2022

Tár (2022)

Regie: Todd Field
Original-Titel: Tár
Erscheinungsjahr: 2022
Genre: Drama, Musikfilm
IMDB-Link: Tár


Lydia Tár ist ein Superstar der Klassikszene. Die stets eloquente wie elegante Dirigentin leitet als einzige Frau weltweit ein renommiertes Philharmoniker-Orchester, nämlich in Berlin. Dazu unterrichtet sie auf Hochschulen, gibt gefeierte Interviews auf großen Bühnen und bringt auch noch ein neues Buch heraus, in dem sie ihre Sicht auf Musik teilt. Privat ist sie mit ihrer ersten Violinistin verheiratet, mit der sie auch eine Tochter hat. Alles fein also, wären da nicht seltsame E-Mails, die ihre sichtlich verunsicherte Assistentin von einem ehemaligen Orchestermitglied empfängt. Lydia Tár hat für derartige Belanglosigkeiten jedoch keine Zeit und keinen Nerv, sie hat Wichtigeres vor, nämlich Mahlers 5. Symphonie neu einzuspielen. Und darüber hinaus eine junge, knackige Cellistin zu protegieren, die neu ins Orchester gekommen ist. Doch dann entwickeln sich die Dinge allmählich so, dass Tár die Kontrolle darüber verliert. Plötzlich wird sie von einem selbst verursachten Strudel in Richtung Abgrund gezogen. „Tár“ von Todd Field ist ein intelligentes und perfides Stück Kino und eine weitere Meisterleistung von Cate Blanchett in der Hauptrolle. Ihre Lydia Tár ist eine Frau, die sich mit Ellbogen nach oben kämpfen musste und die Bodenhaftung verloren hat. Der große Erfolg verleitet sie zur Annahme, einen unsichtbaren Schutzschild zu besitzen, an dem alles abprallt, wie man es so oft bei Menschen sieht, die über lange Jahre in Machtpositionen sitzen. Erinnerungen an Harvey Weinstein und andere tief Gefallene werden wach. Perfid ist „Tár“, weil er den Machtmissbrauch dem für gewöhnlich in solchen Situationen Machtloseren umhängt und gerade dadurch ein grelles Licht darauf wirft. Streng durchkomponiert wie ein Stück klassischer Musik seziert Todd Field in seinem Film diese Machtgefälle in der Kunst (natürlich auch auf alle anderen Bereiche übertragbar) und verfremdet seine Beobachtungen mit leicht surrealen Momenten der Bedrohung, die das Innenleben der Protagonistin sichtbar machen. Um so einen Film zu tragen, braucht es schon ein Kaliber wie Cate Blanchett, die einmal mehr zeigt, warum sie als eine der besten Schauspielerinnen ihrer Zeit gehandelt wird. In allen Belangen ist „Tár“ ganz große Kunst.


8,5 Kürbisse

(Bildzitat: Quelle http://www.imdb.com)

Everything Everywhere All at Once (2022)

Regie: Dan Kwan und Daniel Scheinert
Original-Titel: Everything Everywhere All at Once
Erscheinungsjahr: 2022
Genre: Komödie, Fantasy, Science Fiction, Drama
IMDB-Link: Everything Everywhere All at Once


Diesen Durchmarsch hätten im Vorfeld wohl nicht viele erwartet. Aber am Ende der Oscarnacht 2023 standen 7 Goldmännchen für „Everything Everywhere All at Once“ zu Buche: Für die beste Hauptdarstellerin (Michelle Yeoh, sehr verdient), den besten Nebendarsteller (Ke Huan Quan mit einem eindrucksvollen Schauspiel-Comeback), die beste Nebendarstellerin (Jamie Lee Curtis, die den Oscar, bei allem Respekt vor ihrer kleinen, aber feinen Rolle, wohl auch für ihr Lebenswerk zugestanden bekommen hat), für das beste Drehbuch, den besten Schnitt, die beste Regie (die Daniels, die mich schon mit ihrem Vorgängerwerk „Swiss Army Man“ begeistert haben) und nicht zuletzt für den besten Film. Andere Kaliber wie Spielbergs The Fabelmans oder das herausragende The Banshees of Inisherin mussten sich geschlagen geben. Doch ist der Hype nun gerechtfertigt? Wie so oft im Leben ist die Antwort weder ein klares Ja noch ein klares Nein. Jein halt, die Lieblingshaltung der diplomatischen (man könnte auch sagen: opportunistischen) Österreicher. Denn während der Film einerseits volle Punktzahl für Originalität und die stilistisch atemberaubende Umsetzung seiner Idee verdient, hat er dennoch auch seine Längen und Problemzonen. (Und damit meine ich nicht Jamie Lee Curtis‘ Hüftspeck.) Zu Beginn wird man als Zuseher ins kalte Wasser geworfen, und es dauert eine Weile, bis man sich in der Geschichte zurechtfindet. Doch ist man dann an diesem Punkt angelangt, zeigt der Film auch unnötige Längen. Über den Inhalt darf man eigentlich nicht zu viel verraten, um den Spaß nicht zu verderben, nur soviel: Michelle Yeoh als überforderte Wäschereibesitzerin stellt fest, dass nicht nur eloquente Zauberkünstler mit rotem Umhang durch Multiversen reisen können. „Everything Everywhere All at Once“ ist dem (intelligenten) Fantasy- bzw. Science Fiction-Genre zuzuordnen. Umso überraschender kam der Oscar-Regen, da die Academy bei Genrefilmen für gewöhnlich eher die Nase rümpft. Diese bedingungslose Detailarbeit, mit der die Daniels ihr Multiversum umsetzen, während sie zusätzlich auch noch eine herzergreifende Familiengeschichte einbauen, beeindruckt allerdings und ist aller Ehren wert. Dies lässt den Preisregen durchaus nachvollziehen. Für einen perfekten Film hätte man das Geschehen allerdings noch etwas straffen und den Zuseher von Beginn an mehr an die Hand nehmen können. Anstrengend ist das alles nämlich schon. Das größte Mysterium rund um den Film erzeugen aber nicht die Daniels, sondern Michelle Yeoh. Wie kann es sein, dass die schon über 60 ist? Die Frau hat Gene!


7,5 Kürbisse

(Bildzitat: Foto von Allyson Riggs, Quelle http://www.imdb.com)

Nawalny (2022)

Regie: Daniel Roher
Original-Titel: Navalny
Erscheinungsjahr: 2022
Genre: Dokumentation
IMDB-Link: Navalny


Alexei Nawalny ist kein Heiliger, wie seine bisherige politische Karriere und die Leute, mit denen er mitmarschiert ist, beweisen. Vielmehr ist er ein mit allen Wassern gewaschener Politiker, der immerhin ein hehres Ziel verfolgt: Russland von Korruption zu befreien und wieder zu demokratischen Werten zu führen. Nur ein winziges Problem stellt sich ihm dabei in den Weg: Vladimir Putin. Den Namen mag man schon mal gehört haben. Das ist der Typ mit dem Minderwertigkeitskomplex und der KGB-Vergangenheit, der der Meinung ist, dass die Ukraine zu einem großrussischen Reich gehört und den Ukrainern dies gerade mit zweifelhaften Methoden erklären möchte. Und dieser Möchtegern-Stalin verfügt dank seiner Macht über jede Menge Leute, die sich für ihn die Finger schmutzig machen. Und so findet sich Alexei Nawalny 2020 nach einer Veranstaltung in Sibirien plötzlich nicht im heimatlichen Moskau wieder, sondern nach Notlandung seines Flugzeugs mit Vergiftungserscheinungen in einem Krankenhaus. Dort springt er dem Tod gleich zum zweiten Mal in Folge von der Schippe, da sich die Ärzte wenig interessiert daran zeigen, ihn wieder zu heilen. Das müssen dann schon die Deutschen machen, die ihn ins Berliner Charité einfliegen lassen. Wieder bei Kräften, begibt sich Nawalny mit Unterstützung eines investigativen Recherchenetzwerks auf die Suche nach seinen Attentätern. Und wird fündig. „Nawalny“, dieses Jahr mit einem Oscar für die beste Dokumentation ausgezeichnet, beginnt relativ unspektakulär und dröge, und auch das Setting, Nawalny in einer Bar von sich erzählen zu lassen, steigert das Interesse zunächst nicht ins Unermessliche. Doch spätestens, wenn auf den Giftanschlag und die Folgen davon eingegangen wird, entspinnt sich ein spannender Krimi, der sich mehr und mehr steigert, gut getragen auch von Nawalnys beiläufigen sarkastischen Kommentaren. Man glaubt kaum seinen eigenen Augen und Ohren, wenn dann Nawalny und sein Team genüsslich die Hintergründe des Verbrechens aufdecken und die Attentäter auch noch am Nasenring durch die Arena zerren. Das ist wortwörtlich großes Kino.


7,5 Kürbisse

(Bildzitat: Quelle http://www.imdb.com)

Boston Strangler (2023)

Regie: Matt Ruskin
Original-Titel: Boston Strangler
Erscheinungsjahr: 2023
Genre: Drama, Krimi
IMDB-Link: Boston Strangler


In den 60er Jahren ermordete ein Unbekannter in Boston 13 Frauen durch Strangulieren. Wenig überraschend bezeichneten die Medien den Mörder als „Boston Strangler“. Schon eher überraschend ist die Tatsache, dass sowohl die Bezeichnung als auch die Berichterstattung auf zwei weibliche Journalistinnen zurückgeht, die einfach die Schnauze voll davon hatten, Produkttests von Toastern in ihrer Zeitung zu veröffentlichen. Die Ermittlungen rund um den Serienkiller markierten den Beginn des Ruhms der beiden Investigativjournalistinnen Loretta McLaughlin und Jean Cole, verkörpert von Keira Knightley und Carrie Coon. Sie haben es natürlich nicht leicht, stoßen sie doch nicht nur auf alltäglichen Sexismus und Rollenklischees, sondern auch auf wenig kooperative Ermittler bei der Polizei. Einzig Detective Conley (Alessandro Nivola) erweist sich als Hilfe, doch ist der Fall schwerer zu knacken als eine Walnuss mit Wattestäbchen. „Boston Strangler“ fokussiert trotz seines reißerischen Titels auf die Ermittlungsarbeit der beiden Journalistinnen und degradiert die Verdächtigen und mutmaßlichen Täter zu Randfiguren. Das ist schon okay so – nichts gegen ordentlich gemachte Journalistenarbeit, die auch sehr spannend sein kann, wie das jüngste Beispiel She Said beweist. Doch anders als der schlau inszenierte Thriller rund um den Weinstein-Skandal plätschert „Boston Strangler“ leider etwas unmotiviert und langsam vor sich hin. Ein wenig mehr Tempo hätte dem Film gut getan. Einzelne bedrohliche Szenarien bauen nur kurz Spannung auf, die dann nicht gehalten werden kann. So ist „Boston Strangler“ zwar kein schlechter Film, aber kaum einer, der lange im Gedächtnis bleiben wird.


5,5 Kürbisse

(Bildzitat: © 2022 Universal Studios and Amblin Entertainment, Quelle http://www.imdb.com)

Zack and Miri Make a Porno (2008)

Regie: Kevin Smith
Original-Titel: Zack and Miri Make a Porno
Erscheinungsjahr: 2008
Genre: Rom-Com, Komödie
IMDB-Link: Zack and Miri Make a Porno


Wenn ein Film zu „Wynona’s Big Brown Beaver“ von Primus beginnt, weiß man gleich einmal, wie hoch bzw. tief die Niveaulatte für die folgenden 1,5 Stunden hängt. Ein kurzer Blick auf den Regisseur, und der versierte Film-Aficionado kennt sich aus: Kevin Smith. König der herzhaft-zotigen Slacker-Komödien. „Dogma“ war so etwas wie ein stilistischer Ausreißer, aber auch dort wurde nicht immer mit Engelszungen gesprochen. Der Autor der New Jersey-Filme, in denen er als Silent Bob neben dem von Jason Mewes gespielten Jay wiederkehrende Auftritte pflegt, hat eben ein Herz für das Derbe. Mit Seth Rogen in einer der beiden Hauptrollen in „Zack and Miri Make a Porno“ findet er einen kongenialen Weggefährten, dem nichts fremd ist, was unter der Gürtellinie liegt. Überraschender ist da schon die Beteiligung von Elizabeth Banks in der zweiten Hauptrolle, aber auch die zeigt keine Berührungsängste mit dem Smith’schen Humor. Die Ausgangslage: Zack und Miri sind seit Jahren gut befreundet und wohnen zusammen, haben aber gröbere Geldnöte. Als ihnen Strom und Wasser abgedreht wird und ihnen zweiteres sprichwörtlich bis zum Hals steht, gehen sie den Weg aller Verzweifelten: Sie schütteln ihre Würde ab, die sich ohnehin nicht monetarisieren lässt, und entschließen sich, für Geld Sex zu haben. Ein Porno soll die Finanzmisere beenden. Mit einer rasch engagierten Chaos-Truppe in einem gemieteten, leider baufälligen Schuppen werden die ersten Takes zu „Star Whores“ gedreht, doch es kommt, man kann es schon erahnen, alles natürlich ganz anders als erhofft. Das Schlimmstmögliche passiert ihnen: Sie entdecken ihre Gefühle füreinander. „Zack and Miri Make a Porno“ ist, wenn man es genau betrachtet, eine klassische Rom-Com und folgt penibel den in diesem Genre üblichen Mustern. Durch den groben Humor ist das vielleicht kein Film, den man mit seiner Großmutter ansehen sollte, aber subtrahiert man alle Witze über Sex und Körperausscheidungen, bekommt man eine klassische Screwball-Komödie serviert. (Allerdings als Kurzfilm.) Man muss schon in der richtigen Stimmung sein, um mit den Zoten mitzugehen, aber dann ist der Film überraschend warmherzig und ein durchaus solider Genre-Vertreter.


6,0 Kürbisse

(Bildzitat: © 2022 Universal Studios and Amblin Entertainment, Quelle http://www.imdb.com)

Die Fabelmans (2022)

Regie: Steven Spielberg
Original-Titel: The Fabelmans
Erscheinungsjahr: 2022
Genre: Drama, Biopic
IMDB-Link: The Fabelmans


Hollywood liebt Filme über Hollywood. Und wenn dann noch einer der angesehensten Regisseure der Geschichte einen autobiographischen Film über seine Anfänge als Filmemacher dreht, verwundert es kaum, dass es Oscarnominierungen regnet. Nicht weniger als 7 Nominierungen heimste „Die Fabelmans“ bei der diesjährigen Verleihung ein. Zu einer Auszeichnung reichte es dann am Ende doch nicht, auch wenn man sich langsam die Frage stellt, was Michelle Williams noch alles tun muss, um endlich mal den verdienten Oscar in ihren Händen zu halten. Vielleicht hilft es, wenn sie sich in ein Bärenfell einwickelt und rohes Fleisch isst. Aber eigentlich müssen wir ja über Gabriel LaBelle reden, der als Spielbergs Alter Ego Sammy Fabelman in einem familiären Spannungsfeld zwischen Künstlern/Träumern (seine Mutter) und Wissenschaft (sein Vater) aufwächst. Schon früh entdeckt er seine Leidenschaft für den Film und kommt damit eindeutig nach der Mutter. Doch er stellt auch fest, dass der Film auch Wahrheiten aufdecken kann, die sonst vielleicht im Verborgenen geblieben wären. Sieht man von der übergeordneten autobiographischen Ebene ab, ist „Die Fabelmans“ in erster Linie ein Familiendrama und Coming-of-Age-Film, in dessen Zentrum ein zwischen zwei Welten hin- und hergerissener Jugendlicher steht, der seinen Platz erst finden muss. Die sensible Inszenierung fügt diesem vielbearbeiteten Thema allerdings eine gefühlvolle, fast nostalgische Note hinzu, die die doch recht ambitionierte Dauer von 2,5 Stunden gut trägt. Dazu bekommen die Zuseher einen Einblick in die originellen ersten handwerklichen Schritte des Jungregisseurs und so einen Blick hinter die Kulissen Hollywoods gestattet – wenn auch nur im Kleinen. Für einen ganz großen Wurf fehlen mir persönlich am Ende ein Gefühl von Dringlichkeit und Relevanz. Stattdessen gleitet der Film wie auf den Schienen, die zu Beginn den jungen Sammy inspirieren, dahin, was durchaus Spielbergs Meisterschaft aufzeigt, und doch fehlen die Kanten und die scharfen Stellen, an denen man sich verletzen kann.


7,0 Kürbisse

(Bildzitat: © 2022 Universal Studios and Amblin Entertainment, Quelle http://www.imdb.com)

An einem schönen Morgen (2022)

Regie: Mia Hansen-Løve
Original-Titel: Un beau matin
Erscheinungsjahr: 2022
Genre: Drama, Liebesfilm
IMDB-Link: Un beau matin


Hach, die Franzosen. Gelingt es ihnen, ihre übliche Geschwätzigkeit in Liebesdramen abzulegen, kommen richtig feine, sensible Filme heraus. Wie „An einem schönen Morgen“ von Mia Hansen-Løve. Die renommierte Regisseurin schickt hier die hochgeschätzte Léa Seydoux auf eine emotionale Achterbahnfahrt. Die jung verwitwete Übersetzerin Sandra muss sich nicht nur um ihre Tochter, sondern auch um ihren neurogenerativ erkrankten Vater (Pascal Greggory) kümmern, der am sogenannten Benson-Syndrom leidet. Bei dieser teuflischen Erkrankung, die Alzheimer-Kranke befallen kann, kann das Sehvermögen nicht mehr richtig im Hirn verarbeitet werden. Die Folge sind Demenz und schlimme Seheinschränkungen, man vergisst, und man vergisst, zu sehen. Gerade in der Phase, als die Familie entscheiden muss, wie sie mit dem Vater weiterverfährt; der nicht mehr allein leben kann, tritt ein alter Freund wieder in ihr Leben. Dieser ist mäßig glücklich verheiratet, hat selbst einen jungen Sohn, und macht Sandra, die jegliche Hoffnung auf ein eigenes Liebesleben schon aufgegeben hat, sichtlich Avancen. Jede Teilgeschichte für sich gäbe in diesem Film schon mal ein hochemotionales, auf die Tränendrüse drückendes Drama ab. Hansen-Løve hingegen ist nicht daran interessiert, ihre Figuren dem Mitleid der Zuseher:innen auszusetzen. Stattdessen bringt sie ein feinfühliges Beziehungsdrama auf die Leinwand, das verschiedene Facetten der Liebe beleuchtet. Das ist große Kunst, wenngleich mit dem Risiko des Scheiterns behaftet, wenn nicht der Cast 1A abliefert. Doch mit Léa Seydoux und Pascal Greggory hat Mia Hansen-Løve zwei Zugpferde, die ihre schwierigen Aufgaben eindrucksvoll meistern. Ganz großes Gefühlskino – und das im besten Sinne ohne Kitsch und Tränendrücken.


7,5 Kürbisse

(Bildzitat: © Les Films Pelléas, Quelle http://www.imdb.com)

See How They Run (2022)

Regie: Tom George
Original-Titel: See How They Run
Erscheinungsjahr: 2022
Genre: Komödie, Krimi
IMDB-Link: See How They Run


Es kommt alles wieder. Die 80er. Die 90er. Klassische Whodunit-Krimis. Letztere sicherlich beeinflusst vom Erfolg der Knives Out-Filme von Rian Johnson und den Neuauflagen der Hercule Poirot-Krimis unter der Regie von Kenneth Branagh. Hercule Poirot stammt übrigens aus der Feder von Agatha Christie, der Königin des Krimis, und so verwundert es wenig, dass nach allen Reminiszenzen und Hommagen nun mal Christie selbst einen Auftritt in einem Krimi haben darf – wenngleich auch nur als Randfigur, denn rund um ihr Stück „Die Mausefalle“, das demnächst filmisch adaptiert werden soll, steigt plötzlich die Todesrate rapide an. Zunächst erwischt es den von sich selbst sehr eingenommenen Hollywood-Regisseur Leo Köpernick (Adrien Brody), der selbst im Jenseits nicht den Schlapfen halten kann und das Geschehen weiterhin fröhlich kommentiert. Auftritt Inspector Stoppard (Sam Rockwell) und Polizeinovizin Stalker (Saoirse Ronan), die große Mühe haben, sich einen Reim auf den Mord zu machen. Vor allem Constable Stalker lässt sich zu obskuren Lösungsversuchen hinreißen, die zwar von großem Enthusiasmus zeugen, aber den Fall nicht vorwärts bringen. Inspector Stoppard hingegen ist wenig begeistert, einen Rookie an die Hand nehmen zu müssen, und zeigt generell wenig Eigeninitiative. Aber, wie es halt so ist in diesem Genre: das ungleiche Paar rauft sich allmählich zusammen und kommt dem Bösen auf die Schliche. „See How They Run“ ist lakonisch erzählt, hat aber ein Problem: Gerade durch diese Reduktion in der Tonalität sind einem Helden, Opfer und Schurken irgendwie egal. Allein die Figur von Saoirse Ronan zeigt Tiefe und ist ein wenig gegen den Strich gebürstet. Ihr folgt man gerne, dem Rest nicht so ganz. Und so ist der Film zwar beileibe nicht schlecht, schöpft seine Möglichkeiten aber nicht aus. Einige skurrile Momente und eben die immer großartige Ronan allein sind zu wenig für einen guten Film.


5,5 Kürbisse

(Bildzitat: Foto von Parisa Taghizadeh – © 2021 20th Century Studios All Rights Reserved, Quelle http://www.imdb.com)

The Menu (2022)

Regie: Mark Mylod
Original-Titel: The Menu
Erscheinungsjahr: 2022
Genre: Komödie, Satire, Thriller
IMDB-Link: The Menu


Für die Haute Cuisine muss man schon ein wenig einen Klescher haben, einen Poscher, eine Schraube locker (Übersetzung für die nördlichen Nachbarn). Da blecht man Hunderte von Euros, nur um zu essen. Aber ehrlicherweise: Wenn man einmal in den Genuss eines solchen Weltklassemenüs gekommen ist, kann man die Faszination dahinter nachvollziehen, denn plötzlich wird Essen zur Kunstform, und man trifft auf Geschmackskombinationen, die einem bislang völlig unbekannt waren. Würde ich das regelmäßig machen wollen? Nein. Dazu wäre mir das Geld zu schade. Doch hätte ich das Geld so locker sitzen wie die Gäste des fiktiven Nobelrestaurants Hawthorn, idyllisch auf einer einsamen Insel gelegen, würde ich mir das wohl öfter gönnen. Für Tyler (Nicholas Hoult), Fanboy der Haut Cuisine und großer Verehrer von Küchenchef Julian Slowik (Ralph Fiennes), geht ein Traum in Erfüllung, als er einen der begehrten Plätze zu einem Abendessen im Hawthorn ergattert. Seine Begleitung Margot (Anya Taylor-Joy) ist weniger beeindruckt, aber die junge Dame zieht mit und lässt sich vom enthusiastischen Tyler in die geheimnisvolle Welt der Spitzengastronomie einführen. In diesem Sinne fungiert das junge Paar als Tourguides für das außenstehende Publikum. Julian Slowik erweist sich schon bald als genialer, aber exzentrischer Kontrollfreak, der sein Menü bis ins kleinste Detail durchgeplant hat. Und er hat die eine oder andere Überraschung in petto. Bald schon sind die Gäste ins Abendessen involvierter, als sie sich das jemals hätten erträumen können. „The Menu“ ist ein bitterböser, schwarzhumoriger Film über das Ausloten und Überschreiten von Grenzen in einer Welt, die auf Extreme ausgerichtet ist. Wehe, dir brennt als Haubenkoch einmal die Suppe an – die Karriere ist ruiniert. Diese Extreme greift Mark Mylod in seinem Film auf und spielt sie bis zum bitteren Ende weiter. „The Menu“ ist einer der seltenen Filme, die sich auf abwegige Pfade begeben und sich dabei selbstbewusst auf ihre Wirkung verlassen, ohne ihre Handlung bis ins Detail erklären zu wollen. Ob satirische Allegorie auf die Verschwendungssucht unserer Zeit, zynischer Kommentar auf die Scheinwelt von Reich und Schön oder einfach eine schwarzhumorige Horrorkomödie – was auch immer das Publikum daraus mitnehmen möchte, bleibt den Zusehern überlassen. Angelegt ist alles, der Rest freie Interpretation und persönlicher Zugang. Und das finde ich großartig.


8,0 Kürbisse

(Bildzitat: Foto von Photo Credit: Eric Zachanowich/Eric Zachanowich – © 20th Century Studios. All Rights Reserved. All Rights Reserved, Quelle http://www.imdb.com)

Avatar: The Way of Water (2022)

Regie: James Cameron
Original-Titel: Avatar: The Way of Water
Erscheinungsjahr: 2022
Genre: Science Fiction, Abenteuerfilm
IMDB-Link: Avatar: The Way of Water


Der folgende Text ist in der Stimme von David Attenborough zu lesen: „Hier sehen Sie nun einen Na`vi-Familienverband. Um der Aufmerksamkeit ihrer natürlichen Feinde, der Sky People, zu entgehen, migriert diese Familie von den schützenden Höhlen des Berglands an die Küste und schließt sich einem fremden Verband an. Nach anfänglichen Schwierigkeiten, sich der neuen Lebensweise anzupassen, integriert sich die Familie schließlich mit Erfolg. Hier nun die Darstellung eines Initiationsritus, bei dem eines der jungen Mitglieder der Familie vom Nachwuchs des Häuptlings des Verbands vor eine Mutprobe gestellt wird. Im Zuge dessen erwirbt der junge Na’vi das Vertrauen eines Exemplars der Wasserspezies der Tulkun aus der Familie der Walartigen. Wie Sie sehen werden, geschätztes Publikum, wird diese aufkeimende Freundschaft später noch eine wichtige Rolle spielen. Aber nun richten Sie Ihre Aufmerksamkeit auf die sich nähernden Sky People, die mit unethischen Jagdmethoden versuchen, die migrierte Familie der Na’vi aus ihrem Versteck in eine offene Umgebung zu locken.“ Was James Cameron in diesem Leben wohl nicht mehr lernen wird, ist, komplexe Geschichten zu erzählen. Selbst seine Meisterwerke wie beispielsweise die ersten beiden Terminator-Filme verzichten in ihrem heroischen Versuch, das Publikum nicht zu überfordern, auf Kapriolen, die den Einsatz von Hirnwindungen erfordern. Teil 1: Roboter reist in die Vergangenheit, um eine Frau zu töten. End of story. Teil 2: Roboter reist in die Vergangenheit, um anderen Roboter daran zu hindern, den Sohn der Frau zu töten. End of story. Das hat super funktioniert. Man konnte sich dadurch auf die Action konzentrieren. (Ab Teil 3 und dem misslungenen Versuch, die Geschichte aufzupeppen, liefen die Dinge dann irgendwie aus dem Ruder.) Also ja, man braucht nicht unbedingt eine wahnsinnig gewundene, hochintellektuelle Geschichte, um einen guten Film zu drehen. Ein bisschen mehr Fleisch an den Rippen hätte „Avatar: The Way of Water“ allerdings vertragen. Das Ganze wirkt nun wie eine Naturdokumentation, die im Mittelteil durch eine Variation von „Moby Dick“ abgelöst wird, ehe James Cameron ein paar nicht benötigte Aufnahmen von Titanic findet, die er am Ende des Films wiederverwenden kann. Was immerhin bleibt, sind einige der eindrucksvollsten Bilder, die CGI jemals hervorgebracht hat. In diesem Aspekt des Filmemachens ist James Cameron ein Besessener, ein Getriebener, der Grenzen auslotet und überschreitet. Unbedingt auf einer großen Leinwand in 3D sehen, denn wie auch der erste Avatar-Film lebt der zweite Teil von seinen überragenden Bildern.


7,0 Kürbisse

(Bildzitat: Quelle http://www.imdb.com)