Aki Kaurismäki

Wolken ziehen vorüber (1996)

Regie: Aki Kaurismäki
Original-Titel: Kauas Pilvet Karkaavat
Erscheinungsjahr: 1996
Genre: Drama, Komödie
IMDB-Link: Kauas Pilvet Karkaavat


Die Kunst des Aki Kaurismäki besteht darin, dass er völlig banale, alltägliche Geschichten mit völlig banalen, alltäglichen Problemen erzählt, die durch seinen lakonischen Blick plötzlich sichtbar werden – und interessant. Man findet als Zuseher rasch eine Verbindung zu den Problemen, mit denen sich die Protagonisten herumschlagen müssen. In „Wolken ziehen vorüber“ ist es die Arbeitslosigkeit, die am verheirateten Paar Ilona (Kati Outinen) und Lauri (Kari Väänänen) nagt. Ilona war Kellnerin im Dubrovnik, einem altehrwürdigen Nobelrestaurant, das schon etwas in die Jahre gekommen ist und nun schließen musste, und Lauri, den Straßenbahnfahrer, treffen die Sparmaßnahmen der städtischen Verkehrsbetriebe. Die Aussichten sind nicht besonders rosig. Ilona ist mit fast 40 für viele potentielle Arbeitgeber zu alt, um noch im Service zu arbeiten, Lauri, der eigentlich zum Busfahrer umsatteln wollte, wird der Führerschein abgenommen. Es folgt der vorhersehbare, aber dennoch unaufhaltsame Fall. Alkohol. Eheprobleme. Diese Themen schneidet Kaurismäki an, und er beschönigt dabei nichts, wirft aber auch keinen voyeuristischen Blick darauf. Vielmehr sind Kaurismäkis Bilder immer mitfühlend. Und seine Helden wissen sich am Ende dann doch immer zu helfen. Sie nehmen ihr Leben in die Hand, manchmal mit ungeschickten Mitteln, manchmal impulsiv, aber am Ende sind es dann doch zumeist positive Beispiele, die uns Kaurismäki gibt. So auch Ilona und Lauri, die nach ihrer Fahrt durch die Hölle von Depression und Arbeitslosigkeit beschließen, ein eigenes Restaurant zu eröffnen und ihr Glück in die eigene Hand zu nehmen. „Wolken ziehen vorüber“ ist die Geschichte eines Falls und einer Wiederauferstehung. Diese Geschichte ist schmerzhaft und schön, traurig und witzig zugleich. Kaurismäki eben.


8,0
von 10 Kürbissen

Das Mädchen aus der Streichholzfabrik (1990)

Regie: Aki Kaurismäki
Original-Titel: Tulitikkutehtaan Tyttö
Erscheinungsjahr: 1990
Genre: Drama, Komödie, Krimi
IMDB-Link: Tulitikkutehtaan Tyttö


Einmal mehr steht in „Das Mädchen aus der Streichholzfabrik“ Aki Kaurismäkis Lieblingsdarstellerin Kati Outinen im Mittelpunkt. Sie spielt eine graue Maus, die am Fließband einer Streichholzfabrik arbeitet, zuhause bei den despotischen Eltern lebt und davon träumt, ein unbeschwertes Leben zu führen und einen Mann, der sie begehrt, kennenzulernen. Ihre Träume führen sie bis in ein Tanzlokal, in dem sie tatsächlich die Aufmerksamkeit eines jungen Mannes erregt, der sie auch prompt zu sich nach Hause einlädt. Doch was wie eine zarte Liebesgeschichte beginnt, entpuppt sich schon bald als Albtraum, denn der Herr ist keineswegs interessiert an einer langfristigen Liaison. Und so muss Iris, das Mädchen aus der Streichholzfabrik, schon bald wieder ihre Träume begraben. Doch dann wendet sich das Schicksal auf dramatische Weise. Viel passiert nicht in Kaurismäkis Film, mit dem er sich noch einmal der Arbeiterklasse zuwendet. Selbst für einen Kaurismäki-Film ist die Handlung sehr reduziert, und auch die Dialoge werden nur sehr spärlich eingesetzt. Viel passiert über Blicke, über Bewegungen, die Monotonie in Iris‘ Leben wird durch repetitive Aufnahmen (zB gleich zu Beginn, als der gesamte Prozess der Streichholzerzeugung gezeigt wird) unterstrichen. Und doch entwickelt man beim Ansehen ein tiefes Verständnis für die Figuren, für ihre Ängste und Sorgen und Hoffnungen. Das ist eine der ganz großen Stärken Kaurismäkis – diese Empathie für die Figuren, die sich auf die Zuseher überträgt. Allerdings ist „Das Mädchen aus der Streichholzfabrik“ sicherlich einer der trostloseren Arbeiten des finnischen Filmemachers. Der lakonische Humor blitzt zwar immer wieder durch, doch diesmal liegt der Fokus voll auf den großen Nöten der Hauptfigur. Von daher ist „Das Mädchen aus der Streichholzfabrik“ ein weiterer sehr gelungener Film, steht für mich mit seiner Tristesse ein wenig zurück hinter meinen persönlichen Lieblingsfilmen des Meisters der Lakonie und Reduktion.


7,0
von 10 Kürbissen

Crime and Punishment (1983)

Regie: Aki Kaurismäki
Original-Titel: Rikos ja Rangaistus
Erscheinungsjahr: 1983
Genre: Krimi, Drama
IMDB-Link: Rikos ja Rangaistus


Sich als Debütfilm die Verfilmung des bekanntesten Dostojewski-Wälzers „Schuld und Sühne“ vorzunehmen, erfordert schon eine gewisse Selbstsicherheit. Kaurismäki scheint diese jedenfalls zu haben. Schon sein erster Langfilm weist die für Kaurismäki typische Lakonie auf. Raskolnikow, der Russe, wird in der modernen Adaption zum Finnen Rahikainen, die Pfandleiherin, in der Raskolnikow die „Laus“ sieht, die man beseitigen darf, zum Industriellen Honkanen, die Motive verlagern sich ein wenig von der Rechtfertigung eines Mordes aus „Übermenschen-Sicht“ zu persönlicheren Hintergründen, die zufällig hinzugestoßene Augenzeugin (im Roman die Schwester des Mordopfers, im Film die Mitarbeiterin eines Catering-Service) wird bei Kaurismäki verschont – die Interpretation des Romans ist sehr frei, was Kaurismäki erlaubt, seinen eigenen, ganz persönlichen Blick auf die Frage nach Moral, Verbrechen und Strafe zu werfen. Wie auch Dostojewskis Raskolnikow plagt den „zufälligen“ Mörder Rahikainen (sehr eindringlich gespielt von Markku Toikka) bald schon das Gewissen. So kaltblütig wie in der Theorie ist der Mensch nun doch nicht. Und auch das Katz-und-Maus-Spiel mit den Ermittlern rückt immer mehr in das Zentrum der Handlung. Dabei bleibt Kaurismäkis Blick aber – wie für ihn üblich – distanziert. Was im Gegensatz zu seinen späteren Werken noch fehlt, ist der für ihn typische lakonische Humor. Allein der grandiose Matti Pellonpää in einer Nebenrolle sorgt für gelegentliche Auflockerung. Ansonsten ist „Crime and Punishment“ eine sehr ernsthafte Angelegenheit, die stellenweise auch etwas mühsam wird mit ihrem langsamen Tempo und der Distanz, die sich zwischen Protagonisten und Zusehern aufbaut. Es ist eben doch nicht so einfach, eines der psychologisch ausgefeiltesten Werke der Literaturgeschichte auf 1,5 Stunden Filmrolle zu packen. Aber allein schon für das mutige Unterfangen, den respektvollen, aber sehr eigenen und selbstsicheren Umgang mit dem Stoff und der Tatsache, dass Kaurismäki daran zumindest nicht gescheitert ist, gebührt dem Mann Applaus.


6,0
von 10 Kürbissen

Leningrad Cowboys Go America (1989)

Regie: Aki Kaurismäki
Original-Titel: Leningrad Cowboys Go America
Erscheinungsjahr: 1989
Genre: Komödie, Roadmovie, Musikfilm, Satire
IMDB-Link: Leningrad Cowboys Go America


Diesen Film muss man erst einmal sacken lassen. Der braucht eine Weile, um kognitiv verarbeitet zu werden. Aber weil es eh irgendwie wurscht ist, kann man eine Filmkritik auch nach Art der Leningrad Cowboys schreiben, nach dem Motto „Scheiß drauf, wir machen das jetzt einfach“. Denn so funktioniert der Film, so funktionieren die Leningrad Cowboys. Gerade noch in der finnischen Tundra von einem Plattenchef abgelehnt worden mit dem Hinweis, „Geht nach Amerika, die kaufen dort jeden Scheiß“, sitzen sie  mit ihren imposanten Haartollen schon im Flugzeug, den beim Üben im Freien erfrorenen Bassisten im Gepäck, und machen das Land der unbegrenzten Möglichkeiten unsicher. Und weil das Land eben unbegrenzte Möglichkeiten bietet, spielt man von Rock’n’Roll über Country alles, was gerade verlangt wird. So richtig zündet die Mischung aus stoischer Coolness, Haargel und Posaunen nicht beim Publikum, aber man schlägt sich durch, bis man schließlich in Mexiko groß aufspielt. Und das, obwohl es manchmal vom diktatorischen Manager (Matti Pellonpää) nur rohe Zwiebeln zum Essen gibt, während er sich saftige Filetsteaks hineinzieht. Man kommt nie aus dem Takt. Ein bisschen ist „Leningrad Cowboys Go America“ die satirische und durch und durch finnische Antwort auf die Blues Brothers, die wiederum selbst ein satirischer Kommentar auf die Musikszene in den USA sind. Die Blues Brothers sind schon irre, aber gegen die Leningrad Cowboys erscheinen sie zahm wie die Wiener Sängerknaben. Nicht jeder Witz dieses episodenhaft angelegten Klamauk zündet, aber irgendwie ist das egal, denn allein schon die Frisuren sorgen dafür, dass man die ganze Zeit über Spaß hat. Und weil das mit den Frisuren so gut funktioniert hat, wurde aus der von Kaurismäki erdachten fiktiven Band tatsächlich eine echte mit breiter Fanbasis über den ganzen Planeten. Life imitates art.

(Dieser Film ist als Reiseetappe # 48 Teil meiner Filmreisechallenge 2018. Mehr darüber hier.)


7,0
von 10 Kürbissen

Schatten im Paradies (1986)

Regie: Aki Kaurismäki
Original-Titel: Varjoja Paratiisissa
Erscheinungsjahr: 1986
Genre: Komödie, Liebesfilm
IMDB-Link: Varjoja Paratiisissa


„Schatten im Paradies“ ist ein Film wie Janne Ahonen. Für all jene, die nicht so wintersportbewandert sind: Janne Ahonen ist für mich der finnischste Finne aller Zeiten. Quod erat demonstrandum. Es geht um den Müllwagenfahrer Nikander (Matti Pellonpää), der einen neuen Freund und Kollegen findet (Sakari Kuosmanen) und sich in die Supermarktkassiererin Ilona (Kati Outinen) verschaut. Diese hat ein kleines Problem: Als sie gefeuert wird, stiehlt sie aus Frust und Rachegelüsten die unbewachte Kasse. Gemeinsam mit Nikander, mit dem sie einmal ein schief gelaufenes Date hatte, aber der halt nun eben da ist, macht sie sich auf den Weg, und tatsächlich kann ihr Nikander aus der Patsche helfen. Auftakt zu einer fragilen Beziehung, denn der stoische Schüchterne ist nicht unbedingt 1A-Beziehungsmaterial. Der Humor des Films liegt in seiner unglaublichen Lakonie. Der Witz ist subtil und staubtrocken. Beispielhaft dieser Dialog, als ein Kollege von Nikander, der sich mit einem eigenen Mülldienst selbstständig machen möchte, diesem den Werbeslogan vorstellt (man beachte das Erscheinungsjahr des Films): „Verlässliche Müllbeseitigung seit 1986!“ – „Aber das ist jetzt.“ – „Genau. Es erregt Aufmerksamkeit.“ – „Das ist sehr schlau.“ Entweder man kringelt sich da kichernd in den Kinosessel ein, oder man stellt in Momenten wie diesen fest, dass Kaurismäki nichts für einen ist. Ich gehöre zur ersten Gruppe. Was ich an diesem Film so wunderbar fand, ist der liebevolle Blick von Kaurismäki auf seine Figuren. Sie sind Außenseiter, sie haben Marotten, bei denen man sich durchaus auch einmal fremdschämt, sie wissen nicht so recht, wie sie umgehen sollen mit ihren Gefühlen und Bedürfnissen, die sich oft als blankes Entsetzen in ihren Blicken spiegeln, aber Kaurismäki nutzt sie nicht aus, er gibt sie nie der Lächerlichkeit preis. Im Gegenteil, er solidarisiert sich mit ihnen, setzt ihnen ein Denkmal. Am Ende sind diese alltäglichen, überforderten Figuren auf ihre Weise Helden, und man möchte aufspringen, um ihnen zu applaudieren. „Aber wie können wir allein von deinem Einkommen leben?“ (Ohne die Miene zu verziehen:) „Small Potatoes.“ Mehr braucht es nicht.

 


8,5
von 10 Kürbissen

Die andere Seite der Hoffnung (2017)

Regie: Aki Kaurismäki
Original-Titel: Toivon tuolla puolen
Erscheinungsjahr: 2017
Genre: Komödie, Drama
IMDB-Link: Toivon tuolla puolen


„Die andere Seite der Hoffnung“, mein erster Kaurismäki überhaupt, erzählt zwei Geschichten, die beide von Flucht und Neuanfang handeln, parallel: Jene des syrischen Flüchtlings Khaled, den das Schicksal nach Finnland verschlägt und der dort um Asyl ansucht, und jene des Geschäftsmannes Wikström, der eines Tages seine Frau verlässt, um als Restaurantbesitzer neu anzufangen. Die beiden Wege, die unterschiedlicher nicht sein könnten, kreuzen sich irgendwann auch. Untermalt werden die beiden Lebensgeschichten von einem unglaublich trockenen, sehr lakonischen Humor, der sicherlich nicht Jedermanns Sache ist. Meine ist sie schon. Die an sich sehr tragischen Geschichten bekommen dadurch herrlich absurde Untertöne, und selbst wenn die Nazis der Finnischen Befreiungsarmee auftauchen und man eigentlich um das Leben des sympathischen Khaled fürchten muss und sich gleichzeitig stellvertretend schämt für all das rechte Gesöcks, das unsere westlichen Wohlstandsgesellschaften zu Orten der Barbarei macht, so darf dennoch auch immer ein wenig geschmunzelt werden, denn Kaurismäki schafft es, selbst den ernsten Szenen einen Anflug von Leichtigkeit zu verleihen, die diese erträglicher macht. Allerdings bleibt der Film in seiner Botschaft für mich dennoch ein wenig unentschlossen. Ja, er erzählt von der Würde des Menschen und von Solidarität, aber bei all der Leichtigkeit des Tonfalls scheint der Film an manchen Stellen, v.a. am Ende, auf die Schwere seines Themas zu vergessen bzw. diese wegwischen zu wollen. Dadurch ist der Film zwar durchgängig sehr sehenswert und unterhaltsam, aber ein bisschen mehr Konsequenz hätte ich mir schon gewünscht. Trotzdem: Ein guter und meistens positiver und auf eine lakonische Weise sehr menschlicher Film ist „Die andere Seite der Hoffnung“ allemal.


7,0
von 10 Kürbissen

(Foto: Stadtkino)