Angela Schanelec

Ich war zuhause, aber … (2019)

Regie: Angela Schanelec
Original-Titel: Ich war zuhause, aber …
Erscheinungsjahr: 2019
Genre: Drama
IMDB-Link: Ich war zuhause, aber …


Der silberne Bär in Berlin für die beste Regie. Die Kritiker überschlagen sich mit Lob. Es ist nur Gutes über Angela Schanelecs „Ich war zuhause, aber …“ zu lesen. Dementsprechend gespannt war ich auf die Sichtung dieses Films, zumal ich ja schon einige Filme von Schanelec gesehen habe – mal mit mehr Interesse, mal mit weniger. Leider funktioniert aber ausgerechnet nun das hochgelobte neue Werk für mich überhaupt, nicht, auch wenn ich seine unbestrittenen Qualitäten erkennen kann. Schanelec perfektioniert hierin ihre sehr eigentümliche Weise, sich filmisch mit der Welt auseinanderzusetzen. Da treffen autobiographische Bezüge auf die Form des Essays, da vermischen sich die Theatralik der Sprache mit der Alltagswelt. All das ist hier stringent und durchdacht – und trotzdem oder vielleicht gerade deswegen war „Ich war zuhause, aber …“ ein Film, den ich am liebsten vorzeitig verlassen hätte. Und ja, es liegt an mir, nicht am Film. Aber ich gehöre zu jenen Film-Aficionados, die ein Mindestmaß an Geschichte brauchen und eine Entwicklung, wie subtil auch immer, spüren möchten, um sich in einen Film hineinfallen zu lassen. Das verwehrt mir Angela Schanelec in ihrem neuesten Film komplett. So haben mich andere Werke wie Orly oder Marseille noch interessiert, da gab es Figuren, mit denen ich mitfühlen konnte, da gab es Figuren, bei denen ich unter der abweisenden Oberfläche so etwas wie ein inneres Verlangen nach Leben gespürt habe – in „Ich war zuhause, aber …“ jedoch sind die Figuren fast ausschließlich reduziert auf ihre Funktion als Projektionsflächen für Ideen rund um Sprache, Theater, Verlust und Verlustangst. Das ist mir persönlich zu wenig. Und so kann ich mich (leider) nicht in den allgemeinen Lobgesang einfügen. Ich war zuhause, aber hätte der Postbote geläutet mit der DVD von Schanelecs Film, ich hätte ihm nicht aufgemacht.


3,0
von 10 Kürbissen

(Foto: Viennale)

Nachmittag (2007)

Regie: Angela Schanelec
Original-Titel: Nachmittag
Erscheinungsjahr: 2007
Genre: Drama
IMDB-Link: Nachmittag


Noch einmal Angela Schanelec. Gleich im Anschluss zu ihrem Marseille zeigte die Viennale im Rahmen der Monografie den Film „Nachmittag“ aus dem Jahr 2007. Lose basierend auf Motiven von Tschechows „Die Möwe“ erzählt Schanelec von sechs Menschen, die in einem Ferienhaus am See voneinander wegdriften. Da wäre einmal die Theaterschauspielerin Irene, gespielt von Angela Schanelec selbst, die mit ihrem neuen Freund Max (Mark Waschke) ihren älteren Bruder Alex (Fritz Schediwy) besucht. Ihr Sohn Konstantin (Jirka Zett), ein Schriftsteller, wohnt bei ihm. Dazu kommt noch Konstantins Nachbarin und Freundin Agnes (Miriam Horwitz) und deren junge Schwester Mimmi (Agnes Schanelec), die irgendwie als Bindeglied zwischen den Figuren herhalten muss. Man trifft sich auf der Terrasse, schaut den im Wind wogenden Blättern zu und rezitiert Sätze, die so gestochen sind, dass selbst Tschechow Ewigkeiten an ihnen gefeilt hätte. Da ist sie wieder, die Schanelec’sche Lebensbühne. Anders als in „Marseille“ geht hier die Rechnung aber nicht auf. Denn eingesperrt in diesen kleinen Raum mit fast keinem Bewegungsradius und auch kaum einer Möglichkeit, Emotionen in die scharfkantigen Sätze zu legen, bemühen sich die Schauspielerinnen und Schauspieler zwar nach Kräften, das Werk am Laufen zu halten, werden aber vom Drehbuch erdrückt, das ein bisschen mehr sein will als es letztlich ist. Vielleicht gehen die Verletzungen, die sich die Figuren zufügen, einfach nicht tief genug, sind vielleicht zu banal, als dass der Film das Ende, auf das er letztlich zusteuert, rechtfertigen könnte.  Vielleicht liegt es auch daran, dass alle Figuren den gleichen Schwermut in sich tragen und somit undifferenziert bleiben. Auch wenn ich die künstlerische Intention hinter dem Film erkennen kann, ist „Nachmittag“ leider nur in seltenen Fällen interessant.


4,5
von 10 Kürbissen

(Foto: Viennale)

Marseille (2004)

Regie: Angela Schanelec
Original-Titel: Marseille
Erscheinungsjahr: 2004
Genre: Drama
IMDB-Link: Marseille


Die Berliner Schule. Zusammengefasst kann man die so beschreiben: Menschen gehen in Bars oder stehen am Fenster, schweigen sich minutenlang an, um dann einen höchst philosophischen Satz von sich zu geben, der von ihrem Gegenüber (in der Bar oder auf dem Nachbarbalkon) eine vielsagende Replik erfährt. Dann wird wieder geschwiegen, und gelegentlich rauscht der Wind durch die Blätter. Am Ende fährt jemand mit dem Auto. Angela Schanelec ist im besten wie im schlimmsten Sinne eine würdige Vertreterin dieser Filmströmung. Mal funktioniert das Konzept für mich (siehe Orly), mal nicht (siehe Mein langsames Leben). „Marseille“ aus dem Jahr 2004 gehört zu den Filmen, die mich interessiert haben und mein Interesse halten konnte, auch wenn 1,5 Stunden lang nichts passiert. Die Berliner Fotografin Sophie (Maren Eggert) fährt für zwei Wochen nach Marseille, weil sie mit einer Marseillerin die Wohnung getauscht hat. Sie trifft auf den charmanten Mechaniker Pierre (Alexis Loret) und spaziert durch die Stadt. Eine bloße Existenz ohne Verpflichtungen, aber auch ohne Antrieb. Schnitt. Zurück in Berlin schlägt sie sich mit dem Alltag herum, mit den Beziehungsproblemen ihrer besten Freundin (Marie-Lou Sellem) mit ihrem Freund (Devid Striesow). Der Alltag besteht aus Missverständnissen und Nichtigkeiten. Eine Sehnsucht schleicht sich auf leisen Füßen in die Szenerie. Und das wäre dann auch schon der ganze Film. Inszeniert ist das alles – wie für Schanelec üblich – in den Dialogen höchst artifiziell. Das Leben als Theater. Wenn man sich darauf einlassen kann, entdeckt man in den Zwischenräumen das, worauf Angela Schanelec (vielleicht) hinauswollte: Die Schwierigkeit, Kontakt zu anderen Menschen aufzunehmen und diesen zu halten, denn überall lauert das Missverständnis, die Nichtigkeit, der Alltag eben. Wenn man sich aber nicht darauf einlassen kann, wird so ein Film allerdings zu einer extrem mühsamen Angelegenheit.


6,0
von 10 Kürbissen

(Foto: Viennale)

Mein langsames Leben (2001)

Regie: Angela Schanelec
Original-Titel: Mein langsames Leben
Erscheinungsjahr: 2001
Genre: Drama
IMDB-Link: Mein langsames Leben


Von der Kritik wurde Angela Schanelecs dritter Langfilm, „Mein langsames Leben“, begeistert aufgenommen. Als einer der herausragendsten deutschen Filme des Jahrzehnts wird er zum Beispiel auf critic.de bezeichnet, als „Meisterwerk, wie es das deutsche Kino lange keines hervorgebracht hat“ vom renommierten Filmkritiker Ekkehard Knörer. Wieder lässt Schanelec ihre Kamera einfach auf alltägliche Menschen und Situationen draufhalten. Deren verbindendes Element ist Valerie (Ursina Lardi). Um sie und die Menschen in ihrem Umfeld geht es – ihre Freundin, mit der sie sich gleich zu Beginn trifft, bevor diese für ein halbes Jahr nach Rom zieht, ihr neuer Freund Thomas, dessen Schwester Marie, die jung heiratet – es wird keine Geschichte erzählt, es werden nicht einmal viele kleine Geschichten erzählt. Stattdessen lässt Schanelec ihre Figuren einfach einen Sommer lang miteinander agieren und versucht ihnen auf diese Weise näher zu kommen. Damit erhebt Schanelec mit ihrem Film einen Anspruch auf Authentizität, den sie aber, womit wir bei dem Problem sind, das ich mit diesem Film habe, nicht wirklich einlöst. Das liegt in meinen Augen (oder besser gesagt: in meinen Ohren) an den Dialogen. Geschliffen kommen sie daher, in ganzen Sätzen und mit perfekt eingesetzten Nebensätzen. Anders als in den Filmen einer weiteren Filmschaffenden der neuen Berliner Schule, nämlich der von mir so geschätzten Valeska Grisebach, wird hier Schriftsprache gesprochen, und zwar ausnahmslos von jeder Figur, die somit plötzlich austauschbar klingen. Ohne größere Schwierigkeiten kann man sich vorstellen, einen gerade gesagten Satz einer völlig anderen Figur in den Mund zu legen. Und damit hat mich der Film verloren, denn ich nehme ihm die Figuren nicht länger ab. Das ist für einen Film, der allein darauf abzielt, glaubwürdig zu sein, der Todesstoß.


4,5
von 10 Kürbissen

Orly (2010)

Regie: Angela Schanelec
Original-Titel: Orly
Erscheinungsjahr: 2010
Genre: Episodenfilm
IMDB-Link: Orly


Was für ein Glück, dass Angela Schanelec ihren Episodenfilm nicht am Flughafen Charles de Gaulles gedreht hat, sondern am Flughafen Orly. Andernfalls wäre ich nämlich sehr voreingenommen in die Sichtung gegangen. Charles de Gaulles ist nämlich mein erklärter Erzfeind unter den Flughäfen. Ich mag ihn nicht, und er mag mich nicht. Weshalb er immer wieder meine Koffer verschludert oder mich auf der Suche nach dem richtigen Gate zu obskuren Sprints nötigt durch Gänge, die noch ein Passagier zuvor gesehen hat. Zu Orly hingegen habe ich keine Meinung, Orly ist neutrale Zone. Und damit wären wir dann auch gewissermaßen schon beim Thema von Schanelecs Film. Denn der besteht fast ausschließlich darin, dass die Kamera (oft via Teleobjektiv) auf einzelne Passagiere drauf hält, die auf ihren Flug warten. Und dabei entwickeln sich langsam unaufgeregte Geschichten – von einem Musikproduzenten, der zurück nach Paris ziehen möchte, um seinem Sohn näher zu sein, von einer Französin, die zu ihrem Mann nach Montréal gezogen ist und dort nicht wirklich glücklich ist, von einem Jungen mit seiner Mutter und ihren überraschenden gegenseitigen Bekenntnissen, von einem deutschen Paar, bei dem er auf den flüchtigen Blick, den die Kamera zulässt, gelangweilt wirkt von der Beziehung. Nichts davon ist spektakulär oder auch per se besonders interessant. Aber in Summe schält sich da ein Muster heraus, ein verbindendes Element: Ein Flughafen ist verbunden mit Aufbrüchen und Ankünften, mit den kleinen und größeren Wendepunkten im Leben. Angela Schanelec macht diese hier sichtbar. Man muss wohl in der richtigen Stimmung sein für diesen langsamen Film mit seinen alltäglichen Geschichten, und man sollte auch nicht müde sein, denn ein Reißer ist der Film definitiv nicht, aber wenn man es schafft, sich darauf einzulassen, wirkt er doch überraschend nach.


6,0
von 10 Kürbissen