2021

The King’s Man: The Beginning (2021)

Regie: Matthew Vaughn
Original-Titel: The King’s Man
Erscheinungsjahr: 2021
Genre: Action, Abenteuerfilm
IMDB-Link: The King’s Man


Alles hat einen Anfang, und gerade, wenn es um die Ursprünge geheimnisvoller Agentenbündnisse geht, die im Untergrund operieren und sich von teuren Herrenschneidern einkleiden lassen, zeichnen sich schon bald Fragen ab, die in alter Hollywood-Traditionen mit einem eigenen Film oder gar einer eigenen Filmreihe geklärt werden müssen. Das zahlende Publikum dankt’s. Gleich mal vorweg: Ich bin ein großer Fan des ersten „Kingsman“-Films von 2014, der seinen großen Unterhaltungswert daraus bezogen hat, dass ein Vorstadt-Prolet von Colin Firth zum Top-Agenten geschliffen wird, während Samuel L. Jackson den vielleicht dämlichsten Plot zur Zerstörung der Welt entworfen hat, der jemals über eine Leinwand geflimmert ist. Der Film war von Anfang bis Ende over the top inklusive einer denkwürdigen Szene, in der zu Lynyrd Skynyrds „Free Bird“ fröhlich Kirchgänger gemetzelt werden. Kurz: Der Film hat eine wundervolle Scheißdrauf-Attitüde gezeigt. Das Prequel „The King’s Man“, in dem nun Ralph Fiennes die Anfänge des Kingsman-Geheimbundes begleiten darf, versucht nun einerseits, diese herrlichen Gaga-Momente der Kingsman-Filme zu übernehmen (Rhys Ifans, ich schaue dich an!), schlägt aber andererseits teils auch ernstere Töne an. Hier geht es viel um Verlust und Trauerbewältigung. Gerade dieser Versuch, der Geschichte mehr Substanz zu geben, erweist sich aber als Rohrkrepierer und bringt den Film aus der Balance. Plötzlich zieht sich das alles wie ein Kaugummi. Figuren treten auf, treten wieder ab, die Story wird immer verworrener, man verliert das Interesse. Selbst Ralph Fiennes Leinwandpräsenz rettet den Film nicht über den Durchschnitt hinaus, und gäbe es da nicht die eine Szene mit der Ziege, die wieder fröhlich an den anarchischen Unsinn im ersten Kingsman-Film erinnert, so würde kaum ein Bild aus „King’s Man: The Beginning“ hängenbleiben.


5,5 Kürbisse

(Bildzitat: 20th – © 2020 Twentieth Century Fox Film Corporation. All Rights Reserved, Quelle http://www.imdb.com)

Jolt (2021)

Regie: Tanya Wexler
Original-Titel: Jolt
Erscheinungsjahr: 2021
Genre: Action
IMDB-Link: Jolt


Kate Beckinsale scheint die Rolle der Vampirin Selene aus der Underworld-Filmreihe so verinnerlicht zu haben, dass sie selbst nicht mehr altert. Oder sie hat sich mal mit Paul Rudd und Keanu Reeves kurzgeschlossen und nach deren Geheimnis gefragt. Möglicherweise hat auch die moderne Kosmetik ihre Finger im Spiel. Wie auch immer – kurz vor ihrem 50. Geburtstag haut sie einen Actionfilm raus, den auch eine 20jährige nicht knackiger hätte spielen können. „Jolt“ von Tanya Wexler ist so etwas wie die weibliche Form von „Crank“. Während sich Jason Statham regelmäßige Adrenalinstöße verpassen musste, um nicht abzunippeln, ist die Figur der Lindy gegensätzlich gedacht: Immer, wenn sie einen Adrenalinschub bekommt bzw. sich über etwas aufregt, wird sie zur absoluten Furie und haut alles kurz und klein. Fast könnte man meinen, Lindy wäre der Urtyp einer Wienerin. Wobei wir ja weniger handgreiflich werden, sondern lieber in uns hineingranteln. Zu viel Action ist nicht die Sache der Wienerinnen und Wiener. Vielleicht wäre eine Wiener Version von „Jolt“ auch unterhaltsamer gewesen. Denn auch versucht wird, Humor unterzubringen, ist dieser leider maßlos aufgesetzt und wirkt zu gewollt und damit deplatziert. Die Action selbst hat man auch schon oft so gesehen, und die Story kann man im besten Fall als konfus bezeichnen. Da muss man schon alle Augen inklusive Hühneraugen zudrücken, um intellektuell einigermaßen unfallfrei durchs Geschehen zu kommen. Dazu kommt pseudo-coole Musik, also genau die Art von Musik, von denen alte Säcke wie ich glauben, dass sie von hippen Jugendlichen gehört wird (verwendet man das Wort „hip“ überhaupt noch?), von denen diese fehlgeleiteten Versuche, sich an der Jugend anzubiedern, höchstens mit einem milden Lächeln quittiert wird. Immerhin Kate Beckinsale sieht gut aus, aber das passt auch zu einem Film, der sich „Style over Substance“ als oberste Maxime ins Heft geschrieben hat.


3,0 Kürbisse

(Bildzitat: Foto von Simon Varsano, Quelle http://www.imdb.com)

Godzilla vs. Kong (2021)

Regie: Adam Wingard
Original-Titel: Godzilla vs. Kong
Erscheinungsjahr: 2021
Genre: Action, Fantasy, Abenteuerfilm
IMDB-Link: Godzilla vs. Kong


Es gibt Titel, die erklären den ganzen Film, und das ist auch gut so, denn man weiß genau, worauf man sich einlässt. „Snakes on a Plane“ ist so ein Beispiel. Oder auch „Godzilla vs. Kong“. Im Englischen gibt es dafür die Abkürzung WYSIWYG. What You See Is What You Get. Wer sich also bei diesem Filmtitel eine essayistische Bearbeitung Schopenhauer’scher Gedankenexperimente erwartet, liegt damit grundlegend falsch. Was man stattdessen erwarten darf: Eine ordentliche Keilerei zwischen zwei Supermonstern. Immer mitten in die Fresse rein, wie es schon die Ärzte so schön besangen. Das menschliche Personal wird hier zu Nebenfiguren degradiert und ist im Gesamtgefüge so wurscht wie der Versuch, die Gletscherschmelze durch das Streuen eines Eiswürfelkübels aufzuhalten. Hier prallen einfach zwei Gewalten aufeinander und was dazwischensteht, wird kurz und klein geschlagen. So einfach ist das Konzept von Adam Wingards Film. Kann das über zwei Stunden gut gehen? Nun ja, das hängt eben wieder von der eingangs erwähnten Erwartungshaltung ab. Wenn ich genau das erwarte, dann passt es auch. Da kann man sich dann entspannt im Fernseh- oder Kinosessel zurücklehnen und sich an den Schauwerten ergötzen, während man sich die zweite Packung Popcorn einverleibt. Das ist Eskapismus in Reinform. Suche ich aber nach einem tieferen Sinn oder einer zweiten Ebene, die sich intellektuell verarbeiten lässt, dann werde ich eher wütend ins Popcorn schnauben, sodass es in alle Richtungen davonspritzt. So ist auch die Wertung von 6 Kürbissen zu verstehen. Ja, es gibt bessere Filme, von denen man länger zehren kann, aber für das, was der Film sein möchte und letzten Endes auch ist, holt Adam Wingard so ziemlich das Optimum heraus. Jedenfalls ist „Godzilla vs. Kong“ weit besser als der völlig verunglückte Vorgänger Godzilla II: King of the Monsters.


6,0 Kürbisse

(Bildzitat: Quelle http://www.imdb.com)

King Richard (2021)

Regie: Reinaldo Marcus Green
Original-Titel: King Richard
Erscheinungsjahr: 2021
Genre: Biopic, Sportfilm, Drama
IMDB-Link: King Richard


Man hat es nicht leicht mit den Geschwistern, vor allem, wenn diese älter sind und damit zu Würden kommen, die man selbst gerne für sich beansprucht hätte. Richard von Gloucester, in William Shakespeares Drama „Richard III.“ verewigt, kann ein Lied davon singen, ist er doch in der Thronfolge hinter seinem älteren Bruder gereiht, der als König Edward IV. über England herrscht. Missgunst herrscht über sein Denken, und so schmiedet er böse Ränke, um seinen Bruder vom Thron zu stoßen. Allein: Es geht nicht gut für ihn aus. Aber Moment – es geht in Reinaldo Marcus Greens‘ Film gar nicht um diesen historischen Bruderzwist? Es handelt sich nicht um eine Adaption des Shakespeare-Stücks? Was ist da los? Noch dazu, wenn von zwei Geschwistern die Rede ist, auch wenn es sich hier um Schwestern handelt? Verwirrend, verwirrend. Und dann betoniert Will Smith auch noch vor Millionen Zusehern dem verdatterten Chris Rock eine nach einem missglückten Scherz? Doch, das ist doch Stoff shakespeare’schen Ausmaßes! Trotzdem führt der Filmtitel ein wenig in die Irre, denn King Richard ist hier Richard Williams (gespielt vom Watschenmann), seines Zeichens Vater von zwei begnadeten Nachwuchstennisspielerinnen namens Venus und Serena (wer sich für Sport interessiert, hat diese Namen möglicherweise schon einmal gehört), und der Mann hat einen Plan, an dem er stur wie ein Esel festhält: Die beiden werden Profispielerinnen und sie werden die besten Spielerinnen der Welt. Basta! Immerhin lächeln und nicken sie gnädig zu diesem Spiel und dreschen auf die Filzkugeln ein, was die muskulösen Oberarme hergeben. Und so unbeirrt, wie sie die Bälle schlagen, geht der schon bald als schwieriger Charakter berüchtigte Vater den Weg, den er für seine Tochter auf dem Reißbrett entworfen hat. Da kann kommen, wer will, und möge es der Trainer von Tennislegende Pete Sampras sein – wer nicht mitzieht, dem furzt King Richard ins Gesicht. „King Richard“ ist ein Biopic der eher ungewöhnlichen Sorte, denn es stehen nicht die künftigen Stars und ihr Werdegang im Vordergrund, sondern der fanatische Vater, der alles seinem Plan unterordnet. Der Erfolg soll ihm am Ende recht geben, doch wie schmal der Grat ist zwischen Sieg und vernichtender Niederlage, nach der man nicht mehr aufsteht, deutet der Film mehr als einmal an. Dennoch bleibt der Film auf ausgetretenen Pfaden und damit recht zahm. Die Eckpunkte jedes Biopics (Traum, Schwierigkeiten, Aufstieg, weitere und noch größere Schwierigkeiten, beinahe der Fall und schließlich doch noch der Triumph über alle Widrigkeiten) werden routiniert abgearbeitet. Unter den besten Filmen des Jahres 2021 sehe ich „King Richard“ – anders als die Oscar Academy – nicht. Dass man Will Smith für seine seriöse Darstellung für einen Oscar nominieren kann, schon eher. Am Ende wäre es wohl besser gewesen, hätte ein anderer diesen gewonnen, auch für Will Smith selbst. Es hätte jedenfalls ausreichend starke Konkurrenz gegeben.


6,5 Kürbisse

(Bildzitat: Quelle http://www.imdb.com)

The Hand of God (2021)

Regie: Paolo Sorrentino
Original-Titel: È stata la mano di Dio
Erscheinungsjahr: 2021
Genre: Komödie, Drama
IMDB-Link: È stata la mano di Dio


Paolo Sorrentino gehört für mich zu den interessantesten Regisseuren unserer Zeit. Er hat eine ganz eigene, sinnliche Bildsprache, die er in „La Grande Bellezza“ zur Meisterschaft brachte. „The Hand of God“ ist sein persönlichster Film und stark autobiographisch geprägt. Die Geschichte spielt in Neapel, wo der junge Fabietto davon träumt, dass sich sein großes Idol Diego Maradona dem hiesigen Fußballclub anschließt (daher auch der Titel, der Bezug nimmt auf das berühmt-berüchtigte Tor von Maradona gegen England im WM-Halbfinale 1986, das er mit der Hand erzielte). In Fabiettos Familie geht es italienisch chaotisch zu – die Tante, an die juvenile erotische Fantasien geknüpft sind, kann kein Kind bekommen und tickt zunehmend aus, Vater und Mutter haben trotz offensichtlicher Zärtlichkeit in ihrer Beziehung doch auch Probleme, die Fabietto bislang vorenthalten wurden, der Bruder ist ein Taugenichts, die restliche Verwandtschaft ein Skurrilitätenkabinett. Der Sommer vergeht, man geht schwimmen und spielt sich gegenseitig Streiche. In dieser ersten Hälfte ist der Film eine grandiose Liebeserklärung an die Familie und die Adoleszenz, wenn sich Fabietto allmählich zu einer eigenständigen Persönlichkeit entwickelt. Doch die unerträgliche Leichtigkeit des Seins ist nicht von langer Dauer, und bald bricht das Schicksal über Fabietto hinein. Ab diesem Zeitpunkt wird der Film schwer und schwermütig, auch ein wenig ziellos (was allerdings die Entwicklung der Figur widerspiegelt). Es ist ein harter Bruch, auf den man sich einstellen muss. Ich wäre gerne länger beim unbeschwerten Fabietto geblieben und hätte ihm und seiner Familie zugesehen, wie sie in den Tag hineinleben. Daher fällt die Bewertung auch etwas schaumgebremster aus als für „La Grande Bellezza“ oder auch „Youth“, die ich insgesamt für die konzentrierteren Filme halte. Nichtsdestotrotz ist „The Hand of God“ ein weiterer sehenswerter Film aus der Feder Sorrentinos, den man nicht verpassen sollte.


7,0 Kürbisse

(Bildzitat: Foto von JoJo Whilden/JoJo Whilden / Netflix – © 2022 © Netflix, Quelle http://www.imdb.com)

Salaryman (2021)

Regie: Allegra Pacheco
Original-Titel: Salaryman
Erscheinungsjahr: 2021
Genre: Dokumentation
IMDB-Link: Salaryman


Kein Wunder, dass S.T.S. in Japan nie groß wurden. Wer hätte unter diesen scheuen, arbeitswütigen, sich einem Ehrenkodex verpflichtet fühlenden Japanerinnen und Japanern schon die Textzeilen von „Irgendwann bleib i dann dort“ verstanden? „Doch bevor der Herzinfarkt / mi mit 40 in die Windln prackt / lieg i scho irgendwo am Strand / a Bottle Rotwein in der Hand / und steck die Fiaß in weißen Sand“. Niemals vereinbar mit der japanischen Arbeitsmoral! Die beißen die Herrschaften die Zähne zusammen, arbeiten als Sklaven ihrer Konzerne bis spät in die Nacht, trinken dann noch mit dem Chef oder mit Kollegen, und wenn sie Glück haben, schaffen sie es, sturzbetrunken in die letzte U-Bahn zu torkeln und zuhause zumindest drei, vier Stunden zu schlafen, ehe sich der Tag erneut wiederholt. Wer nicht so glücklich ist und länger feiert, als die U-Bahnen fahren, pennt einfach auf dem Gehsteig. Genau diese ihren Rausch ausschlafenden Anzugträger haben es der Costa Ricanerin Allegra Pacheco angetan. Was als Fotoprojekt begann – sie markierte mit Kreide die Umrisse der Schlafenden und fotografierte diese dann (probier das mal bei uns, so schnell kannst du gar nicht „DSGVO“ sagen, wie schon die Verwaltungsstrafe ins Haus flattert) – wuchs sich aus zu einem Dokumentarfilm, als sie begann, diese Leute zu interviewen. Das Resultat ist ein tiefer Einblick in die japanische Arbeitskultur und deren unmenschliche Auswüchse. Sie versucht auch, durch Interviews mit Historikern und Soziologen die Hintergründe dieser gewachsenen Kultur nachzuzeichnen, doch leider kommt gerade dieser interessante Part ein wenig zu kurz. Die Stärken ihres Films liegen eindeutig in diesen kleinen, intimen Porträts der „Salarymen“, die bis an die Grenzen der Belastungsgrenze und darüber hinaus gehen. Durchaus ein Film, der nachhallt. Und schön dann der nachgereichte Epilog, der aufzeigt, dass auch feste Krusten aufbrechen können.


7,0 Kürbisse

(Bildzitat: Quelle http://www.imdb.com)

Cuties (2021)

Regie: Theo W. Scott
Original-Titel: Cuties
Erscheinungsjahr: 2021
Genre: Kurzfilm, Animation, Experimentalfilm
IMDB-Link: Cuties


Der handgezeichnete Kurzfilm „Cuties“ von Theo W. Scott ist durchaus als ambitioniertes Projekt zu bezeichnen. Innerhalb von nur 5 Minuten möchte Scott die conditio humana herausarbeiten, die inhärent in uns liegende Grausamkeit, zu der wir fähig sind, eingebettet in nicht weniger als die gesamte Menschheitsgeschichte. Man muss schon einen veritablen Knall oder überbordendes Selbstvertrauen haben, um sich so etwas zuzutrauen. In welche Kategorie Theo W. Scott fällt, kann ich nicht beurteilen, aber ich ziehe zumindest meinen Hut vor so viel Chuzpe. Und im Großen und Ganzen glückt das Experiment auch. „Cuties“ ist ein bunter und blutiger Trip, fast schon wie ein vorgelagertes Echo auf „Unicorn Wars“, der im Anschluss an diesen Kurzfilm im Rahmen des SLASH Filmfestivals gezeigt wurde. Für meinen persönlichen Geschmack ist „Cuties“ etwas zu verspielt, zu chaotisch, weniger wäre hier mehr gewesen (was sich allerdings nicht auf die Dauer des Films bezieht), aber dennoch eine interessante, surreale Erfahrung.


6,0 Kürbisse

(Bildzitat: © Theo W. Scott, Quelle http://www.imdb.com)

Das Licht, aus dem die Träume sind (2021)

Regie: Pan Nalin
Original-Titel: Last Film Show
Erscheinungsjahr: 2021
Genre: Drama
IMDB-Link: Last Film Show


Von Pan Nalin habe ich vorher noch nie gehört, und so lag es an meinem Film-Buddy Der Filmgenuss, dass mir a) diese filmische Lücke bewusst wurde und ich b) sie sogleich schließen konnte. Bei Pan Nalin handelt es sich um einen renommierten indischen Filmemacher, der sich weit abseits kitschiger Bollywood-Filme bewegt. In „Last Film Show“ (auf Deutsch etwas schwülstig „Das Licht, aus dem die Träume sind“) lässt er den Sohn eines mittellosen Teeverkäufers aus der Provinz die Liebe zum Kino entdecken. Nachdem er aus einer Kinovorführung rausgeworfen wird, da er sich kein Ticket leisten konnte, freundet sich der junge Samay mit dem Vorführer Fazal an, der ihn die Geheimnisse lehrt, wie man das Licht fängt und daraus bewegte, tanzende Bilder entstehen lässt. Das klingt alles nach „Cinema Paradiso“ von Giuseppe Tornatore, ist aber dann doch etwas sehr Eigenes. Denn Pan Nalin würdigt nicht nur die Magie des Films, sondern gleichermaßen die analoge Technik, die dahintersteckt. Sein Samay (grandios gespielt von Nachwuchsdarsteller Bhavin Rabari) zeichnet den Weg des Films von Anfang an nach, als wäre er der 100 Jahre zu spät und auf dem falschen Kontinent geborene dritte Bruder Lumière. Mit Witz und Kreativität bauen er und seine Freunde schon bald die Apparate nach, die für eine solche Verzauberung sorgen. „Last Film Show“ ist ein sinnlicher Film, was nicht nur an der Weise liegt, wie Pan Nalin selbst das Licht einfängt und kunstvolle Tableaus kreiert, sondern auch daran, dass wirklich alle Sinne berührt werden – durch die Musik, die die Bilder perfekt untermalt, durch das fast schon erotische Zubereiten der dampfenden Speisen durch Samays Mutter, deren Düfte man förmlich durch die Leinwand riechen kann, durch die Hitze des indischen Subkontinents, die man auf der Haut zu spüren meint. Ein rundum schönes Erlebnis, eine Hommage an das Kino (mit gewitzt eingebauten Zitaten, die sich beispielsweise vor Stanley Kubrick oder Andrei Tarkowski verbeugen) und einer jener Filme, die nicht nur die Leinwand, auf der sie zu sehen sind, würdigen, sondern diese gar brauchen.


7,5 Kürbisse

(Bildzitat: Quelle http://www.imdb.com)

Der Engländer, der in den Bus stieg und bis ans Ende der Welt fuhr (2021)

Regie: Gillies MacKinnon
Original-Titel: The Last Bus
Erscheinungsjahr: 2021
Genre: Drama, Roadmovie
IMDB-Link: The Last Bus


Hach, ich hab’s hier ja schon öfter geschrieben, aber diese deutschen Titel … Was im englischen Original kurz und knackig „The Last Bus“ heißt, wird bei uns als „Der Engländer, der in den Bus stieg und bis ans Ende der Welt fuhr“ vermarktet. Demnächst im Kino zu sehen: „Die Polynesierin, die beim Krabbenessen die Antwort auf die Frage nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest fand, nach New York zog, wo sie eine bedeutende Wissenschaftlerin wurde, ehe sie in ihr Heimatdorf zurückkehrte und dort den Stammesvorsitz übernahm“ oder auch „Der Mistelbacher, der den Zug nahm, um in die große Stadt zu seiner Arbeitsstätte zu fahren, wo er den Tag bis zum Abend verbrachte und wieder nach Hause fuhr“. Diese Titel blähen einen Text einfach unnötig auf. Ihr merkt es selbst – so viele Zeilen und noch kein einziges Wort zu Gillies MacKinnons Roadmovie der entschleunigten Art. Darin macht sich ein über 90jähriger Rentner auf den Weg vom äußersten Zipfel Schottlands zum äußersten Zipfels Südengland, und das mit dem Bus. Man möchte meinen, Zeit hat der alte Knabe ja genug, aber genau die wird ihm knapp, was natürlich für Stress sorgt, wenn die Dinge nicht nach Fahrplan laufen. Aber immerhin gibt es dadurch ausreichend Möglichkeiten für zwischenmenschliche Begegnungen. Genau die entpuppen sich aber als größter Schwachpunkt des gutgemeinten, aber mäßig ausgeführten Rührstücks. Denn diese Begegnungen wirken beliebig, klischeeüberladen und tragen zur Entwicklung der Figur von Tom, dem reisenden Rentner, nichts bei. Er ist am Ende der Reise der gleiche wie zu Beginn. Immerhin erlauben es diese Szenen Timothy Spall, sein ganzes Können zu zeigen. Der Mitte 60jährige spielt den über 90 Jahre alten, gebrechlichen Tom mit Leib und Seele. In keinem Moment zweifelt man an, dass in der Rolle ein knapp 30 Jahre jüngerer Schauspieler steckt. Wobei, so eine große Kunst ist das vielleicht auch nicht. Nach einer Stunde Badminton nach längerer Pause schaue ich 40jähriger auch aus wie Mitte 70. Vielleicht war das Spalls Geheimnis, um in diese Rolle zu schlüpfen. Jedenfalls macht er seine Sache gut, und seine Darstellung hätte ein ebenbürtiges Drehbuch verdient gehabt.


5,5 Kürbisse

(Bildzitat: Foto von Scott Garfield – © 2022 CTMG, Quelle http://www.imdb.com)

Die Mitchells gegen die Maschinen (2021)

Regie: Mike Rianda
Original-Titel: The Mitchells vs. the Machines
Erscheinungsjahr: 2021
Genre: Animation
IMDB-Link: The Mitchells vs. the Machines


Die Oscar-Academy war der Meinung, Encanto wäre der beste Animationsfilm des Jahres und zeichnete diesen Ende März mit der begehrten Goldstatue aus. Nun, ich will ja nicht sagen, dass die Academy doof ist, aber sie ist doof. Denn „The Mitchell vs. the Machines“, das Regiedebüt von Mike Rianda, ist so viel besser als das süßliche „Encanto“, dass es fast schon eine Beleidigung ist, diesen Film nicht mit den höchsten Lorbeeren zu versehen. „The Mitchell vs. the Machines“ ist frech, hat eine unglaubliche Energie, unfassbar witzige, kreative Einfälle, sympathische und nachvollziehbare Charaktere – er ist einfach ein Fest für alle Freunde des animierten Films. Das ist der Film, den Pixar gerne gemacht hätte. Wenn man auf die Namen der Produzenten schaut und dort Phil Lord und Chris Miller sieht, weiß man auch, woher diese Kreativität und Energie kommt. Die beiden haben uns „The LEGO Movie“ und Spider-Man: Into the Spider-Verse beschert; nicht die schlechtesten Referenzen. Und so greift auch „The Mitchell vs. the Machines“ deren erfrischenden Ansatz auf, verschiedenste Stil- und Animationselemente miteinander zu verschmelzen und mit Zitaten und Anspielungen auf das große filmische Universum zu verweisen. Das wirkt vielleicht manchmal ein wenig, als wäre es für ein Publikum mit ADHS ausgerichtet, aber es sind vor allem die stillen Momente, die besonders überzeugen. Im Kern ist „The Mitchell vs. the Machines“ bei aller Action, wenn eine Durchschnittsfamilie die Robokalypse abwenden muss, eine sensibel erzählte Geschichte über familiäre Werte und Beziehungen. Eine glasklare Empfehlung, und hätte ich den Film schon letztes Jahr gesehen anstatt mich von dem bunten Filmplakat abschrecken zu lassen, wäre „The Mitchell vs. the Machines“ in meinen Top5 des Jahres gelandet. Aber das ist so ein Film, bei dem man sagen kann: Besser man sieht ihn spät als nie.


8,5 Kürbisse

(Bildzitat: © 2021 SPAI, Quelle http://www.imdb.com)