1974

Der Nachtportier (1974)

Regie: Liliana Cavani
Original-Titel: Il Portiere di Notte
Erscheinungsjahr: 1974
Genre: Drama, Thriller
IMDB-Link: Il Portiere di Notte


Tja, so kann’s gehen, wenn man ein verpeiltes Filmgemüse ist. Da holt man sich einfach ein Ticket für den Charlotte Rampling Hommage-Film „Der Nachtportier“, weil er zeitlich gerade gut reinpasst, im Berlinale Palast gezeigt wird und man dorthin nicht weit hat und er interessant klingt – und stolpert unversehens via roten Teppich und Blitzlichtgewitter der Fotografen in die Verleihung des Goldenen Ehrenbären der Berlinale an Charlotte Rampling, die vor dem Screening des Films in einer Galaveranstaltung durchgeführt wird. (Die deutsche Staatsministerin für Kultur, die zeitgleich mit mir eingetroffen ist, habe ich übrigens auf dem roten Teppich knallhart ausgebremst.) Und damit nicht genug – der Kürbis eures Vertrauens sitzt dabei nur etwa zehn Meter Luftlinie von der großen Charlotte Rampling entfernt, nur etwas weiter links und eine Reihe nach hinten versetzt. Somit habe ich Charlotte Rampling gesehen. Ob Charlotte Rampling auch mich gesehen hat, wage ich allerdings nicht zu bezeugen. Was wir beide aber unzweifelhaft gesehen haben, ist eben „Der Nachtportier“ von Liliana Cavani aus dem Jahr 1974. Damals verursachte der Film die eine oder andere Schnappatmung. Denn die Geschichte des Wiedersehens eines ehemaligen SS-Offiziers, der in einem Wiener Hotel als Nachtportier arbeitet, mit der früheren KZ-Gefangenen Lucia, zu der er ein sadomasochistisches Verhältnis pflegte, hat es durchaus in sich. Ausgerechnet Lucia checkt mit ihrem Mann, einem Dirigenten, nämlich im Hotel ein, Lucia, die einzige Überlebende des SS-Mannes, der damals die Aufsicht hatte. Der plagt sich gerade mit weiteren Problemen herum: In einem Prozess soll er als Mitläufer hingestellt und von aller Schuld freigesprochen werden. Seine ehemaligen SS-Spezis, die das schon hinter sich haben, sollen dafür sorgen. Da ist natürlich die Ankunft der einzigen Zeugin, die ihn wirklich belasten kann, allen ein Dorn im Auge – zumal der Offizier die zart-harten Liebesbande von damals wieder aufnehmen will. Klingt provokant? Ist es auch. Liliana Cavani weiß in „Der Nachtportier“ genau, was sie tut. Und regt damit wohl mehr zu Diskussionen über Schuld, Vergebung und Sühne an, als es jedes moralingetränkte Werk tun könnte. Der Film hat seine Längen, und manche Szenen verlieren in ihrer Groteske etwas an Kraft – da wäre manches Mal ein subtilerer Zugang wünschenswert gewesen. Dennoch ist „Der Nachtportier“ ein Film, der hängenbleibt und auch 45 Jahre nach seiner Entstehung seine Kraft entfaltet. Was nicht zuletzt an der gelungenen Darstellung von Charlotte Rampling liegt, um den Bogen wieder zurückzuspannen. Das hätte ich ihr nach dem Film vielleicht sagen können – nur war sie da schon weg. Vielleicht hat sie mich ja doch nicht gesehen.


7,0
von 10 Kürbissen

Mord im Orient-Express (1974)

Regie: Sidney Lumet
Original-Titel: Murder on the Orient Express
Erscheinungsjahr: 1974
Genre: Krimi
IMDB-Link: Murder on the Orient Express


Ha! Clickbait! Da glaubt ihr vielleicht, ich bespreche den aktuellen Film von und mit Kenneth Branagh, und neugierig seid ihr dem Link hierher gefolgt, und jetzt stellt ihr fest: Nö, ist ja nur der alte Schinken. Aber wenn ihr schon mal da seid, dann könnt ihr auch bleiben – es lohnt sich!

„Wenn jemand eine Reise tut, so kann er was erzählen.“ Das wusste schon Matthias Claudius. Und das weiß auch bald der Meisterdetektiv Hercule Poirot (Albert Finney), denn aus der illustren Reihe der First Class-Passagiere wacht einer am nächsten Morgen nicht auf. Da kommt es gerade gelegen, dass der Zug gerade in den winterlichen Schneemassen steckengeblieben ist, denn dadurch bleibt Zeit, sich die Gesellschaft vorzuknöpfen – einen nach dem anderen – auf der Suche nach einer Rekonstruktion der Ereignisse dieser lebensverkürzenden Nacht. Denn irgendwie ist die ganze Bagage (nicht Baggage, das allerdings naturgemäß unter Reisenden auch vorkommt) verdächtig und ein ums andere Mal ruft der aufgeregte Signor Bianchi, Direktor der Schlafwagengesellschaft und guter Freund Poirots, aus: „Er/Sie war’s, ganz klar!“ Gut, dass Poirot ermittelt und nicht Bianchi. Die Auflösung am Ende hat mich zwar ein bisschen enttäuscht, aber der Weg dahin ist höchst vergnüglich anzusehen. Das liegt vor allem an Albert Finney, der seinen Poirot liebevoll gerissen und auch ein bisschen verschroben darstellt – eine Art belgischer Columbo, der auch immer nur noch eine letzte Frage hatte. Den Verdächtigen, obwohl rekrutiert aus den größten Stars ihrer Zeit (Lauren Bacall, Ingrid Bergman, Vanessa Redgrave, Sean Connery, Anthony Perkins, Michael York u.a.), bleibt da nur noch die Rolle als Stichwortgeber. Trotz Star-Ensemble ist „Mord im Orient Express“ eine One-Man-Show von Albert Finney. Dennoch ist der Film auch heute noch vergnüglich und unterhaltsam, auch wenn er mittlerweile etwas altbacken und aus der Zeit gefallen wirkt und stellenweise einen Hang zur Behäbigkeit aufweist.

Die Neuverfilmung werde ich mir übrigens nächste Woche reinziehen, und ihr werdet hier davon lesen.


7,0
von 10 Kürbissen