachats zu bröckeln beginnt. Die Frauen sowie die nächste Generation begehren leise auf gegen die gottgegebene Ordnung, dass nur der (starke) Mann das Sagen hat. Besonders schön ist dies zu erkennen, wenn sich der kleine Kadogo (Cedric Ishimwe mit einer intensiven Darstellung) seinem Vater widersetzt, indem er den gestohlenen Hundewelpen, nachdem er mit ihm gespielt hat, heimlich zu seinen Besitzern zurückbringt. Auf diese kleinen Momente muss man aufpassen, denn darin verbirgt sich die Geschichte, die Ruhorahoza erzählen möchte. Insgesamt ist das alles vielleicht einen Tick zu indirekt um die Ecke gedacht, und die Handlungsstränge brauchen wohl auch zu lang, um zusammenzulaufen und ein Ganzes zu ergeben. Dennoch ist „Father’s Day“ ein interessanter Blick auf die Gesellschaft von Ruanda und die subtilen Veränderungen, die sie durchläuft. (Oder ist dies ein Wunschdenken des Regisseurs?) Fazit: Durchaus sehenswert.


6,0 Kürbisse

(Foto: (c) Viennale)

Aftersun (2022)

Regie: Charlotte Wells
Original-Titel: Aftersun
Erscheinungsjahr: 2022
Genre: Drama
IMDB-Link: Aftersun


Jetzt geht der Wahnsinn wieder los. Treue Leser:innen dieses Blogs kennen meinen Hang zum Exzess, wenn es um das wichtigste Wiener Filmfestival, die Viennale, geht. Mit Schaudern erinnert man sich vielleicht an den Versuch vor einigen Jahren, mein Hirn mit über dreißig Filmen in zwei Wochen zu Matsch zu verarbeiten. Ich verspreche aber: Ich gehe es heuer ruhiger an. So wie Charlotte Wells in meinem Auftaktfilm „Aftersun“, die sehr unaufgeregt von einem Vater-Tochter-Urlaub in einem türkischen Urlaubsresort erzählt. Die Kamera ist nah an Sophie (Frankie Corio mit einer vielversprechenden Talentprobe) und Calum (Paul Mescal) dran, es passiert nicht viel. Die Geschichte findet in den Lücken statt. Immer wieder blitzt in stroboskopischem Gewitter das Gesicht der erwachsenen Sophie auf, die den Blick zurück wirft. Der Urlaub ist längst Vergangenheit und Erinnerung. So ist die Geschichte dieses Urlaubs in einem intimen Blickwinkel erzählt, passend dazu einige verwackelte Aufnahmen von einem Camcorder, wenn Sophie versucht, sich auf diese Weise ihrem Vater zu nähern. Es sind die Annäherungen und das zwischenzeitliche Scheitern daran, woran Wells interessiert ist. Familie ist kompliziert, vor allem, wenn der Vater offensichtlich im regulären Familienleben keinen festen Platz mehr hat und unbeholfen versucht, sich wieder in die Rolle einzuarbeiten. Man kann den Film unspektakulär und langweilig nennen, aber dennoch berührt er auf einer tieferen Ebene. Man merkt die Bedeutung dieser Erinnerung und spürt das Fehlen des Vaters im Leben der heutigen Charlotte. Ein poetischer, durchaus gelungener Auftakt.


6,5 Kürbisse

(Foto: (c) Viennale)