Berlinale 2018

Madeline’s Madeline (2018)

Regie: Josephine Decker
Original-Titel: Madeline’s Madeline
Erscheinungsjahr: 2018
Genre: Drama
IMDB-Link: Madeline’s Madeline


Ich muss zugeben: Die erste halbe Stunde von „Madeline’s Madeline“ fand ich einfach nur furchtbar nervig. Ich dachte, ich hätte mein Berlinale-Lowlight mit dem letzten gesichteten Film nun tatsächlich gefunden bzw. noch einmal unterboten. Dann jedoch begriff ich etwas: In „Madeline’s Madeline“ sind ausnahmslos alle Protagonistinnen und Protagonisten völlig irre. Nicht nur die 16jährige Titelfigur Madeline, die Schauspielerin sein möchte, dabei aber in ihrer geistigen bzw. seelischen Erkrankung immer wieder getriggert wird, sondern wirklich alle. Ohne Ausnahme. Alle gaga. Die überfürsorgliche Mutter, die Madeline nicht unter Kontrolle hat und auf sie reagiert wie ein verletztes, trotziges Kind. Die schwangere Projektleiterin am Theater, die ihre fehlende Autorität durch anbiederndes, unpassendes Verhalten kompensieren möchte. Die Schauspielkolleginnen und -kollegen, die merken, dass etwas total aus dem Ruder läuft, aber nichts dagegen tun – im Gegenteil, die Situation noch einmal verschärfen. Alle haben einen veritablen Dachschaden, und so schaukelt sich das Ganze zu einem wahnsinnigen emotionalen Chaos hoch, bei dem Madeline in ihrem Verhalten noch mal bestärkt wird. Am Ende wird die ganze Geschichte zu einem surrealistischen Machtkampf, und man weiß gar nicht, was man sich dafür als Ergebnis wünschen sollte. Aber sobald man begriffen hat, dass „Madeline’s Madeline“ ein eineinhalbstündiges Ausleben sämtlicher denkbarer und undenkbarer Neurosen auf allen Ebenen ist, kann man richtig Spaß haben mit dem Film. Denn dann sieht man Egos, die ungebremst aufeinander knallen, und man hört Worte, die messerscharf durch Seelen schneiden. Ein wirklich interessanter Film, der aber auch richtig nerven kann.


6,5
von 10 Kürbissen

(Foto: (c) Ashley Connor)

Facing the Wind (2018)

Regie: Meritxell Colell Aparicio
Original-Titel: Con el Viento
Erscheinungsjahr: 2018
Genre: Drama
IMDB-Link: Con el Viento


Die in Argentinien lebende Tänzerin Mónica erfährt, dass ihr Vater in Kastilien im Sterben liegt. Sofort reist sie los, um ihn zu sehen, kommt aber zu spät. Sie bleibt für die nächsten Wochen bei ihrer Mutter, die mit dem Schicksalsschlag erstaunlich gut und gefasst umgeht, und die das Haus verkaufen möchte, das ihr nun einerseits zu groß geworden ist und andererseits so voller Erinnerungen ist. Mónicas Schwester und Nichte helfen dabei, doch die größte emotionale Stütze ist erst einmal Mónica selbst, die vom Gefühl angetrieben wird, aufgrund ihrer langen Abwesenheit eine Schuld begleichen zu müssen. „Con el Viento“ ist ein sehr leiser, unaufdringlicher und authentischer Film darüber, wie das Leben nach dem Tod eines Familienangehörigen weitergeht. Es geht darum, sich als Familie neu zu finden und zu definieren, und die Normalität wieder aufzugreifen, die kurzfristig verloren ging. Leider erzählt Meritxell Colell Aparicio, die Regisseurin, die Geschichte so unaufgeregt, dass sie schlicht langweilig wirkt. Man sieht die Protagonistinnen beim Putzen eines Fahrrads, beim Kartenspielen, beim Holzhacken. All das dient natürlich der Intention, dieses Weitermachen, diesen Weg zurück in die Normalität zu zeigen, doch ist es per se einfach nicht interessant genug, um das Publikum emotional abzuholen. Da nützt es auch nur wenig, dass die Laiendarstellerinnen durch die Bank tolle Leistungen abliefern, allen voran Concha Canal als Witwe. All das, was hier auf der Leinwand gezeigt wird, ist absolut nachvollziehbar und in sich stimmig, aber es ist einfach keine Geschichte. So ist „Con el Viento“ eine gut gemeinte, aber leider mühsame Angelegenheit.


4,5
von 10 Kürbissen

Theatre of War (2018)

Regie: Lola Arias
Original-Titel: Teatro de Guerra
Erscheinungsjahr: 2018
Genre: Dokumentation
IMDB-Link: Teatro de Guerra


Von April bis Juni 1982 standen sich Argentinien und Großbritannien als Gegner im Falklandkrieg gegenüber. 35 Jahre später lädt die argentinische Filmemacherin Lola Arias Veteranen von beiden Seiten zu einem Projekt ein. Es geht darum, den Krieg, bei dem insgesamt etwa 1.000 Soldaten ihr Leben gelassen haben, gemeinsam aufzuarbeiten. Szenen aus den Erinnerungen der Soldaten werden nachgespielt, die Soldaten selbst erzählen von ihren eindringlichsten Momenten. Man merkt, dass viele seelische Wunden tief sitzen und längst nicht verheilt sind. Gleichzeitig sieht man auch, mit wie viel Respekt voreinander die ehemaligen Feinde miteinander umgehen. Es ist eine freundschaftliche Atmosphäre, die am Set entsteht, getragen von gemeinsamen Erinnerungen und Traumata. Was hierbei schnell klar wird: Im Krieg gibt es keine Gewinner und Verlierer, es gibt keine sich hassenden Feinde, sondern nur Menschen, die von ihren Ländern dazu gezwungen werden, auf andere Menschen zu schießen. Und oft sind die Überlebenden die eigentlich armen Schweine, denn sie müssen mit ihren Erfahrungen für den Rest ihres Lebens klar kommen. Allerdings wirkt die Dokumentation trotz ihrer intensiven Momente durch das spezielle Setting auch sehr artifiziell. Das Konzept sieht eben vor, dass Vieles gestellt ist. Der Titel „Teatro de Guerra“ ist durchaus Programm, aber gerade eben das Bühnenhafte der Situation, in die Arias ihre Protagonisten steckt, nimmt dem Film etwas an Wucht und Wahrhaftigkeit. Oft wünscht man sich, dass sich die Männer einfach zwanglos und ohne Vorgaben begegnen können, dass sie eben nicht Theater spielen müssen, um den Krieg begreiflich zu machen. Ihre Augen, wenn sie von den schrecklichen Erlebnissen berichten, sagen so viel mehr aus und bilden den Krieg nachvollziehbarer ab als Lola Arias‘ experimentelle Anordnung.

 


5,0
von 10 Kürbissen

Schwein (2018)

Regie: Mani Haghighi
Original-Titel: Khook
Erscheinungsjahr: 2018
Genre: Komödie, Satire
IMDB-Link: Khook


Hasan Kasmai ist der größte Filmemacher Irans. Nur blöd, dass er aktuell Berufsverbot hat, da dem iranischen Staat seine Arbeit nicht zusagt. Noch blöder, dass deshalb die von ihm angebetete Schauspielerin Shiva Mohajer mit Hasans größtem Konkurrenten zu arbeiten beginnt. Doch am allerblödesten ist, dass ein Serienkiller sein Unwesen treibt und nach und nach die Filmschaffenden Irans enthauptet (mit dem Wort „Schwein“ in die Stirn geritzt). Nicht nur, dass Hasan so einige Freunde und Kollegen verliert, nein, wie kann sich der Killer erdreisten, ausgerechnet ihn, den größten von allen, zu verschonen? So etwas kratzt am Ego. Da muss dann auch mal die Mama tröstend einspringen, den armen Jungen in die Arme nehmen und ihm versichern, dass der Mörder auch noch zu ihm kommen werde, denn er würde sich nur den Besten für den Schluss aufheben. Damit ist die Grundtonalität von Mani Haghighis grotesker Satire „Schwein“ schon mal festgelegt. Hier geht es um verletzte (männliche) Eitelkeiten, die bis zum Wahnwitz ausgelotet werden. Und das ist saukomisch anzusehen. „Schwein“ verfügt über eine ganze Fülle an denkwürdigen Szenen, die bis zum Gehtnichtmehr gesteigert werden, bis sie sich über die Lachmuskeln fest einbrennen beim Publikum. Gleichzeitig ist der Witz in „Schwein“ höchst subversiv. Man merkt dem Film an, dass es Haghighi nicht einfach um ein paar laute Lacher ging, sondern um ein Statement zu Zensur, Moral, Eitelkeiten und eben dem Männlichkeitsbewusstsein im Iran. Am Ende müssen die Frauen den Tag retten – aber bitteschön öffentlichkeitswirksam auf Instagram! Eine bitterböse, manchmal etwas überdrehte Satire, die zwar durch und durch iranisch ist, aber auch bei uns sehr gut funktioniert.

(Dieser Film ist als Reiseetappe # 5 Teil meiner Filmreisechallenge 2018. Mehr darüber hier.)


7,5
von 10 Kürbissen

Draußen (2018)

Regie: Johanna Sunder-Plassmann und Tama Tobias-Macht
Original-Titel: Draußen
Erscheinungsjahr: 2018
Genre: Dokumentation
IMDB-Link: Draußen


„Denn die einen sind im Dunkeln / Und die andern sind im Licht.  / Und man sieht nur die im Lichte / Die im Dunkeln sieht man nicht.“ Diese Zeilen aus der Dreigroschenoper von Bertolt Brecht könnten als Motto vor dem Dokumentarfilm „Draußen“ von Johanna Sunder-Plassmann und Tama Tobias-Macht stehen. Es geht um vier Obdachlose in Köln: Elvis ist darum bemüht, Ordnung unter der Brücke zu halten. Sergio, der Film-Fan aus Kasachstan, war mehr im Gefängnis als auf freiem Fuß und ist drogenabhängig, hat aber seinen Humor nicht verloren. Matze, ein alter Punk, schämt sich vor seinen Kindern. Und Peter, genannt Filzlaus, war schon überall. Er schläft in Parks und neben den Straßen im Gestrüpp. Eines der stärksten Statements im Film kommt von ihm, als er gefragt wird, ob er denn Angst davor hätte, im Wald zu schlafen. Nein, antwortet er. Er habe keine Angst im Wald. Es sei eher so, dass er derjenige sei, vor dem man Angst haben würde, wenn man ihm im Wald begegnete, dabei tue er niemanden was. „Draußen“ zeigt vier Menschen, die abseits der Gesellschaft leben und dabei versuchen, sich ein wenig Menschenwürde zu bewahren. Der Film geht dabei weniger auf das Warum ein (warum sie auf der Straße leben, wird bestenfalls nur kurz gestreift), sondern auf das Wie. Was ist diesen Menschen wichtig? Was motiviert sie, jeden Tag aufzustehen und weiterzumachen? Was sind die Gegenstände, die sie für ihr Leben da draußen brauchen, bzw. welche Gegenstände sind für sie Luxus? Darauf wird ein besonderer Fokus gelegt. Johanna Sunder-Plassmann und Tama Tobias-Macht sind dabei ganz nah dran an den Menschen. Sie lassen sie ihre Geschichten erzählen und ihre Meinungen sagen. Es sind oft überraschend zarte Geschichten und klare Einsichten. Wenn Matze erzählt, dass er froh ist, noch das Gefühl der Scham zu kennen, sagt das viel aus. Und plötzlich werden sie sichtbar: jene, die für uns im Dunkeln sind. Die beiden Regisseurinnen zeigen diese Menschen ohne falsche Sentimentalität, sondern einfach so, wie sie sind. Vom Leben gezeichnet, aber aufrecht.

(Dieser Film ist als Reiseetappe # 54 Teil meiner Filmreisechallenge 2018. Mehr darüber hier.)


7,5
von 10 Kürbissen

(Foto: (c) unafilm / Thekla Ehling)

The Weak Ones (2017)

Regie: Raúl Rico und Eduardo Giralt Brun
Original-Titel: Los Débiles
Erscheinungsjahr: 2017
Genre: Drama, Komödie
IMDB-Link: Los Débiles


Mexiko, Sinaloa, jener Bundesstaat im Westen, der vom gefürchteten Sinaloa-Kartell kontrolliert wird, und in dem Gewalt und Kidnapping an der Tagesordnung stehen. Teil des Problems ist, dass sich bereits Jugendliche in Banden zusammenrotten und entweder für sich selbst oder das Kartell arbeiten. Sie wachsen mit dieser Gewalt auf und kennen nur diese Gewalt. Der stoische Victor hat eine eher unerfreuliche Begegnung mit so einem 13jährigen Bandenmitglied, das sich selbst „Selfie“ nennt, was in weiterer Folge dazu führt, dass seine beiden geliebten Hunde ermordet werden. Er macht sich auf den Weg, um nach Selfie und seiner Gang zu suchen. Er ist bewaffnet, ein schweigsamer, einsamer Rächer auf dem Kriegspfad. Unterwegs zu Selfie hat er allerlei skurrile Begegnungen mit einem hilfsbereiten Death Metal-Rocker, einem zurückgezogen lebenden Tattoo-Künstler, einem offensichtlich etwas seltsamen Motorradfahrer, bei dem die eine oder andere Schraube locker ist – all diese Begegnungen bringen eine humoristische Note in das Geschehen. Der eigentliche Gag des Films ist aber der Schluss, der so komplett an den Erwartungen der Zuseher vorbei läuft und eine andere Lösung präsentiert als die offensichtliche. Diese wiederum kann als Zeichen für Mexiko und sein Problem mit der Gewalt verstanden werden. So gesehen ist die Intention des Films eine durchaus positive und begrüßenswerte. Nur leider ist der Film selbst schlecht. Die meisten Szenen sind langweilig und führen zu nichts. Wie gesagt, diese Begegnungen sind per se manchmal ganz witzig, aber sie sind für den Film selbst bedeutungslos. Dazu kommen gröbere handwerkliche Schnitzer wie Victors T-Shirt, das vom Blut seiner Hunde besudelt ist. Und in der nächsten Einstellung wieder nicht. Und dann schon. Und dann ein bisschen. Und dann völlig. Und so weiter. Ein wahrlich magisches T-Shirt, auf dem Blutflecken kommen und gehen und dabei auch noch Form und Platzierung ändern. Und das ist ärgerlich. Denn aus dem Film hätte man wirklich etwas Interessantes, Starkes machen können, aber die beiden Regisseure konnten diese Gelegenheit bei weitem nicht nutzen. Einer der wenigen Berlinale-Filme, bei denen am Ende nicht geklatscht wurde, sondern das Publikum eher schnell und ratlos aus dem Kino gehuscht ist.


3,5
von 10 Kürbissen

(Foto: (c) Diego Rodríguez)

The Pillar of Salt (2018)

Regie: Burak Çevik
Original-Titel: Tuzdan Kaide
Erscheinungsjahr: 2018
Genre: Drama, Fantasy
IMDB-Link: Tuzdan Kaide


Eine schwangere Frau, die in einer Art Höhle lebt, sucht nach ihrer verschwundenen Schwester und macht dabei allerlei Bekanntschaften. Ich denke, dass es zwei Arten von Publikum für Burak Çeviks Film „Tuzdan Kaide“ gibt: Jene, die in dem Film ein surreales Meisterwerk sehen, und jene, die das für den größten, langweiligsten Blödsinn auf Gottes grüner Erde halten. Gemäß der Frage: „Ist das Kunst, oder kann das weg?“ Nun, ich gehöre bedauerlicherweise zur zweiten Gruppe. Ich kann durchaus etwas mit surrealen, rätselhaften Filmen anfangen. Luis Buñuel gehört zu meinen Lieblingen. Auch die Filme von Alain Robbe-Grillet, auch wenn sie ihre unübersehbaren Schwächen haben, unterhalten mich meistens sehr gut. Aber „Tuzdan Kaide“ ist zu wenig absurd, um interessant zu sein, sondern nur eine Anhäufung langweiliger, symbolhaft aufgeladener Szenen, die – zumindest für mich – auf nichts verweisen. Laut Beschreibung im Festivalprogramm der Berlinale soll es angeblich um „Reiz, Reichtum und Radikalität“ gehen. Okay. Stattdessen könnte da auch stehen, dass es um „Kanarienvögel, Vampirismus und die Unendlichkeit“ geht. Das wäre genauso zutreffend wie alles andere. Die einzige Erkenntnis, die ich aus dem Film gezogen habe, ist die, dass auch 70 Minuten verdammt lang werden können. Mein persönliches Fazit: Zeitverschwendung. Das mögen Andere anders sehen – wie gesagt, ich denke, dass man, wenn man es schafft, einen Zugang zu diesem Film zu finden, durchaus seinen Spaß daran haben kann. Aber meine Antennen haben nicht angeschlagen. Die sind nur müde eingeknickt und wollten zu Salzsäulen erstarren.


2,0
von 10 Kürbissen

Don’t worry, weglaufen geht nicht (2018)

Regie: Gus Van Sant
Original-Titel: Don’t Worry, He Won’t Get Far On Foot
Erscheinungsjahr: 2018
Genre: Drama, Komödie, Biopic
IMDB-Link: Don’t Worry, He Won’t Get Far On Foot


An Gus Van Sants neuesten Film vergebe ich gleich mal einen Preis: Jenen für den dämlichsten deutschen Verleihtitel seit „Vergiss mein nicht!“ für „Eternal Sunshine of the Spotless Mind“. Ehrlich: Wer zum Geier ist auf die Idee gekommen, aus dem herrlich-zynischen „Don’t Worry, He Won’t Get Far On Foot“ ein englisch-deutsch-verhatschtes „Don’t worry, weglaufen geht nicht“ zu machen? Wer auch immer dafür verantwortlich zeichnet, sollte lebenslang mit einem Berufsverbot belegt werden. Der wirklich dumme Titel wird dem Film in keiner Weise gerecht. Gus Van Sant hat ja schon öfter gezeigt, dass er ein Herz für Außenseitern mit Problemen hat. „Good Will Hunting“ ist ein Paradebeispiel dafür. In „Don’t Worry, He Won’t Get Far On Foot“ erzählt Van Sant nun die (wahre) Geschichte von John Callahan (der grandiose Joaquin Phoenix), der ein schweres Alkoholproblem hat, das nicht unbedingt besser wird, als er in einen folgenschweren Autounfall verwickelt wird und seitdem querschnittgelähmt ist. Nach einigen Tiefpunkten und Selbstmitleidstouren landet er schließlich bei den Anonymen Alkoholikern unter der Leitung von Donnie (Jonah Hill). Er stellt sich seinen Dämonen, vor allem jenem seiner abwesenden Mutter, die ihn als Kind weggegeben hat. Was John dabei hilft: Sein humoristisches Talent, das ihn Cartoons zeichnen lässt, die – nun ja – aufgrund ihres derben, offensiven Humors nicht von allen Mitmenschen gleichermaßen wohlwollend aufgenommen werden. Doch im Zeichnen findet John allmählich zu sich und zu einer Möglichkeit, mit seinem Schicksal umzugehen. Auch die Schwedin Annu (bitte verratet mir: Wie ist es möglich, sich nicht in Rooney Maras strahlende Augen zu verlieben?) ist ihm dabei eine Stütze. „Don’t Worry, He Won’t Get Far On Foot“ ist klassisches Feelgood-Kino über einen Mann, der seine Schwierigkeiten bekämpft und trotz aller Rückschläge schließlich zu sich selbst findet. Das kann schnell mal zu erbaulichem No-na-net-Kino werden – fad und vorhersehbar. Dass „Don’t Worry, He Won’t Get Far On Foot“ nicht in diese Falle tappt, ist auf zwei Gründe zurückzuführen: Zum Einen auf die nicht-lineare Erzählung, die mehr um die Figur des John Callahan kreist als darum bemüht ist, chronologisch die Fakten aufzutischen. Zum Anderen auf den durch die Bank überragenden Cast, angeführt von Joaquin Phoenix, der einmal mehr eine oscarreife Leistung abliefert – so wie auch Jonah Hill, dessen Vielseitigkeit immer wieder positiv überrascht. So geht man tatsächlich mit einem richtig guten Gefühl aus dem Kino heraus.

(Dieser Film ist als Reiseetappe # 55 Teil meiner Filmreisechallenge 2018. Mehr darüber hier.)


8,0
von 10 Kürbissen

(Foto: (c) 2018 AMAZON CONTENT SERVICES LLC / Scott Patrick Green)

 

3 Tage in Quiberon (2018)

Regie: Emily Atef
Original-Titel: 3 Tage in Quiberon
Erscheinungsjahr: 2018
Genre: Drama, Biopic
IMDB-Link: 3 Tage in Quiberon


Romy Schneider (Marie Bäumer), 42 Jahre alt, alkoholkrank und depressiv, macht eine Kur in einem französischen Hotel. Ihre Freundin Hilde Fritsch (Birgit Minichmayr, wie immer großartig) besucht sie. Und zwei Journalisten vom Stern, der Fotograf Robert Lebeck (Charly Hübner), mit dem sie eine langjährige Freundschaft verbindet, und der schmierige Reporter Michael Jürgs (Robert Gwisdek). Romy Schneider hat eingewilligt, während der drei Tage ihres Aufenthalts ein exklusives Interview zu geben. In dieser Viererkonstellation bauen sich in weiterer Folge allerlei Spannungen auf, denn Hilde durchschaut den manipulativen Jürgs recht schnell, während sich Lebeck darum bemüht, Romy, für die er offensichtlich mehr als nur Freundschaft verspürt, ein wenig Halt zu geben. Denn die ist mit der Situation des Interviews völlig überfordert. Alte Wunden werden wieder aufgerissen, und verletzlich und unbedacht stülpt sie vor laufendem Aufnahmegerät ihr Innerstes nach außen – sehr zur Freude von Jürgs, der die Gelegenheit seines Lebens wittert und Romy weiter zusetzt. „3 Tage in Quiberon“ ist bemüht, eine private Romy Schneider zu zeigen, eine Frau mit Verletzungen und Ängsten und schweren Depressionen. Romy Schneider macht sich hier vor allem Gedanken um ihre Mutterrolle, die sie nie so richtig ausfüllen konnte. Gleichzeitig ist sie diese öffentliche Person und sich ihrer Rolle auch sehr bewusst, sie spielt auch damit. Gefilmt in eleganten Schwarz-Weiß-Bildern, die die Exklusivität des Kurhotels noch einmal unterstreichen, während sie gleichzeitig kollektive Bilder von Romy Schneider heraufbeschwören, ist „3 Tage in Quiberon“ durchaus sehenswert. Die Dialoge sind gut und scharfsinnig, und auch die Schauspieler/innen machen durch die Bank einen guten Job. Jetzt kommt das Aber. Aber man hat dennoch nicht das Gefühl, der Person Romy Schneider, trotz aller Bemühungen von Marie Bäumer, sie lebensecht darzustellen, nach dem Film ein wenig nähergekommen zu sein. Es werden Romy Schneider-Klischees bestätigt, die Theatralik in den Dialogen, in den Szenen, ist zwar dramaturgisch interessant, aber unterstreicht nur das Bild, das man in der Regel von Romy Schneider schon hat. Und das ist schade. Ich hatte das Gefühl, dass hier eine große Chance liegengelassen wurde, nämlich die Erdung der Filmgöttin, die auch mal Mensch sein darf. „3 Tage in Quiberon“ versucht zwar genau das, scheitert aber (auf hohem Niveau) daran. Romy Schneider bleibt mystisch verklärt.

(Dieser Film ist als Reiseetappe # 57 Teil meiner Filmreisechallenge 2018. Mehr darüber hier.)


6,0
von 10 Kürbissen

(Foto: (c) 2018 PROKINO Filmverleih GmbH)

 

The Bed (2018)

Regie: Mónica Lairana
Original-Titel: La Cama
Erscheinungsjahr: 2018
Genre: Drama
IMDB-Link: La Cama


Ein älterer Mann, eine ältere Frau. Nackt im Bett. Er bemüht sich verzweifelt um eine Erektion, doch es geht nicht. Sie versucht ebenso verzweifelt, ihm einen zu blasen, er wehrt ab, woraufhin sie hysterisch zusammenbricht. In „La Cama“ von Mónica Lairana ist nicht nur die Haut nackt, sondern auch die Seele. Bald wird klar, dass der letzte gemeinsame Tag anbricht, ehe der Umzugswagen kommt und das Leben als Paar endet. In all den Jahren hat man vergessen, wie man miteinander kommuniziert. So liegt ein bedeutsames Schweigen über dem Film. Gelegentlich flüchtet man sich in hilflose Floskeln, um zumindest Worten nachlauschen zu können, auch wenn diese bedeutungslos sind. Die gemeinsame Vergangenheit wird nur dann heraufbeschworen, wenn man über die Frage, wem nun die Socken gehören, zu diskutieren beginnt. Da zeigen sich die letzten Spuren des gemeinsamen Lebens, das Verschmelzen zweier Existenzen zu einem Paar. Umso klarer und schmerzvoller ist es, wenn man sich nun eingestehen muss, dass man zuletzt wieder auseinandergedriftet und sich fremd geworden ist. „La Cama“ ist sehr langsam erzählt. Oft gehen Einstellungen über mehrere Minuten, ohne dass ein Wort gesprochen wird. Die Kamera hält schonungslos drauf, wenn sich in die Gesichter die Fassungslosigkeit der Trennung legt, aber sie bleibt auch mit einem liebevollen Blick drauf, wenn überraschend – meistens nonverbal – ein Zeichen der Zuneigung und Vertrautheit gefunden wird. Zu spät, aber immerhin: man geht nicht im Zorn auseinander. „La Cama“ zeigt die Geschichte einer Entfremdung, und ist damit (und aufgrund seiner extrem langsamen Erzählweise) ein Film, der sicherlich keinen Spaß macht. Manchmal ist er auch schlicht langweilig, aber gut, auch Beziehungen sind manchmal langweilig. So gesehen spiegelt das Kino das Leben. Insgesamt ein anstrengender Film, der aber, wenn man in der richtigen Stimmung dafür ist, durchaus seine guten Momente hat.

(Dieser Film ist als Reiseetappe # 2 Teil meiner Filmreisechallenge 2018. Mehr darüber hier.)


5,0
von 10 Kürbissen