2009

Hangover (2009)

Regie: Todd Phillips
Original-Titel: The Hangover
Erscheinungsjahr: 2009
Genre: Komödie
IMDB-Link: The Hangover


Gleich mal ein Tipp zu Beginn: Wollt ihr coole Teenager cineastisch unterhalten, werft gerne mal einen Blick auf Todd Phillips‘ „Hangover“ – jener Film, der uns Bradley Cooper und Zach Galifianakis beschert hat, im Guten wie im Bösen. Mein Neffe jedenfalls, sonst eine Ausgeburt an indifferenter Coolness, kuderte fröhlich vor sich hin, und ich kann’s ihm nicht verdenken, ging es mir doch bei der ersten Sichtung im Kino damals sehr ähnlich. So ein Scheiß-mir-nix-Film war damals schon ungewöhnlich. Natürlich derb bis zum Äußersten, aber irgendwie muss das hier auch sein, denn nach dem Motto „Wer bremst, verliert“ wird hier gänzlich auf angezogene Handbremsen verzichtet. Was raus muss, muss raus, sei es banal, fatal oder rektal. Gefangene werden keine gemacht. Die Story ist schnell erzählt: Ein Junggesellenabschied in Las Vegas geht gehörig schief, als die feiernden Freude am nächsten Morgen sehr verkatert in einem komplett verwüsteten Hotelzimmer aufwachen, sich an nichts erinnern können und ausgerechnet der Ehemann in spe, der an diesem Tag noch heiraten soll, nicht aufzufinden ist. Der Rest des Films besteht aus derben Zoten, hysterischen Schreien von Ed Helms, einem sehr lässig blickenden Baby, Stripperinnen mit Herz, einem Tiger, Mike Tysons rechten Haken, nackten Asiaten und Close-Ups von Zach Galifianakis‘ Ranzen. Ach ja, und der vielleicht besten Version von „Candy Shop“, die je gesungen wurde. Anspruchsvoll ist das nicht, und man muss sich auf dieses Niveau auch erst mal herablassen können, aber wenn man dafür eine Antenne hat, macht der Film auch heute noch richtig viel Spaß, wie grumpy Teenager bestätigen können.


6,0 Kürbisse

(Bildzitat: © 2009 Warner Bros. Ent., Quelle http://www.imdb.com)

An Education (2009)

Regie: Lone Scherfig
Original-Titel: An Education
Erscheinungsjahr: 2009
Genre: Drama, Liebesfilm
IMDB-Link: An Education


Die Geschichte ist nicht unbedingt neu: Minderjährige Schülerin verliebt sich in älteren Mann, der sie in die Geheimnisse des Universums, der Liebe und des Lebensstils der Bohème einführt. Das Setting in Lone Scherfigs „An Education“: Das London der 60er Jahre, kurz vor Rock’n’Roll und freier Liebe. Die Frisuren sind noch kurz und gescheitelt, die familiären und bürgerlichen Verhältnisse folgen straffen Konventionen, und das brave Mädel lernt noch Cellospielen, während die aspirierenden Musiker zehn Jahre später dann schon eher zu Drum Sticks und Stromgitarre gegriffen haben. Dennoch spürt man die gesellschaftlichen Veränderungen der kommenden Jahre in der Luft liegen. Die 16jährige Jenny (Carey Mulligan) genießt schon weitaus mehr Freiheiten, als man erwarten würde – und das trotz konservativer Oberfläche ihrer Eltern (Alfred Molina und Cara Seymour), die aber auch zu begreifen scheinen, dass sie ihre Tochter nicht so erziehen können wie sie selbst erzogen worden sind, auch wenn sie natürlich Träume für ihre Tochter haben. Und so ist es dann auch kein großes Ding, dass Jenny eine Beziehung mit dem deutlich älteren David (Peter Sarsgaard) beginnt, zumal der mit polierten Manieren ins Haus kommt. Aber David gehört zur Oberschicht, er fährt Sportwagen und isst in den besten Restaurants, und Verbindungen nach Oxford, wo Jenny einmal studieren soll, scheint er auch zu haben. Da kann man also durchaus mal das eine oder andere Auge zudrücken, schließlich ändern sich die Zeiten ja. „An Education“ mag ein altes Thema aufgreifen, tappt aber nicht in die übliche Mansplaining-Falle a la „älterer Mann erklärt naivem Mädel die Welt“, sondern gibt David mit der frühreifen Jenny einen ebenbürtigen, vielschichtigen Widerpart zur Seite. Natürlich – manche Fehler macht man trotzdem, wenn man jung, ohne viel Erfahrung und verliebt ist. Aber Jenny lernt daraus, und so bezieht sie die titelgebende „Ausbildung“ am Ende weniger von David als von sich selbst. In diesem Sinne ist „An Education“ ein emanzipierter, aber dennoch leichtfüßiger und unterhaltsamer Film.


7,5
von 10 Kürbissen

(Bildzitat: © Kerry Brown, Quelle http://www.imdb.com)

Coco Chanel – Der Beginn einer Leidenschaft (2009)

Regie: Anne Fontaine
Original-Titel: Coco avant Chanel
Erscheinungsjahr: 2009
Genre: Biopic, Drama
IMDB-Link: Coco avant Chanel


Coco Chanel ist eine französische Ikone. Amélie aus „Die fabelhafte Welt der Amélie“, verkörpert von Audrey Tautou, ist ebenfalls eine. Was liegt also näher als diese beiden Ikonen zusammenzubringen und mit Audrey Tautou in der Hauptrolle die Lebensgeschichte von Coco Chanel zu verfilmen? Regie führte Anne Fontaine, deren Gemma Bovery – Ein Sommer mit Flaubert ich entzückend fand, während ich mit Marvin weniger anfangen konnte. Leider schlägt sich „Coco Chanel – Der Beginn einer Leidenschaft“ auf die Seite von „Marvin“. Denn auch wenn die forsche Coco Chanel, die die adelige Männerwelt aufmischt, Stoff für eine gute Erzählung hergeben würde und sich Audrey Tautou auch nach Kräften bemüht, diese toughe Frau zu verkörpern, so zündet das Werk zu keiner Minute richtig. Das liegt zum Einen daran, dass Audrey Tautou ihre Coco zu hart anlegt, als dass man als Zuseher mit ihr mitfiebern und mitleiden könnte. Frauenpower und Emanzipation gut und schön – aber es fehlt dem Film durch diese Darstellung ein emotionaler Anker. Zum Anderen ist das Biopic sehr klassisch erzählt – und damit schlicht und ergreifend fad. Die Lebensstationen bis zum Ruhm werden abgehandelt, im Zentrum steht dabei die On-Off-Beziehung mit dem Adeligen und Lebemann Étienne Balsan (Benoit Poelvoorde) und die Liebe zu dem englischen Lord Capel (Alessandro Nivola), aber alles wird hübsch vorhersehbar und nach den üblichen schematischen Abläufen routinierter Biopics erzählt. Hier bleibt kein Platz für Überraschungen. Selbst Alexandre Desplats Musik geht zwar gut ins Ohr, klingt aber alles in allem genau so, wie man sich einen Alexandre Desplat-Soundtrack zu einem Coco Chanel-Film vorstellt. Jo eh. Überraschend ist nur, dass Coco Chanels eigentliche Bestimmung, das Modedesign, kaum zur Sprache kommt und fast beiläufig abgehandelt wird. So ist „Coco Chanel – Der Beginn einer Leidenschaft“ zwar kein völliger Rohrkrepierer, aber ansehen muss man sich den Film definitiv nicht.


4,5
von 10 Kürbissen

Der fantastische Mr. Fox (2009)

Regie: Wes Anderson
Original-Titel: Fantastic Mr. Fox
Erscheinungsjahr: 2009
Genre: Animation
IMDB-Link: Fantastic Mr. Fox


Ich habe größten Respekt vor Stop Motion-Filmen. Diese Fitzelarbeit ist etwas für Fanatiker und Perfektionisten. Glücklicherweise zählt Wes Anderson in genau diese Kategorie. Weshalb er sich der Verfilmung des Buchs von Roald Dahl auf genau diese Weise angenommen hat. Und eines gleich vorweg: Die Qualitäten von Wes Anderson, diese symmetrisch durchkomponierte Bildsprache (die man im Übrigen aktuell noch im Kunsthistorischen Museum Wien bewundern kann, wo er zusammen mit seiner Lebenspartnerin Juman Malouf eine Ausstellung mit dem wunderschönen Titel „Spitzmaus Mummy in a Coffin and Other Treasures“ kuratiert hat), der Stoizismus seiner Charaktere, die pointierten, existentialistisch angehauchten Dialoge – all das geht überraschend gut zusammen mit dem Hühnerdieb Mr. Fox, der in Anbetracht der Schwangerschaft seiner Frau auf ein bürgerliches Leben umsattelt. Allerdings lässt sich die Natur nun mal nicht auf Dauer verleugnen, und die neuerlichen Beutezüge bringen nicht nur Mr. Fox, sondern auch seine ganze Familie und Freunde in Bedrängnis. Da ist Teamarbeit gefragt, um aus dem Schlamassel wieder rauszukommen. „Der fantastische Mr. Fox“ ist detailverliebt und liebevoll inszeniertes Animationsvergnügen für Erwachsene. Auch Kinder könnten ihre Freude damit haben, da die Tiere einfach sehr putzig animiert sind, aber die Geschichte selbst zündet eher beim ausgewachsenen Publikum, das sich mit Sicherheit an der einen oder anderen Stelle wiedererkennt. Wo sind sie geblieben, die Träume der Jugend, wo haben wir sie begraben, die wilde Seite, die Abenteurer und Pionierin werden wollte? „Der fantastische Mr. Fox“ spricht diese Themen fast nebenbei in herrlicher Lakonie an und bietet darüber hinaus eine rührige Familiengeschichte für Groß und Klein. Auch George Clooney als Synchronstimme für den listigen Fuchs muss man hervorheben – er versteht es, die Wes Anderson’sche Bildsprache im Dialog stimmlich zu unterstützen. So ist „Der fantastische Mr. Fox“ eine kleine Perle, die man immer wieder ansehen kann.


8,0
von 10 Kürbissen

Julie & Julia (2009)

Regie: Nora Ephron
Original-Titel: Julie & Julia
Erscheinungsjahr: 2009
Genre: Biopic, Drama, Komödie
IMDB-Link: Julie & Julia


Gleich vorweg: Es gibt zwei gute Gründe, „Julie & Julia“ anzusehen. Der eine Grund ist Meryl Streep. Und der andere Amy Adams. Wenn die mitspielen, kann man eigentlich nichts falsch machen, zwei herausragende Größen ihrer Zunft (und auf Amy Adams habe ich zudem einen kleinen Crush, also, Amy, falls du meinen Blog lesen solltest: Darf ich dich zum Essen einladen?) Und schon wären wir beim Film selbst, denn in diesem geht es um kulinarische Kostbarkeiten, deren Zubereitungen und wie sie ein Leben (oder zwei) ändern können. Denn Julia Child (Meryl Streep) ist eine gelangweilte Amerikanerin in Paris, die als Zeitvertreib das Kochen für sich entdeckt, und gegen alle Widerstände und nur getragen vom Glauben an sich selbst und der Unterstützung ihres liebevollen Ehemanns (wunderbar warmherzig: Stanley Tucci) zu einer erfolgreichen Kochbuch-Autorin wird. Und Julie Powell (Amy Adams) ist eine etwas frustrierte Callcenter-Mitarbeiterin, die an ihrem Vorhaben, einen Roman zu schreiben, gescheitert ist, irgendwann aber die Idee hat, alle Rezepte aus Julia Childs Kochbuch innerhalb eines Jahres nachzukochen und darüber zu bloggen. So finden beide Frauen zu sich selbst. „Julie & Julia“ ist ein wirklich netter, leichtfüßiger Film, der den komödiantischen Anteil nicht übertreibt und das Drama nur subtil mitschwingen lässt. Eine ausgewogene Sache also, nicht unbedingt spektakulär, aber kurzweilig anzusehen. Ein Film, den man an einem verregneten Sonntagnachmittag auf der Couch gerne mal einlegen kann. Allerdings sollte das Telefon für die Bestellung beim Lieferservice griffbereit liegen, denn der Film macht tatsächlich Hunger. Und wenn es dann beim Abspann nicht gleich klingelt und keine dampfende Köstlichkeit in die Wohnung gebracht wird, schlägt sich das durchaus negativ aufs Gemüt. Man lädt den Ärger dann vielleicht sogar noch beim Film ab mit einer schlechten Bewertung – und das hat er sicher nicht verdient.

(Dieser Film ist als Reiseetappe # 67 Teil meiner Filmreisechallenge 2018. Mehr darüber hier.)


6,0
von 10 Kürbissen

Fish Tank (2009)

Regie: Andrea Arnold
Original-Titel: Fish Tank
Erscheinungsjahr: 2009
Genre: Drama
IMDB-Link: Fish Tank


Für manche Menschen ist das Leben wie in einem Aquarium. Man dreht immer die selben Kreise und erhascht gelegentlich einen Blick darauf, wie es draußen, außerhalb der Glaswände, sein könnte, ohne aber selbst je die Chance zu haben, an diesem Draußen teilzunehmen. So ergeht es auch der 15jährigen Mia (Laiendarstellerin Katie Jarvis mit einer furiosen Darstellung) Ihre Mutter (Kierston Wareing) ist alkoholkrank, die jüngere Schwester nervig, sie selbst hat die Schule geschmissen und strawanzt in der abgefuckten Gegend herum, in der sie lebt, sucht Streit, trinkt und versucht, Ablenkung im Hip Hop-Tanz zu finden, den sie allein in einer nicht fertig gestellten Wohnung über den Dächern von Essex übt. Doch dann tritt Connor (Michael Fassbender), der neue Freund ihrer Mutter, in ihr Leben und schenkt ihr Aufmerksamkeit. Gegen anfänglichen inneren Widerstand baut Mia allmählich Vertrauen zu dem Mann auf. Plötzlich scheint so etwas wie Geborgenheit und Harmonie in Griffweite für Mia zu sein, und auch sie selbst wird zugänglicher, nimmt soziale Beziehungen auf, die nicht nur darin bestehen, sich gegenseitig Slang-Ausdrücke um die Ohren zu schmeißen und sich aggressiv vor die Brust zu stoßen. Doch dann kommt es eines Nachts zu einem alkoholbedingten Zwischenfall, der diese fragile Harmonie wieder ins Wanken bringt – und die Weichen stellt für die Entscheidung, welcher Mensch Mia einmal sein wird. Der von der Kritik gefeierte Film „Fish Tank“ von Andrea Arnold ist ein Sozialdrama par excellence. Gedreht in dem für Arnold üblichen Format 4:3 wird das Beengende der sozialen Situation Mias auch optisch auf den Punkt gebracht. Das Kernstück des Films ist aber die vielschichtige und ehrliche Leistung von Katie Jarvis, die ihrer Mia ein großes Spektrum an Ausdrucksmöglichkeiten zur Verfügung stellt – über Gestik und Mimik, über Blicke und den gut sitzenden Jugendjargon. Hier wirkt keine einzige Bewegung, kein einziger Satz gekünstelt. Mia ist so wütend und gleichzeitig verletzlich, so altklug wie naiv, wie es nur 15jährige sein können. Zwar entfaltet der Film noch nicht den gleichen Sog wie das spätere Meisterwerk American Honey, aber Andrea Arnolds Sozialstudie weiß dennoch zu fesseln, und man wünscht trotz allem, was am Ende schief rennt, Mia für ihr weiteres Leben nur das Allerbeste und dass sie ausbrechen kann aus ihrem Aquarium.


7,5
von 10 Kürbissen

Women Without Men (2009)

Regie: Shirin Neshat
Original-Titel: Zanan Bedun-e Mardan
Erscheinungsjahr: 2009
Genre: Drama
IMDB-Link: Zanan Bedun-e Mardan


Shirin Neshat hat sich mit ihrem ersten Langfilm einiges vorgenommen: Die Aufarbeitung der politischen Ereignisse im Iran von 1953, als durch einen Militärputsch das ganze Land aus den Fugen geriet. Gleichzeitig eine Geschichte über die Selbstbestimmung und Rolle der Frau in diesem gesellschaftlichen Umfeld, und das erzählt anhand von vier Frauenschicksalen, die am Ende zusammenfinden. All das in sehr schön gefilmten Bildern, die eine ruhige und klare Ästhetik aufweisen, gedämpfte Farben, immer wieder tableauartige Anordnungen – ja, handwerklich ist „Women Without Men“ eine sehr sehenswerte Angelegenheit. Leider aber konnte mich die Geschichte nicht wirklich mitreißen, denn zum Einen hatte ich das Gefühl, dass Neshat einfach zu viel wollte, und so mäandert der Fokus ein wenig umher und es fällt schwer, sich auf die immer wieder in verschiedene Richtungen wandernde Geschichte zu konzentrieren. Zum Anderen werden immer wieder fantastisch-magische Elemente eingestreut, die ich zwar an sich gern mag, aber hier vielleicht sogar ein Stück weit zu subtil eingesetzt sind – die Geschichte ist nämlich an sich nicht dem magischen Realismus zuzuordnen, und so werfen diese Einschübe mich als Zuseher immer wieder mal raus. So gesehen ist „Women Without Men“ wohl ein interessanter und sicherlich auch wichtiger Film (vor allem die Darstellung der Frauen und ihrer Nöte, Ängste, Probleme, aber auch Sehnsüchte fand ich wirklich sehenswert), aber als mitreißend würde ich ihn trotz der Opulenz der Bilder nicht bezeichnen.


5,5
von 10 Kürbissen

(Foto: Polyfilm)

Alle Anderen (2009)

Regie: Maren Ade
Original-Titel: Alle Anderen
Erscheinungsjahr: 2009
Genre: Drama, Liebesfilm
IMDB-Link: Alle Anderen


Bevor Maren Ade mit „Toni Erdmann“ international so richtig abgeräumt hat (wobei ich persönlich den Hype um den Film nicht ganz nachvollziehen konnte), legte sie mit „Alle Anderen“ schon eine sehenswerte und sehr konzentrierte Arbeit über das moderne Beziehungsleben vor. Gitti und Chris (Birgit Minichmayr mit ihrer Durchbruchs-Rolle, und Lars Eidinger), ein nach außen hin glückliches Paar, macht Urlaub auf Sardinien. Doch so ein Urlaub kann sich ganz schön hinziehen, und wenn dann auch noch Bekanntschaft auftaucht, der man lieber aus dem Weg gehen möchte, der man aber nicht entkommt, dann kann die angespannte Situation recht schnell mal explodieren – vor allem, wenn man mit der eigenen vermeintlichen Erfolglosigkeit im Gegensatz zum Erfolg des Gegenübers konfrontiert wird. Da tauchen sie auf, die großen Sinnkrisen, und plötzlich merkt man, dass man in vielerlei Hinsicht lange aneinander vorbei geredet hat und den Partner gar nicht so kennt wie man glaubt. Maren Ade braucht für „Alle Anderen“ nicht viel. Nur die reduzierte, entschleunigte Kulisse Sardiniens, zwei gut aufeinander abgestimmte Hauptdarsteller und eben diesen Störfaktor des zweiten Paares, um ein packendes und über die volle Laufzeit intensives Drama zu schaffen. Viel wird in kleinen Gesten oder Blicken erzählt. Die Momente der Entfremdung wie auch jene, in denen man sich wieder vertraut ist. Und das alles setzt sich zu einem Puzzle einer Beziehung zusammen, in vielen Momenten schmerzhaft vertraut und authentisch. „Alle Anderen“ ist kein vergnüglicher Film und keiner, den man wirklich genießen kann, aber er ist interessant, ehrlich und exzellent gespielt.


7,0
von 10 Kürbissen

(Foto: Polyfilm Verleih)

Baarìa (2009)

Regie: Giuseppe Tornatore
Original-Titel: Baarìa
Erscheinungsjahr: 2009
Genre: Drama, Komödie
IMDB-Link: Baarìa


Ach, Giuseppe Tornatore, du Chronist sentimentaler Bubenträume. Bei „Cinema Paradiso“ hast du mich am Schluss zum Schluchzen gebracht. „Der Zauber von Maléna“ ist der Grund, warum ich auch heute noch nervös werde, wenn ich den Namen Monica Bellucci höre. Und nun „Baarìa“, das groß angelegte sizilianische Familienepos, das den Bogen von den 1920ern bis in die Jetztzeit spannt. Doch wir müssen reden, Giuseppe. Nämlich darüber, warum du all dein handwerkliches Können, das dir unter Anderem für „Cinema Paradiso“ den Oscar einbrachte, für diesen Film vergessen hast. Ja, ich erkenne die Intention hinter deinem Vorhaben, die Geschichte vom armen Kommunisten Peppino in Schlaglichtern zu erzählen – es soll ein groß angelegtes Panorama werden und alle Aspekte des italienischen Lebens, ob Politik, Kirche, Familie, Besatzungszeit, wirtschaftlicher Aufschwung, alte und neue Ideale, Emanzipation und Freiheit etc. in sich vereinen. Aber ganz ehrlich: So ganz kannst du doch bitte dein Gespür für Rhythmus, für den jedem Film innewohnenden Takt doch nicht verloren haben! Hörst du nicht Ennio Morricones sanfte Musik? Warum unterläufst du sie, durchbrichst sie, karikierst sie, indem du wahllose komödiantische Szenen an traurige Szenen hängst, die gerade noch von Morricones Streichern ausgeklungen werden? Oh, Giuseppe, überhaupt – wo ist dein roter Faden, was hält deinen Film zusammen? Die  herzzerreißende Schlusssequenz nach bitter langen 140 Minuten allein ist zu wenig, so leid es mir auch tut. Hier zeigst du zwar noch einmal, was du wirklich kannst, aber es ist zu spät, fast 2,5 Stunden zu spät. Hach, ich hätte mich so gern wieder verzaubern lassen, doch nein, Giuseppe, dein „Baarìa“ funktioniert nicht, es wirkt hilflos zusammengestückelt, als wäre es dir über den Kopf gewachsen so wie am Ende die Stadt selbst dem kleinen Peppino. Und das tut mir leid.


3,5
von 10 Kürbissen

Nine (2009)

Regie: Rob Marshall
Original-Titel: Nine
Erscheinungsjahr: 2009
Genre: Liebesfilm, Musical
IMDB-Link: Nine


Daniel Day-Lewis ist die männliche Meryl Streep. Gewaltig, unantastbar, immer grandios und allein die Ankündigung eines neuen Films geht einher mit einer sicheren Oscar-Nominierung. Dass Meryl Streep 2008 plötzlich auch noch damit anfing, in einem Musical („Mamma Mia“) mitzusingen und zu -tanzen, konnte Daniel Day-Lewis nicht auf sich sitzen lassen und ließ sich für die Musical-Verfilmung „Nine“ von Rob Marshall verpflichten. Darin spielt, singt und tanzt er Guido Contini, einen gefeierten Filmregisseur der 60er Jahre, der aber nun zu Beginn der Produktion seines neuesten Films mit dem großspurigen Titel „Italia“ in einer veritablen Schaffens- und Lebenskrise steckt (Assoziationen zu Fellini kommen nicht von Ungefähr). Was er zu viel in seinem Leben hat: Frauen. (Marion Cotillard. Nicole Kidman. Penélope Cruz. Kate Hudson. Fergie. Judi Dench als mütterliche Kostümschneiderin. La Grande Sophia Loren als tote Mutter. Völlig nachvollziehbar, dass es einem das Oberstübchen da ein bisschen durcheinanderwürfelt zwischen Libido und Mutterkomplexen.) Was er zu wenig hat: Inspiration. Auch die Flucht in einen entlegenen Kurort hilft nicht, denn wenn Guido Contini nicht zum Filmdreh kommt, dann kommt der Filmdreh eben zu ihm. Und im Grunde ist das auch schon die ganze Geschichte. Das ist leider ein bisschen gar wenig, was meine Freude am Spektakel schon mal trübt. Dann: Die Musik. Von einem Musical sollte man eigentlich erwarten, dass zumindest der eine oder andere Song des Soundtracks im Ohr hängenbleibt. Fehlanzeige, jedenfalls bei mir (wobei ich zugeben muss, dass ich kein sonderlich Musical-trainiertes Ohr besitze). In „Nine“ klingen für mich alle Nummern gleich. Sie werden nur von unterschiedlichen Frauen vorgetragen, die sich dazu in enge Kostüme zwängen, die ihre prachtvollen Oberweiten dem Zuseher ins Gesicht drücken, während sie sich lasziv auf Bühnen räkeln (dass auch die Dame Judi Dench davon betroffen ist, erhöht den Fremdschämfaktor zusätzlich) – so ist das zwar (aus männlicher Perspektive) zwar recht ästhetisch anzusehen, aber was soll man sagen angesichts dieser Zurschaustellung sekundärer Geschlechtsmerkmale, die nicht unbedingt was zum Inhalt beitragen? Für einen Unterhaltungsfilm ist es zu viel, für einen Porno zu wenig. Es sieht ein wenig so aus, als wollte sich Rob Marshall mit dem Film einen feuchten Traum erfüllen und wäre gerade mal so im letzten Augenblick von seinen Cuttern auf FSK16 hinuntergebremst worden. Daniel Day-Lewis bemüht sich, seinem Contini so etwas wie Tiefe zu geben, und er ist auch wieder gut in dem, was er tut, auch Penélope Cruz und Marion Cotillard kann man keinen Vorwurf machen, aber die guten schauspielerischen Leistungen und mancher Schauwert retten den Film trotzdem nicht davor, phasenweise peinlich und meistens langweilig zu sein.


4,5
von 10 Kürbissen