1977

Bernard und Bianca – Die Mäusepolizei (1977)

Regie: John Lounsbery und Wolfgang Reitherman
Original-Titel: The Rescuers
Erscheinungsjahr: 1977
Genre: Animation
IMDB-Link: The Rescuers


Zugegeben, es ist schwer, mit den Augen von Erwachsenen über Filme zu schreiben, die ganz klar an Kinder gerichtet sind, wenn man selbst noch keine Kinder hat, deren Reaktionen man in die Kritik einfließen lassen kann. Oder die man selbst als Kind zwar gesehen (und gemocht) hat, aber an die man kaum noch Erinnerungen hat, die auch beim Rewatch Jahrzehnte später nicht aufgefrischt werden. Wie geht man also mit einem Film um, der sich definitiv an ein sehr junges Publikum richtet und dessen Story für Erwachsene vielleicht nicht so fesselnd ist. Nun, es gibt immerhin auch für ältere Zuseher eine Menge an Disneys Klassiker „Bernard und Bianca – Die Mäusepolizei“ zu entdecken. Zum Einen hätten wir hier mal eine recht düstere Grundgeschichte, in der ein junges Waisenmädchen von einer bösen, habgierigen Schurkin entführt und versklavt wird – was die Titelhelden ausrücken lässt, um das kleine Mädchen zu retten. Zum Anderen gibt es liebevoll gestaltete Animationen zu sehen, an denen zwar der Zahn der Zeit nagt, die aber dennoch mit netten, kreativen Ideen überzeugen können – sei es die Albatros-Airline oder das sich verausgabende Libellchen, das als Backbordmotor für Mäuseboote herhalten muss. Das gefällt Jung wie Alt. Vielleicht ist die Suppe inhaltlich ein wenig zu dünn, als dass „Bernard und Bianca – Die Mäusepolizei“ als großes Disney-Meisterwerk in die Geschichte eingehen konnte. Da gibt es schon ganz andere Kaliber, an die man sich auch mehr erinnern kann. Aber eine neuerliche Sichtung auch im nicht zielgruppenorientierten Alter ist der süß animierte Kinderfilm immer noch wert.


6,0 Kürbisse

(Bildzitat: © 1977 – Walt Disney Studios, Quelle http://www.imdb.com)

In gewisser Hinsicht (1977)

Regie: Sara Gómez
Original-Titel: De cierta manera
Erscheinungsjahr: 1977
Genre: Drama, Politfilm
IMDB-Link: De cierta manera


Filme können Arbeit sein. Und Arbeit kann Inhalt des Films sein. Beides trifft sich in „De Cierta Manera“, der einzige Langfilm der früh verstorbenen kubanischen Filmmacherin Sara Gómez aus den Jahren 1974-1977. Ihr Film spielt kurz nach der Revolution 1959. In einem arg didaktischen Ansatz erzählen eine männliche und eine weibliche Stimme aus dem Off von gesellschaftlichen Entwicklungen in den Schichten der Ärmsten, während sich auf einer fiktionalisierten Ebene die Liebesgeschichte zwischen Mario, einem Arbeiter und Macho, und der Lehrerin Yolanda entspinnt – mit allen Höhen und Tiefen. Die Ideale der Revolution ziehen sich auch in den privatesten Bereich hinein, das Fiktive vermischt sich mit dem Dokumentarischen, die Bilder schwanken zwischen intimer Vertrautheit und abstrakten Bildern von Abrissbirnen, die sich durch die Elendsviertel von Havanna fräsen. Ich muss zugeben: Mehr als einmal hat mich der Film gedanklich verloren, obgleich er nicht zu später Stunde, sondern an einem lauen Nachmittag gelaufen ist. Das Problem – für mich – ist eben dieser didaktische Aufbau, der kaum Nähe zu den Figuren zulässt. Auch springt Gómez arg hin und her, möchte alles, möchte ganz Kuba in einen Film packen und verliert den Zuseher dabei auf dem Weg. So bleiben einige sehr schöne Szenen, aber der Film fügt sich nicht zu einem stimmigen Ganzen zusammen. Man kann durchaus die Ambition würdigen, filmhistorisch ist das alles auch recht interessant und ein gefundenes Fressen für alle Filmstudenten dieser Welt, noch mal werde ich mir den Film allerdings nicht ansehen.


4,5 Kürbisse

(Foto: (c) ICAIC / Viennale)

Tomka and His Friends (1977)

Regie: Xhanfise Keko
Original-Titel: Tomka dhe shokët e tij
Erscheinungsjahr: 1977
Genre: Drama, Kriegsfilm
IMDB-Link: Tomka dhe shokët e tij


Spannend an Filmfestivals sind auch die Retrospektiven und Tributes, bei denen man Filmemacher und Filmemacherinnen entdecken kann, von denen man noch nie etwas gehört hat und von denen man sonst auch nie etwas gehört hätte. Die albanische Regisseurin Xhanfise Keko gehört zu dieser Kategorie. Ihr Film „Tomka and His Friends“ aus dem Jahr 1977 gilt als ein Meisterwerk des albanischen Films. Erzählt wird darin eine Geschichte aus dem Zweiten Weltkrieg, als die deutsche Wehrmacht in der pittoresken Stadt Berut einmarschiert und dort ein Lager errichtet. Der junge Tomka und seine Freunde (darunter der treue Hund Luli, der im Grunde alle Szenen stiehlt, in denen er zu sehen ist) sind davon wenig begeistert. Denn zum Einen verachten sie die Faschisten ohnehin – viele ihrer Angehörigen sind auch im Untergrund bei den Partisanen tätig. Und zum Anderen fällt diesen immer nur im Befehlston herumschreienden Soldaten nichts Besseres ein, als ihr Lager auf dem einzigen Spielplatz der Stadt zu errichten. Also leistet man subversiven Widerstand, indem man vor dem Lager Fußball spielt und auf das rauf und runter gespielte Lied „In der Heimat“ mit lautem Gesang von Partisanenliedern antwortet. Einzig der schwarze Wachhund Gof (der eine entzückend gespielte Sterbeszene hinlegen darf) bereitet den Burschen Kopfzerbrechen. Dann ergibt sich auf einmal die Chance, für die Partisanen tätig zu werden und ihnen zu helfen, die Deutschen zu bekämpfen. „Tomka and His Friends“ ist charmant erzählt, ohne aber die Brisanz seiner Geschichte zu verleugnen. Dennoch blickt der Film mit viel Optimismus (und Patriotismus) auf diese Zeit zurück. Tomka dient dabei prächtig als Identifikationsfigur. Vielleicht mag man diese Art von Filmen als Geschichtsverklärung bezeichnen. Die albanische Filmexpertin Iris Elezi, die dieses Special kuratierte, verschwieg diese Problematik in ihrer Einleitung nicht. Denn natürlich gab es auch in Albanien Kollaborateure, die mit den Nazis zusammenarbeiteten. Natürlich gab es unmenschliche Verbrechen und viele Tote auf beiden Seiten. Aber vielleicht tut es einfach auch mal gut, einem jungen Helden wie Tomka auf der Leinwand zusehen zu dürfen, wie er mit seinen Freunden den Schergen mit Humor und Gewitztheit entgegentritt.


7,0
von 10 Kürbissen

(Foto: CROSSING EUROPE Filmfestival)

Suspiria (1977)

Regie: Dario Argento
Original-Titel: Suspiria
Erscheinungsjahr: 1977
Genre: Horror
IMDB-Link: Suspiria


Für viele Filmfans gilt Dario Argentos „Suspiria“ als einer der besten Horrorfilme aller Zeiten. Da mein Verhältnis zu Horrorfilmen bestenfalls als kollegial distanziert zu bezeichnen ist, lief ich diesem Klassiker bislang nicht über den Weg. Nun aber ergab sich im Zuge des Remakes von Luca Guadagnino die Möglichkeit, diese Sichtung im Rahmen eines Double Features im Filmcasino nachzuholen. Und eines gleich vorweg: Gefürchtet hat sich der Kürbis eures Vertrauens nicht so sehr, aber er ist prächtig unterhalten worden. Denn Argentos Film ist ein Fiebertraum in Rot, Grün und Laut. Der Soundtrack der Progressive-Rock-Band Goblin quietscht und wummert und kreischt zu grell beleuchteten Bildern, auf denen sich ein eineinhalbstündiger Albtraum entfaltet. Die amerikanische Ballett-Tänzerin Suzie Bannion (Jessica Harper mit einer kühlen und doch verletzlichen Ausstrahlung) wird in Freiburg an einer der besten Tanzakademien Europas aufgenommen. Dort geht es nicht mit rechten Dingen zu, wie man recht bald und auch recht drastisch mit viel Kunstblut ausgemalt erfährt. Nachdem auch ihre Freundin und Kollegin Sara unauffindbar verschwindet, beschließt sie, auf eigene Faust im verwinkelten Haus zu ermitteln – und stößt dort auf Dinge, die besser im Verborgenen geblieben wären. Was ich an Suspiria mag, ist die grandios aufgebaute Atmosphäre. Schon von der ersten Szene an, der Ankunft von Suzie am Flughafen, wirken die farblich famos ausgeleuchteten Bilder mit dem passenden Ton dazu bedrohlich und unheimlich. Dabei ist der Film keinesfalls auf die von mir so verhassten Jumpscares aus. Nein, das Böse wird hier mit Fanfaren angekündigt, was seinen Griff aber nicht weniger schmerzlich macht, wenn es dann mal um die Ecke biegt. Was man allerdings bemängeln muss, das ist das Drehbuch selbst, das sich keinen Deut um inhärente Logik und konsistentes Verhalten der Protagonisten schert. „Suspiria“ lebt allein von seiner Atmosphäre, die Story selbst gehört eher in die Kategorie „gut gemeint“ als „gut gemacht“. Allerdings reicht das aus für einen spannenden und wahnsinnig unterhaltsamen (und teils aus heutiger Sicht wundervoll trashigen) Film.


7,5
von 10 Kürbissen

Aufstieg (1977)

Regie: Larisa Shepitko
Original-Titel: Voskhozhdeniye
Erscheinungsjahr: 1977
Genre: Drama, Kriegsfilm
IMDB-Link: Voskhozhdeniye


„Aufstieg“, der letzte Film von Larisa Shepitko aus dem Jahr 1977, ist ein Film wie ein unliebsame Bekanntschaft mit einem Vorschlaghammer. Der mit voller Wucht von „The Mountain“ aus Game of Thrones durchgezogen wird. Und der direkt auf die Magengrube zielt. Man taumelt aus dem Kinosaal und ist erst einmal durch mit der Welt. Danach braucht man Gummibärchen. Und Schokolade. Und eine warme Decke. Und viele Umarmungen. Wirklich viele. (Und ja, das ist ein Hilfeschrei. Kommt und umarmt mich. Bitte!) Kaum ein anderer Film hatte jemals eine solche Wirkung auf mich. Kaum sonst ging eine Regisseurin oder ein Regisseur so unbarmherzig mit seinem Publikum um. Ja, es gibt sie, die genialen Filme, die, wie schon erwähnt, genau die Magengrube treffen, und die man, so großartig man sie auch findet, wohl kein zweites Mal sehen möchte – oder erst dann, wenn man zumindest die Wirkung der ersten Sichtung vergessen hat. „Aufstieg“ gehört zu diesen seltenen Filmen. Er erzählt die Geschichte zweier Partisanen in Weißrussland, die mit dem Sonderauftrag, Proviant zu beschaffen, durch die eisige und verschneite Landschaft geschickt werden. Diese ist unwirtlich genug, und noch dazu wimmelt es hier von Deutschen. Was wie ein (eisiger) Kriegsfilm beginnt, entwickelt sich aber in weiterer Folge zu einem Gewissensdrama, als die beiden gefangen genommen werden. Kollaborieren oder Widerstand leisten, um die eigenen Truppen nicht zu verraten? Was nach einer simplen Frage klingt, die jeder für sich selbst beantworten muss, wird in Larisa Shepitkos Händen aber viel mehr. Sie macht daraus einen spirituell anmutenden Film über die Conditio Humana, sie verarbeitet die christliche Erlösungsgeschichte darin, sie öffnet die Pforten zur schlimmsten inneren Hölle, die man sich vorstellen kann – und setzt damit dem Publikum gnadenlos zu. Musik, Bilder, die Nahaufnahmen der Gesichter der Menschen, der Augen (erschrocken, verängstigt, verletzlich), all das brennt sich unlöschbar ein. Ein wahres Monster von einem Film. Für mich gehört „Aufstieg“ zu den beeindruckendsten Werken, die ich jemals gesehen habe. Empfehlen kann ich den Film aber nicht. Ob man sich das antut, muss jeder für sich selbst entscheiden. Wer sich aber diesem Wagnis aussetzt, wird eine Erfahrung machen, die noch lange im Gedächtnis bleiben wird. So viel kann ich versprechen.


9,5
von 10 Kürbissen

(Foto: Viennale)