Crossing Europe Linz 2019

Springen! Rutschen! Unten helfen! – Mein Fazit des Crossing Europe Filmfestivals 2019

Mein zweiter Besuch des Crossing Europe Festivals in Linz unterschied sich vom ersten im vergangenen Jahr maßgeblich durch das Wetter. Während ich letztes Jahr kurzärmelig von Kino zu Kino raste, kam dieses Jahr das Wetter der Festivaldirektorin Christine Dollhofer entgegen. Auch deshalb konnte sich das Festival über etwa 1.000 Zuseher mehr als im Vorjahr freuen. Mitten drin: Ein kritischer Kürbis. Und der sah hauptsächlich Erbauliches. Das Festival war klug programmiert und bot Spannendes aus allen Ecken Europas. Der Kontinent zeigte in Linz mal wieder seine ganze Vielfalt. Wenn es dieses Jahr ein bestimmendes Thema gab unter den 21 Filmen, die ich letztlich sah, dann am ehesten die Familie und Zugehörigkeit. Es scheint fast, als würden sich Europas Filmschaffende in Zeiten des politischen Rechtsrucks auf den Mikrokosmos der eigenen vier Wände konzentrieren – sei es als Gegenentwurf zu der rauen politischen Lage oder auch begleitend dazu bzw. kommentierend. Und warum auch nicht? Gesellschaftliche Veränderungen können ja sehr gut anhand familiärer Beziehungen dargestellt werden.

Aber was kann ich nun empfehlen und was nicht? Hier die 21 Filme, sortiert anhand meiner Bewertung.

8,0:
Laika
Bait

7,5:
One and a Half Prince

7,0:
Hungary 2018
The Days to Come

Home Games
Normal
Tomka and His Friends

6,5:
Sons of Denmark
Transnistra
The Souvenir
Fugue

6,0:
Oray
Messer im Herz

One Day

5,5:
Arctic

5,0:
Winter Flies

4,5:
Mein Bruder kann tanzen
The Announcement

4,0:
Schwimmen

2,5:
Das melancholische Mädchen

Bis zu einer Bewertung von 6,0 kann ich die Filme ziemlich vorbehaltlos empfehlen. Darunter wird es dann schon etwas für Fans bzw. Liebhaber des jeweiligen Themas oder einzelner Teilaspekte.

Ach ja, wer wissen will, was es mit dem Titel dieses Beitrags auf sich hat, der möge sich das hier ansehen (was ich nicht weniger als 21 Mal getan habe, und das war dann doch etwas zu viel des Guten):

Fugue (2018)

Regie: Agnieszka Smoczyńska
Original-Titel: Fuga
Erscheinungsjahr: 2018
Genre: Drama, Thriller
IMDB-Link: Fuga


Agnieszka Smoczyńska ist jene geniale Frau, die mit Sirenengesang das erste polnische Horrormusical über Meerjungfrauen auf die Leinwand gebracht hat (was wahrscheinlich auch das weltweit erste Horrormusical über Meerjungfrauen war). Ihr neuestes Werk „Fugue“ ist da deutlich gedämpfter und zurückhaltender, wenngleich der Einstieg schon ein Brett ist: Da kommt eine sichtlich desorientierte und schmutzige Frau in ihren Dreißigern aus einem U-Bahn-Schacht und klettert vor den verwirrten Blicken anderer Fahrgäste den Bahnsteig hoch. Diese Frau nennt sich Alicja, und sie hat keine Ahnung von ihrer Vergangenheit. Wenig später wird sie in einer TV-Show von ihrem Vater erkannt. Ihr Name ist Kinga, und sie gilt seit zwei Jahren als verschollen. Der Versuch, sie wieder in ihre Familie mit Ehemann und Sohn einzugliedern, geht zunächst ziemlich schief. Denn weder Alicja/Kinga noch ihr Ehemann oder ihr Sohn sind begeistert davon, wieder als Familie unter einem Dach leben zu müssen. Auch weist Alicja ein paar Wesenszüge und Eigenschaften auf, die befremdlich auf ihr Umfeld wirken. Die vermisste Kinga war anders. Der Film lässt sehr lange alle Interpretationsmöglichkeiten offen und die Zuseher fröhlich mitraten, was es mit der an Amnesie leidenden Frau auf sich hat. Smoczyńska weiß um den Suspense der Rätselhaftigkeit und nimmt sich Zeit für die Geschichte. Gabriela Muskała, die das Drehbuch geschrieben hat und für diesen Film auch gleich die Hauptrolle übernommen hat, legt ihre Alicja/Kinga auch ambivalent und spannend an: Man kann sich bei ihr nie sicher sein. Mal wirkt sie verletzlich, mal unnahbar, mal ängstlich und mal furchteinflößend. Diese Ambivalenz überträgt sich auf das familiäre Umfeld. Nach diesem Spannungsaufbau wirkt die Lösung am Ende fast banal. Aber der Weg dahin ist zumindest sehenswert. Ein durchaus gelungener Abschluss meines Besuchs des Crossing Europe Festivals 2019.

 


6,5
von 10 Kürbissen

(Foto: CROSSING EUROPE Filmfestival)

Winter Flies (2018)

Regie: Olmo Omerzu
Original-Titel: Všechno bude
Erscheinungsjahr: 2018
Genre: Drama, Roadmovie, Komödie
IMDB-Link: Všechno bude


Auf diesen Film am letzten Tag des Crossing Europe Filmfestivals in Linz habe ich mich sehr gefreut. Ich mag Roadmovies. Ich mag Geschichten über Jugendliche, wie sie ausbrechen aus dem starren Gerüst, das sie zurückhält, und wie sie ihre eigenen Erfahrungen sammeln. Der Geruch von Freiheit. Born to be wild. Vielleicht, weil ich selbst nie so ein Kind oder Jugendlicher war. Ich habe keinen Audi gestohlen, um damit quer durchs Land zu fahren. Und ich hatte keinen dicken Freund im Tarngewand an meiner Seite, der die ganze Zeit davon redet, endlich mal ein Mädchen flachzulegen. Stattdessen habe ich FIFA Soccer gezockt und dämliche Sitcoms angeschaut. Verwegene Freiheit: Wenn man mal im Garten die olympischen Spiele nachgespielt hat und beim Speerwurf mit Ast des Birnenbaums ein Kellerfenster dran glauben musste. Ja, in diesem Moment hätte ich mir gewünscht, in einem gestohlenen Auto abzuhauen mit einem Kumpel an meiner Seite. Und dann hätten wir vielleicht dieses eine hübsche Mädchen aufgegabelt und mitgenommen. Und wir hätten Abenteuer erlebt, andere, als wir uns vorgestellt haben, aber aufregend wären sie dennoch gewesen. Nachdem ich nun „Winter Flies“ von Olmo Omerzu gesehen habe, weiß ich aber: Es gibt für alles eine bestimmte Zeit. Ich habe sie damals verpasst. Vielleicht fiel es mir auch deshalb so schwer, mich in diesen Film, den ich so gern gemocht hätte, hineinfallen zu lassen. Ein anderer Faktor waren die Jugendlichen selbst, die trotz aller Bemühungen ihrer Hauptdarsteller für mich nicht glaubwürdig wirkten. Beziehungsweise zu eindimensional. Der Rebell. Der notgeile Dicke. Nur wenige Momente strahlen Glaubwürdigkeit aus, darunter eine sehr seltsame, aber doch nachvollziehbare Masturbationsszene. Aber unterm Strich konnte der Film mit meiner Erwartungshaltung nur viel zu selten mithalten. Sind wir doch ehrlich: Die besten Abenteuer sind die, die wir nie erlebt haben.


5,0
von 10 Kürbissen

(Foto: CROSSING EUROPE Filmfestival)

One Day (2018)

Regie: Zsófia Szylágyi
Original-Titel: Egy nap
Erscheinungsjahr: 2018
Genre: Drama
IMDB-Link: Egy nap


Familie ist doch etwas Wunderbares! Was gibt es Schöneres, als den aufmüpfigen Sohn auf den letzten Drücker in die Schule zu bringen, während die hyperaktive Tochter auf dem Rücksitz auszuckt und der Ehemann gerade überlegt, ob er die beste Freundin der Familie pudern soll oder nicht? Herzerfrischend ist das! Wenn dann auch noch der Abfluss kaputt ist, sich die Schwiegermutter mit ungewollten Ratschlägen und noch ungewollteren Taten ins Leben einmischt, die Tochter eine Freundin nach Hause bringt, die einem anderen Kind die Schuhe geklaut hat, da es diese schöner findet als die eigenen, der Sohn fast das Cello-Konzert verdaddelt, das er am nächsten Tag geben soll, und der Herr Gemahl immer noch abwesend ist, weil er vielleicht gerade die hübsche Freundin schnackselt, ist das Glück komplett. Zsófia Szylágyis Drama „One Day“ richtet sich an all jene Menschen, die gerade mit dem Gedanken spielen, eine Familie zu gründen. Ihre Botschaft ist laut und unmissverständlich. Sie lautet: „Tut! Es! NICHT!“ Rette sich, wer kann. Alles, was man euch über Familienglück und die Vervollständigung des eigenen Ichs durch die Weitergabe der eigenen Gen-Sequenz gesagt habt, ist eine glatte Lüge. Familie ist die Hölle. Außer, man ist der Ehegatte, der mit Gedanken einer außerehelichen Begattung schwanger geht, während zuhause das Familienleben sinkt wie die Titanic. Weil der kriegt von den ganzen Tragödien ja nichts mit. Erbaulich ist es nicht, Annas familiärer Katastrophe voyeuristisch beizuwohnen. Aber von Zsófia Szamosi famos gespielt und in der Wirkung wie ein Unfall: Man kann einfach nicht wegschauen.


6,0
von 10 Kürbissen

(Foto: CROSSING EUROPE Filmfestival)

Mein Bruder kann tanzen (2019)

Regie: Felicitas Sonvilla
Original-Titel: Mein Bruder kann tanzen
Erscheinungsjahr: 2019
Genre: Dokumentation
IMDB-Link: Mein Bruder kann tanzen


Felicitas Sonvilla hat einen Bruder, der angeblich ganz gut tanzen kann. Und der Musik macht. Der in einer anderen Stadt lebt als sie selbst, in Wien nämlich. Und mit dem sie sich nicht gut versteht. Und weil das irgendwie oasch ist (auf gut Wienerisch), wenn sich Geschwister voneinander entfremdet haben, bricht sie mit ihrem Bruder Silvius, dessen Freundin und einer Kamerafrau in einem winzigen Auto, das so kaputt ist, dass man nur durch die Fenster einsteigen kann, von Wien aus Richtung Helsinki auf. Denn dort sind die beiden Geschwister einige Jahre lang aufgewachsen, dort verbinden sie gemeinsame Erinnerungen. Diese Versuchsanordnung, einen Film über die eigene Geschwisterbeziehung und sich selbst zu drehen, kann natürlich sehr leicht zu einer narzisstischen Nabelschau verkommen. Dieses Problem ist Felicitas Sonvilla natürlich bekannt, und sie adressiert es auch direkt zu Beginn ihrer Dokumentation. Was in diesem Film dann passiert, ist Folgendes: Er gerät zeitweise zu einer narzisstischen Nabelschau. Felicitas Sonvilla erzählt von einem Konflikt, den man als solchen von außen nicht erkennen kann. Auch dessen ist sie sich bewusst. Am Ende steht ein selbstironisches Fazit: „Vielleicht haben wir auch gar kein Problem, sondern sind einfach nur zwei Idioten“. So weit würde ich in meiner Bewertung nicht gehen, denn allein schon das Bewusstsein dessen, dass man hier vielleicht im Trüben fischt und einen Film über ein Nicht-Problem dreht, das man zu einem Konflikt hochstilisiert, bringt Sympathiewerte ein. Auch kann man in diesem Film durchaus etwas über übliche Geschwisterbeziehungen und ihre Auf und Abs erfahren. Im anschließenden Q&A erzählte die Regisseurin davon, dass sich durch diese Reise und den Film darüber die Beziehung zu ihrem Bruder tatsächlich gebessert hat. Allerdings werde ich trotz allem den Verdacht nicht los, dass der Film selbst aus neutraler Sicht und abseits therapeutischer Effekte eigentlich überflüssig ist. Und dafür gibt es dann am Ende doch nur 4 Punkte. Und einen halben Punkt noch als Bonus dazu für den vielleicht originellsten Filmtitel unter den von mir 21 am Crossing Europe Filmfestival gesichteten Filmen.


4,5
von 10 Kürbissen

(Foto: CROSSING EUROPE Filmfestival)

One and a Half Prince (2018)

Regie: Ana Lungu
Original-Titel: Un print si jumatate
Erscheinungsjahr: 2018
Genre: Drama
IMDB-Link: Un print si jumatate


Drei befreundete Menschen in ihren 30ern leben zusammen in einer WG. Iris ist Schauspielerin und hat vor nicht allzu langer Zeit überraschend ihren Freund verloren. An dessen Tod kiefelt sie noch immer. Der schwule István ist ebenfalls Schauspieler und kommt dem, was man einen Dandy nennen würde, sehr nahe. Marius schließlich ist der bodenständigste unter ihnen. Er ist geschieden und kämpft darum, seine Tochter öfter zu sehen. Wie diese Freundschaft entstanden ist, bleibt in Ana Lungus Film „One and a Half Prince“ im Unklaren. Dass sie aber funktioniert, zeigt sie mit subtilen und gleichzeitig erfrischenden Mitteln. Wenn die drei blödeln mit Insider-Witzen, die für den Außenstehenden (und damit auch das Publikum) unverständlich bleiben, oder wenn sie über Gott und die Welt philosophieren – alles ist getragen von einem Gefühl der Authentizität. Ja, so sehen Freundschaften aus. Mit guten Momenten und schlechten. Und wie zerbrechlich Freundschaften auch sein können, zeigt Ana Lungu, in dem sie Iris für einen Schriftsteller schwärmen lässt, der ihr wie ein strahlender Prinz auf seinem edlen Ross erscheint. Um ihn für sich zu gewinnen, stellt sie auch die Bedürfnisse ihrer engsten Freunde zurück. Nicht rücksichtslos, nicht selbstsüchtig, aber einfach unachtsam, wie es eben manchmal geschieht. „One and a Half Prince“ lebt zum größten Teil von diesen echt wirkenden Dialogen, der Komik darin und den Nuancen wie eben diesen Insider-Witzen. Die Geschichte selbst gerät dabei fast zur Nebensache. Allerdings nur fast, denn wenn man genau hinsieht, findet man neben einer Geschichte über eine Freundschaft zwischen Erwachsenen und deren fragile Momente auch eine Geschichte über Trauerarbeit und Verlust. „One and a Half Prince“ ist sehr subtil angelegt und trifft damit vielleicht nicht jedermanns Geschmack, aber wer sich auf solche dialoglastigen Filme mit leisen Zwischentönen einlassen kann, wird damit seine Freude haben.


7,5
von 10 Kürbissen

(Foto: CROSSING EUROPE Filmfestival)

Transnistra (2019)

Regie: Anna Eborn
Original-Titel: Transnistra
Erscheinungsjahr: 2019
Genre: Dokumentation
IMDB-Link: Transnistra


Transnistrien ist eine sehr stark russisch geprägte Region in Moldawien, die auf eine sehr wechselhafte und problembehaftete Geschichte zurückblickt Anfang der 90er Jahre kam es im Zuge des Unabhängigkeitsstrebens von Transnistrien zu einem kriegerischen Konflikt zwischen der Region und dem Staat Moldawien. Etwa 500 Menschen starben damals. Und so richtig leiwand haben es die Leute auch heute nicht. Das alles wäre zwar spannend für eine filmische Aufarbeitung, aber daran ist Regisseurin Anna Eborn nicht interessiert. Vielmehr geht es ihr um eine Gruppe von Jugendlichen und ihren Träumen von einem besseren Leben. Im Mittelpunkt stehen dabei Tanja und Tolya. Tanja weiß nicht so recht, was sie will – so hüpft sie von einem Typen zum nächsten – und doch ist es sie, die am Ende die konkreteste Veränderung durchmacht. Tolya wirkt einfältig und ebenso ziellos, aber mit dem Herz am rechten Fleck. Diese Ziellosigkeit, die man anfangs an ihm wahrnimmt, entpuppt sich aber im Laufe der Erzählung als Desillusionierung. Die wohl größte Stärke des Films ist es, dass er das alles nicht plakativ aufrollt, sondern sich diese Aspekte erst nach und nach in den Gesprächen der Jugendlichen untereinander entfalten. Anna Eborn zeigt hauptsächlich die Freundschaften, wie sie sich entwickeln und verändern, wie man die Zeit miteinander totschlägt, wie neue Allianzen geschmiedet werden und alte Freundschaften in die Brüche gehen – das normale Leben von Jugendlichen eben. Über diesen Zugang findet sie schließlich zum Blick auf die Zukunft dieser jungen Menschen und damit den Kern ihres FIlms – und der ist wahrlich nicht rosig. Trotzdem ist „Transnistra“ kein Feel-Bad-Movie, sondern hauptsächlich ein intimes Porträt von Freundschaften in prekären Verhältnissen. Allerdings tröpfelt die Erzählung manchmal etwas zu langatmig vor sich her. Und gerade die komplette Auslassung der wirtschaftlichen, sozialen, politischen und vor allem geschichtlichen Hintergründe zu der Region, in der der Film spielt, lassen den Zuseher nur schwer ins Geschehen finden und erschweren das Verständnis. Wer etwas über Transnistrien wissen möchte, um eine Vorstellung davon zu bekommen, warum diese Jugendlichen so desillusioniert auf ihre Zukunft blicken, muss anschließend Google und Wikipedia bemühen – so wie ich.


6,5
von 10 Kürbissen

(Foto: CROSSING EUROPE Filmfestival)

Schwimmen (2018)

Regie: Luzie Loose
Original-Titel: Schwimmen
Erscheinungsjahr: 2018
Genre: Drama
IMDB-Link: Schwimmen


Der Ursulinensaal in Linz, eine der größten Spielstätten des Crossing Europe Filmfestivals. Ein ausverkauftes Haus – und das an einem Montagvormittag. Der Grund dafür ist rasch ersichtlich: Mehrere Schulklassen werden von ihren Lehrern in Luzie Looses Debütfilm „Schwimmen“ gelotst. Oder sagen wir eher: Der Saal wird von Hunderten Schülern überrannt. Die paar Lehrer und ein Filmkürbis haben Panik in den Augen. Aber trotz des anfänglichen Aufruhrs, der sich noch mal verstärkt, als vor der Vorführung vom Moderator noch Schokolade in den Saal geworfen wird, ist es bei der Sichtung von „Schwimmen“ mucksmäuschenstill. Die Schüler sehen der 15jährigen Elisa zu, wie sie zunächst aufgrund ihrer plötzlichen Blackouts von den Mitschülern gemobbt wird, dann Freundschaft mit der hübschen Möchtegernschauspielerin Anthea schließt und sich durch geheime Videoaufzeichnungen ihrer Mitschülerinnen und Mitschüler in prekären Situationen rächt. Das Rad der Rache dreht sich aber bald zu weit. So weit, so gut. Ein ambitionierter Film über ein wichtiges Thema, keine Frage. Im Mittelpunkt steht zwar eher die freundschaftliche Beziehung zwischen Elisa und Anthea, aber der Film bietet den anwesenden Lehrerinnen und Lehrern genügend Stoff, um anschließend erschöpfend über die Themen Mobbing, Drogenmissbrauch und Social Media-Missbrauch zu diskutieren. Das große Problem des Films bringt aber im anschließenden Q&A ein Schüler auf den Punkt: Gerade das Mobbing-Thema ist überzeichnet dargestellt. Als Elisa beginnt, sich zu rächen, indem sie die verfänglichen Videos teilt, springt sofort die ganze Schule darauf auf und mobbt sofort die gezeigten Schüler, egal, wie beliebt diese vorher waren. Auch folgen die Figuren weniger einer inneren Logik, sondern den Vorgaben des Drehbuchs, was zu Überzeichnungen und nicht nachvollziehbaren Handlungen und Reaktionen führt. Es ist immer ein Problem, wenn Figuren etwas tun, weil es das Drehbuch so will. Dann verliert ein Film nämlich seine Glaubwürdigkeit. Und genau das ist meiner Meinung nach Luzie Loose bei „Schwimmen“ passiert. So bleiben auf der Habenseite allein ein ambitioniertes und wichtiges Thema und eine gut aufspielende Hauptdarstellerin Stephanie Amarell sowie eine wirklich schön gefilmte Drogenmissbrauchsszene, die Lust auf mehr macht (was vielleicht aber nicht so ganz in der Absicht der Filmemacherin liegen dürfte).


4,0
von 10 Kürbissen

(Foto: CROSSING EUROPE Filmfestival)

Arctic (2018)

Regie: Joe Penna
Original-Titel: Arctic
Erscheinungsjahr: 2018
Genre: Drama, Thriller, Abenteuerfilm
IMDB-Link: Arctic


Hollywood on Ice. Mit diesen drei Worten ist Joe Pennas Survival-Drama „Arctic“ ausreichend beschrieben. Mads Mikkelsen spielt darin einen Mann namens Overgard, der ein klitzekleines Problem hat: Er ist mit seinem Flugzeug gecrasht. In der Arktis. Ohne Hoffnung, gesucht und gefunden zu werden. Alles in allem eine doch etwas missliche Lage. Aber weil man ja so etwas wie eine Routine braucht, hat er es sich im Flugzeugwrack häuslich eingerichtet, angelt Fische aus dem Eis, die er dann als Sushi verspeist, und sucht die Umgebung nach Radiofrequenzen ab in der Hoffnung, auf sich aufmerksam machen zu können. Und dann geschieht das Wunder: Ein Hubschrauber kommt vorbei. Leider inmitten eines üblen Eissturms. Das Resultat: Ein zweites gecrashtes Luftfahrzeug. Mit einer schwerverletzten Co-Pilotin. Plötzlich hat Overgard eine Verantwortung, die über jene für sein eigenes Leben hinausgeht. Also packt er seine Siebensachen und die verletzte Pilotin ein und macht sich auf dem Weg zu einem mehrere Tage entfernten Camp, das er auf einer Karte im abgestürzten Hubschrauber ausfindig gemacht hat. Was nun folgt, ist ein Survival-Drama, das alle Klischees Punkt für Punkt abhakt. Immer dann, wenn man sich denkt: „An dieser Stelle müsste nun das und das passieren, um im Klischee-Bingo weiterzukommen“, passiert mit Sicherheit genau das Erwartete. Und da kann sich Mads Mikkelsen, den ich sehr schätze und der auch wieder gekonnt aufspielt, noch so sehr abmühen, aber den Film über den Durchschnitt hinausheben kann auch er nicht. Immerhin gibt es dank Islands Naturgewalt, wo der Film gedreht wurde, schöne Landschaftsaufnahmen zu sehen.


5,0
von 10 Kürbissen

(Foto: CROSSING EUROPE Filmfestival)

The Souvenir (2019)

Regie: Joanna Hogg
Original-Titel: The Souvenir
Erscheinungsjahr: 2019
Genre: Drama, Liebesfilm
IMDB-Link: The Souvenir


Eine Swinton fällt nicht weit vom Stamm. Es ist keine Überraschung, dass Tilda Swintons Tochter Honor Swinton Byrne ebenfalls mit dem Talent zum Schauspiel gesegnet ist. Das kommt Joanna Hogg für ihren Film „The Souvenir“ sehr entgegen, denn sie weiß, dass sie sich darauf verlassen kann, dass Swinton Byrne zusammen mit Tom Burke trägt. Die beiden spielen ein eher ungleiches Paar: Sie, Anfang zwanzig, studiert an der Filmhochschule und wirkt zunächst mal schüchtern und naiv (ein Alter Ego der Regisseurin selbst, die mit diesem Film ihre künstlerischen Anfänge auf die Leinwand bringt). Er, deutlich älter, arbeitet für ein Ministerium und hat neben polierten Manieren, einen erlesenen Musikgeschmack und viel zu viel Geld auch ein Drogenproblem. Da findet zusammen, was nicht zusammen gehört – und doch scheint es irgendwie zu funktionieren. Genauso wie Hoggs Film: Man weiß gar nicht so recht, woran es liegt, dass der Film funktioniert, aber er tut es. Und das, obwohl die Story selbst recht dünn ist, obwohl die Dialoge manchmal etwas artifiziell wirken, obwohl der Film da wegschneidet, wo es für den Zuseher interessant zu werden beginnt. Andererseits ist gerade diese Beiläufigkeit die wohl größte Stärke von Joanna Hogg. Wenn sie von einer Venedig-Reise erzählen will, dann reicht es ihr aus, einmal kurz das Panorama der Lagunenstadt zu zeigen und dann eine kurze Sequenz in einem mondänen Hotel in einem Palazzo, und man weiß eigentlich alles über die Reise, was man wissen muss. Venedig halt, eine Reise mit Höhen und Tiefen, nicht die versprochene Verheißung, aber eh okay. Und so geht Hogg mit fast allen Situationen um. Selbst das Drogenproblem des Geliebten wird mit Ausnahme von einer einzigen (dafür sehr bedrückenden) Szene nur indirekt erzählt. Zugegeben, ich bin nur noch unschlüssig, ob ich diese Art und Weise zu erzählen mag. Über die Laufzeit von zwei Stunden hat sich auch die eine oder andere Phase der Fadesse eingestellt, die dann wieder durchbrochen wurde von einer plötzlich auftauchenden genialen Szene. Eines ist aber klar: Joanna Hogg hat für sich eine sehr außergewöhnliche filmische Sprache mit hohem Wiedererkennungswert gefunden. Und wenn die geplante Fortsetzung des Films in die Kinos kommt, werde ich mir diesen Film mit Sicherheit ansehen, um mein Bild von dieser Regisseurin zu schärfen.


6,5
von 10 Kürbissen

(Foto: CROSSING EUROPE Filmfestival)