Drama

Boston Strangler (2023)

Regie: Matt Ruskin
Original-Titel: Boston Strangler
Erscheinungsjahr: 2023
Genre: Drama, Krimi
IMDB-Link: Boston Strangler


In den 60er Jahren ermordete ein Unbekannter in Boston 13 Frauen durch Strangulieren. Wenig überraschend bezeichneten die Medien den Mörder als „Boston Strangler“. Schon eher überraschend ist die Tatsache, dass sowohl die Bezeichnung als auch die Berichterstattung auf zwei weibliche Journalistinnen zurückgeht, die einfach die Schnauze voll davon hatten, Produkttests von Toastern in ihrer Zeitung zu veröffentlichen. Die Ermittlungen rund um den Serienkiller markierten den Beginn des Ruhms der beiden Investigativjournalistinnen Loretta McLaughlin und Jean Cole, verkörpert von Keira Knightley und Carrie Coon. Sie haben es natürlich nicht leicht, stoßen sie doch nicht nur auf alltäglichen Sexismus und Rollenklischees, sondern auch auf wenig kooperative Ermittler bei der Polizei. Einzig Detective Conley (Alessandro Nivola) erweist sich als Hilfe, doch ist der Fall schwerer zu knacken als eine Walnuss mit Wattestäbchen. „Boston Strangler“ fokussiert trotz seines reißerischen Titels auf die Ermittlungsarbeit der beiden Journalistinnen und degradiert die Verdächtigen und mutmaßlichen Täter zu Randfiguren. Das ist schon okay so – nichts gegen ordentlich gemachte Journalistenarbeit, die auch sehr spannend sein kann, wie das jüngste Beispiel She Said beweist. Doch anders als der schlau inszenierte Thriller rund um den Weinstein-Skandal plätschert „Boston Strangler“ leider etwas unmotiviert und langsam vor sich hin. Ein wenig mehr Tempo hätte dem Film gut getan. Einzelne bedrohliche Szenarien bauen nur kurz Spannung auf, die dann nicht gehalten werden kann. So ist „Boston Strangler“ zwar kein schlechter Film, aber kaum einer, der lange im Gedächtnis bleiben wird.


5,5 Kürbisse

(Bildzitat: © 2022 Universal Studios and Amblin Entertainment, Quelle http://www.imdb.com)

Sterne unter der Stadt (2023)

Regie: Chris Raiber
Original-Titel: Sterne unter der Stadt
Erscheinungsjahr: 2023
Genre: Drama, Liebesfilm
IMDB-Link: Sterne unter der Stadt


Seien wir ehrlich: Viel Wienerischer als „Sterne unter der Stadt“ kann ein Film nicht sein. Es geht um schräge Typen, um glühende Perry Rhodan-Fans, die nach den Sternen greifen wollen, aber unter der Erde im Fundbüro arbeiten, es geht um U-Bahnen (okay, es ist „nur“ die U2, für das ungeschönte Wien-Feeling empfehle ich eine Fahrt mit der U6 zwischen Floridsdorf und Westbahnhof) und es geht natürlich um die Liebe und um den Tod. Fehlt eigentlich nur noch der Zentralfriedhof als Schauplatz, aber gut, man kann nicht alles haben. Aber eben fast alles. Und wenn dann noch Verena Altenberger, eine der Größten ihrer Zunft, die wir aktuell haben, den Film mit ihrem unprätentiösen Spiel veredelt, ist das grantelnde Wiener Herz schon so gut wie gewonnen. Beziehungsweise erst einmal das von Alexander (Thomas Prenn), der eigentlich geschworen hat, sich niemals zu verlieben, um nicht dem tragischen elterlichen Schicksal zu folgen. Aber erstens kommt es anders, und zweitens, als man denkt. Und so entwickelt sich eine zarte, ja, fast schon kitschige Romanze zwischen Gleis 1 und Gleis 2. Und kaum hat man es sich so richtig bequem gemacht im plüschigen Kinosessel und wohlwollend die „Amelie“-Vibes aufgenommen, kommt der Wienerische Hang zum Morbiden durch, und man plagt sich mit schweren Schicksalsschlägen herum. Was ist der Film nun? Mehr Liebesfilm oder mehr Drama? Nun, der Film hält gut die Waage. Wie es im Leben halt so ist: Es gibt gute Tage, und es gibt schlechte Tage. Und manchmal muss man springen, auch wenn man Angst hat. „Sterne unter der Stadt“ ist ein schöner, ein melancholischer, ein durch und durch kitschiger Film, der das Publikum wohl gespalten zurücklässt, aber manchmal muss ein bisschen Zuckerguss sein, manchmal müssen bunte Schmetterlinge durchs Zimmer flattern und Blicke eine tiefere Bedeutung entfalten, als sie das in der Realität tun. Manchmal braucht es den Blick der Träumer.


7,0 Kürbisse

(Foto: http://www.filmladen.at)

Zack and Miri Make a Porno (2008)

Regie: Kevin Smith
Original-Titel: Zack and Miri Make a Porno
Erscheinungsjahr: 2008
Genre: Rom-Com, Komödie
IMDB-Link: Zack and Miri Make a Porno


Wenn ein Film zu „Wynona’s Big Brown Beaver“ von Primus beginnt, weiß man gleich einmal, wie hoch bzw. tief die Niveaulatte für die folgenden 1,5 Stunden hängt. Ein kurzer Blick auf den Regisseur, und der versierte Film-Aficionado kennt sich aus: Kevin Smith. König der herzhaft-zotigen Slacker-Komödien. „Dogma“ war so etwas wie ein stilistischer Ausreißer, aber auch dort wurde nicht immer mit Engelszungen gesprochen. Der Autor der New Jersey-Filme, in denen er als Silent Bob neben dem von Jason Mewes gespielten Jay wiederkehrende Auftritte pflegt, hat eben ein Herz für das Derbe. Mit Seth Rogen in einer der beiden Hauptrollen in „Zack and Miri Make a Porno“ findet er einen kongenialen Weggefährten, dem nichts fremd ist, was unter der Gürtellinie liegt. Überraschender ist da schon die Beteiligung von Elizabeth Banks in der zweiten Hauptrolle, aber auch die zeigt keine Berührungsängste mit dem Smith’schen Humor. Die Ausgangslage: Zack und Miri sind seit Jahren gut befreundet und wohnen zusammen, haben aber gröbere Geldnöte. Als ihnen Strom und Wasser abgedreht wird und ihnen zweiteres sprichwörtlich bis zum Hals steht, gehen sie den Weg aller Verzweifelten: Sie schütteln ihre Würde ab, die sich ohnehin nicht monetarisieren lässt, und entschließen sich, für Geld Sex zu haben. Ein Porno soll die Finanzmisere beenden. Mit einer rasch engagierten Chaos-Truppe in einem gemieteten, leider baufälligen Schuppen werden die ersten Takes zu „Star Whores“ gedreht, doch es kommt, man kann es schon erahnen, alles natürlich ganz anders als erhofft. Das Schlimmstmögliche passiert ihnen: Sie entdecken ihre Gefühle füreinander. „Zack and Miri Make a Porno“ ist, wenn man es genau betrachtet, eine klassische Rom-Com und folgt penibel den in diesem Genre üblichen Mustern. Durch den groben Humor ist das vielleicht kein Film, den man mit seiner Großmutter ansehen sollte, aber subtrahiert man alle Witze über Sex und Körperausscheidungen, bekommt man eine klassische Screwball-Komödie serviert. (Allerdings als Kurzfilm.) Man muss schon in der richtigen Stimmung sein, um mit den Zoten mitzugehen, aber dann ist der Film überraschend warmherzig und ein durchaus solider Genre-Vertreter.


6,0 Kürbisse

(Bildzitat: © 2022 Universal Studios and Amblin Entertainment, Quelle http://www.imdb.com)

Die Fabelmans (2022)

Regie: Steven Spielberg
Original-Titel: The Fabelmans
Erscheinungsjahr: 2022
Genre: Drama, Biopic
IMDB-Link: The Fabelmans


Hollywood liebt Filme über Hollywood. Und wenn dann noch einer der angesehensten Regisseure der Geschichte einen autobiographischen Film über seine Anfänge als Filmemacher dreht, verwundert es kaum, dass es Oscarnominierungen regnet. Nicht weniger als 7 Nominierungen heimste „Die Fabelmans“ bei der diesjährigen Verleihung ein. Zu einer Auszeichnung reichte es dann am Ende doch nicht, auch wenn man sich langsam die Frage stellt, was Michelle Williams noch alles tun muss, um endlich mal den verdienten Oscar in ihren Händen zu halten. Vielleicht hilft es, wenn sie sich in ein Bärenfell einwickelt und rohes Fleisch isst. Aber eigentlich müssen wir ja über Gabriel LaBelle reden, der als Spielbergs Alter Ego Sammy Fabelman in einem familiären Spannungsfeld zwischen Künstlern/Träumern (seine Mutter) und Wissenschaft (sein Vater) aufwächst. Schon früh entdeckt er seine Leidenschaft für den Film und kommt damit eindeutig nach der Mutter. Doch er stellt auch fest, dass der Film auch Wahrheiten aufdecken kann, die sonst vielleicht im Verborgenen geblieben wären. Sieht man von der übergeordneten autobiographischen Ebene ab, ist „Die Fabelmans“ in erster Linie ein Familiendrama und Coming-of-Age-Film, in dessen Zentrum ein zwischen zwei Welten hin- und hergerissener Jugendlicher steht, der seinen Platz erst finden muss. Die sensible Inszenierung fügt diesem vielbearbeiteten Thema allerdings eine gefühlvolle, fast nostalgische Note hinzu, die die doch recht ambitionierte Dauer von 2,5 Stunden gut trägt. Dazu bekommen die Zuseher einen Einblick in die originellen ersten handwerklichen Schritte des Jungregisseurs und so einen Blick hinter die Kulissen Hollywoods gestattet – wenn auch nur im Kleinen. Für einen ganz großen Wurf fehlen mir persönlich am Ende ein Gefühl von Dringlichkeit und Relevanz. Stattdessen gleitet der Film wie auf den Schienen, die zu Beginn den jungen Sammy inspirieren, dahin, was durchaus Spielbergs Meisterschaft aufzeigt, und doch fehlen die Kanten und die scharfen Stellen, an denen man sich verletzen kann.


7,0 Kürbisse

(Bildzitat: © 2022 Universal Studios and Amblin Entertainment, Quelle http://www.imdb.com)

Der Unsichtbare (2020)

Regie: Leigh Whannell
Original-Titel: The Invisible Man
Erscheinungsjahr: 2020
Genre: Drama, Horror, Thriller
IMDB-Link: The Invisible Man


Unsichtbar zu sein hat viele Vorteile. So muss man sich beispielsweise keine Gedanken über einen möglichen Bad Hair-Day machen und kann im Pyjama herumlaufen. Im Büro kann man endlich mal in Ruhe seine Sachen abarbeiten. Oder man kann seine psychotischen Neigungen ausleben und seine Exfreundin stalken und bedrohen. Jeder nach seinem Gusto. Nur blöd, wenn man die besagte Exfreundin ist, denn dann wird’s ungemütlich – zunächst für Elisabeth Moss in der Rolle der an ihrem Verstand Zweifelnden, dann aber für den Tunichtgut, der einfach ungeniert in ihrem Schlafzimmer herumlümmelt, ohne gesehen werden zu können. „Der Unsichtbare“ von Leigh Whannell geht auf einen ziemlich alten Stoff zurück. H. G. Wells schuf die literarische Vorlage, James Whale mit einer ersten Verfilmung 1933 einen Klassiker des Horrorgenres. Ziemlich große Fußstapfen also, in der Whannell mit seiner Verfilmung des Stoffs treten wollte. Man muss ihm hoch anrechnen, dass der Film wirklich gut geworden ist und jedenfalls für sich stehen kann. Mit einer feministischen Ermächtigungsgeschichte bringt Whannell eine zeitgemäße und intelligente eigene Note hinein, die von Elisabeth Moss, einer grandiosen Könnerin ihres Fachs, kongenial getragen wird. So ist diese Neuverfilmung nicht nur ein spannend inszenierter Nägelbeißer, sondern wartet auch noch mit einer klaren Botschaft an die Machos da draußen auf, die meinen, eine Freundin würde in die Kategorie des persönlichen Besitzes fallen.


7,5 Kürbisse

(Bildzitat: Foto von Universal Pictures – © 2020 Universal Pictures, Quelle http://www.imdb.com)

Das Waisenhaus (2007)

Regie: J. A. Bayona
Original-Titel: El orfanato
Erscheinungsjahr: 2007
Genre: Drama, Horror
IMDB-Link: El orfanato


Bevor J. A. Bayona die Jurassic World-Reihe mit Fallen Kingdom versenken durfte, schuf er sich einen respektablen Namen mit seinem Regie-Erstling „Das Waisenhaus“, dem bis heute noch zweiterfolgreichsten spanischen Film aller Zeiten (hinter „Pans Labyrinth“). Keine schlechte Visitenkarte für Hollywood. Dass ihm sein erster Film so viele Türen öffnete, ist auch durchaus berechtigt. Denn in einem vielleicht nicht neuartigem oder originellem, aber intelligent umgesetzten Gruseldrama baut er einen Spannungsbogen auf, der die Zuseher an die Sitze fesselt. Die Auflösung ist böse und gewitzt und befriedigt somit auch den anspruchsvollen cineastischen Magen. Belén Rueda in der Hauptrolle der Laura, die einst selbst in einem Waisenhaus aufgewachsen ist und dieses nun mit ihrem Mann nun fortführen möchte, aber bald feststellen muss, dass seltsame Ereignisse darin vorgehen, spielt mit Leib und Seele. Das ist schon große Schauspielkunst. Erinnerungen an Nicole Kidman in „The Others“ werden wach. Auch in Sachen Atmosphäre und Stimmung sind die beiden Filme durchaus vergleichbar. Wer also „The Others“ mochte, kann gerne zum „Waisenhaus“ greifen und vice versa. Und auch für so kleine Horrorfilmschisser wie den Kürbis eures Vertrauens ist der Film gut verdaulich, da er auf Atmosphäre und eine intelligent erzählte Geschichte setzt und nicht auf Schockmomente. Der Blutdruck dankt’s.


7,0 Kürbisse

(Bildzitat: Quelle http://www.imdb.com)

Minority Report (2002)

Regie: Steven Spielberg
Original-Titel: Minority Report
Erscheinungsjahr: 2002
Genre: Drama, Science Fiction, Thriller, Krimi
IMDB-Link: Minority Report


Wenn der Jäger zum Gejagten wird: Kein neues Sujet in der Filmgeschichte, doch immer wieder spannend. Wenn dieses Thema noch gewürzt wird mit einer dystopischen Vorlage aus der Feder von Philip K. Dick, einem der größten Science Fiction-Autoren des letzten Jahrhunderts, niemand Geringerer als Steven Spielberg auf dem Regiestuhl Platz nimmt und der ewige Actionheld Tom Cruise durchs Bild rennen darf, stehen die Vorzeichen für einen bombastischen Film schon mal sehr gut. „Minority Report“ aus dem Jahr 2002 arbeitet mit einer cleveren Ausgangsidee: In einer nicht allzu fernen Zukunft werden dank übersinnlich begabter Medien Verbrecher aus dem Verkehr gezogen, noch ehe sie ihr Verbrechen begehen. John Anderton ist Leiter dieses Spezialtrupps der Polizei, die künftige Morde verhindern soll, ehe sie geschehen. Doch eines Tages spuckt das System einen Namen, mit dem er selbst am wenigsten gerechnet hätte, als künftigen Mörder aus: seinen eigenen. Und schon beginnt die wilde Jagd, denn natürlich lässt sich das nicht geheim halten. Ihm auf den Fersen: Detective Witwer (Colin Farrell), der die ganze Verbrechensprävention auf Basis von drei seltsamen Schwimmern, die schlechte Träume haben, eh am liebsten einstampfen würde. Der gejagte Anderton ist im Zwiespalt – einerseits wäre es für ihn nicht übel, könnte er seine (zukünftige) Unschuld beweisen, denn niemand atmet gerne gesiebte Luft. Andererseits würde er damit seinen Job abschaffen. Dieses moralische Dilemma kommt vielleicht im Zuge des groß angelegten Actiongedöns etwas zu kurz, doch dafür ist der Film trotz stattlicher Laufzeit von fast 2,5 Stunden sehr kurzweilig und unterhaltsam. Doch aufgrund seiner moralischen und ethischen Grundsatzfragen bleibt der Film auch weiterhin interessant, und so ist „Minority Report“ mittlerweile zu einem gut gealterten Science Fiction-Klassiker geworden.


7,0 Kürbisse

(Bildzitat: Quelle http://www.imdb.com)

An einem schönen Morgen (2022)

Regie: Mia Hansen-Løve
Original-Titel: Un beau matin
Erscheinungsjahr: 2022
Genre: Drama, Liebesfilm
IMDB-Link: Un beau matin


Hach, die Franzosen. Gelingt es ihnen, ihre übliche Geschwätzigkeit in Liebesdramen abzulegen, kommen richtig feine, sensible Filme heraus. Wie „An einem schönen Morgen“ von Mia Hansen-Løve. Die renommierte Regisseurin schickt hier die hochgeschätzte Léa Seydoux auf eine emotionale Achterbahnfahrt. Die jung verwitwete Übersetzerin Sandra muss sich nicht nur um ihre Tochter, sondern auch um ihren neurogenerativ erkrankten Vater (Pascal Greggory) kümmern, der am sogenannten Benson-Syndrom leidet. Bei dieser teuflischen Erkrankung, die Alzheimer-Kranke befallen kann, kann das Sehvermögen nicht mehr richtig im Hirn verarbeitet werden. Die Folge sind Demenz und schlimme Seheinschränkungen, man vergisst, und man vergisst, zu sehen. Gerade in der Phase, als die Familie entscheiden muss, wie sie mit dem Vater weiterverfährt; der nicht mehr allein leben kann, tritt ein alter Freund wieder in ihr Leben. Dieser ist mäßig glücklich verheiratet, hat selbst einen jungen Sohn, und macht Sandra, die jegliche Hoffnung auf ein eigenes Liebesleben schon aufgegeben hat, sichtlich Avancen. Jede Teilgeschichte für sich gäbe in diesem Film schon mal ein hochemotionales, auf die Tränendrüse drückendes Drama ab. Hansen-Løve hingegen ist nicht daran interessiert, ihre Figuren dem Mitleid der Zuseher:innen auszusetzen. Stattdessen bringt sie ein feinfühliges Beziehungsdrama auf die Leinwand, das verschiedene Facetten der Liebe beleuchtet. Das ist große Kunst, wenngleich mit dem Risiko des Scheiterns behaftet, wenn nicht der Cast 1A abliefert. Doch mit Léa Seydoux und Pascal Greggory hat Mia Hansen-Løve zwei Zugpferde, die ihre schwierigen Aufgaben eindrucksvoll meistern. Ganz großes Gefühlskino – und das im besten Sinne ohne Kitsch und Tränendrücken.


7,5 Kürbisse

(Bildzitat: © Les Films Pelléas, Quelle http://www.imdb.com)

Alles, was wir geben mussten (2010)

Regie: Mark Romanek
Original-Titel: Never Let Me Go
Erscheinungsjahr: 2010
Genre: Drama, Science Fiction
IMDB-Link: Never Let Me Go


Der Brite Kazuo Ishiguro, seit 2017 Nobelpreisträger für Literatur, schreibt erbauliche Bücher, so richtige Schenkelklopfer. In „Was vom Tage übrig blieb“ reibt sich ein moralisch flexibler Butler für seinen Herrn auf, der unverhohlene Begeisterung für einen kleinen Mann mit Chaplin-Bart aus dem idyllischen Städtchen Braunau hegt. Im neuesten Roman „Klara und die Sonne“ stellt eine künstliche Intelligenz fest, dass sie nur dann beachtet wird, wenn sie nützlich ist. Und in „Alles, was wir geben mussten“ wachsen drei Kinder in einem Internat auf mit dem Wissen, dass sie nicht mehr sind als eine lebende Organspendebank für die Reichen und Mächtigen. Wenn es soweit ist, werden sie ausgeschlachtet, bis nichts mehr da ist, was sie am Leben halten kann. Hach, bei so viel Unterhaltung schmeckt das Popcorn doch gleich mal doppelt so gut! In diesem Sinne darf diese Einleitung als Warnung herhalten vor den Büchern von Ishiguro im Allgemeinen und der Verfilmung von „Alles, was wir geben mussten“ im Speziellen. Das ist nur etwas für sonnige Gemüter. Wer nicht mit einem Schutzschild aus Gelassenheit und innerem Frieden bewehrt ans Werk geht, wird gnadenlos niedergeknüppelt. Mark Romanek gelang jedenfalls eine sehr werksgetreue Verfilmung des berühmten Romans – mit allen dahin einhergehenden positiven wie negativen Aspekten. Positiv hervorzuheben ist die Besetzung, die mit Carey Mulligan als zentrale Figur Kathy ein schauspielerisches Schwergewicht aufwartet, das die Wucht der vielschichtigen Trostlosigkeit in Blicken und Gesten stemmen kann, ohne zur Karikatur zu verkommen. An ihrer Seite: Keira Knightley und Andrew Garfield, die beide deutlich zurückbleiben, was aber nicht weiter schlimm ist, da sich die Geschichte eben auf Kathy konzentriert. Der hauptsächliche negative Aspekt der werksgetreuen Verfilmung ist das Erzähltempo – hier merkt man den Einfluss der gesetzt erzählten Vorlage. So braucht es ein wenig Geduld und Sitzfleisch für den Film, und am Ende stellt sich die Frage, ob man mit der Lektüre des Buchs nicht insgesamt besser fahren würde, da der Film selbst dem Stoff keine weiteren Nuancen hinzufügen kann. Für alle, die das Buch aber nicht kennen, ist „Alles, was wir geben mussten“ ein guter Einstieg in die dystopischen Gedankenwelten von Kazuo Ishiguro, sehenswert und in sich sehr stimmig.


6,5 Kürbisse

(Bildzitat: Quelle http://www.imdb.com)

Amsterdam (2022)

Regie: David O. Russell
Original-Titel: Amsterdam
Erscheinungsjahr: 2022
Genre: Krimi, Drama, Komödie
IMDB-Link: Amsterdam


David O. Russell macht es mir nicht einfach. Für mich ist der renommierte Regisseur ein Überraschungsei. Oder, um es mit Forrest Gump zu sagen, eine Schachtel Pralinen. „Three Kings“ gehört zu den wenigen Filmen, die ich abgebrochen habe. Dann kam „The Fighter“, den ich richtig gut fand. Über „Silver Linings“ habe ich mich wieder geärgert. Zwar ein guter Film, aber hey, verdammt noch mal, der Oscar für die beste weibliche Hauptrolle gehörte Emmanuelle Riva für „Amour“. (Sorry, JLaw. Ich mag dich ja trotzdem, solange du keine russischen Spioninnen spielst.) Über „American Hustle“ konnte man sich hingegen gar nicht ärgern. Ein grandioser Film. Und dann „Joy“, wieder Jennifer Lawrence, diesmal aber in einem richtig miesen Film. Was ist nun „Amsterdam“ – Top oder Flop? Geht man nach den meisten Kritiken, hat hier David O. Russell eine veritable Bruchlandung hingelegt. Und ja, ich verstehe, wie man dazu kommt, den Film nicht zu mögen. „Amsterdam“ springt in der Tonalität recht erratisch umher, versucht, Komödie, Drama, Krimi und Thriller zu vereinen, um am Ende relativ unspektakulär auszulaufen. Und doch hat der Film etwas, das über die (erneut) überragende Darstellung von Christian Bale hinausgeht: Der Film will so erratisch sein. In einer chaotischen Zwischenkriegszeit (der letzte Krieg hat noch sichtbare Narben hinterlassen, der kommende ist zwar noch nicht greifbar, aber es brodelt sich etwas zusammen in der Weltpolitik) läuft eben nicht alles in einem klaren Bogen ab. Da gibt es Raum für Leid genauso wie für Hoffnung. „Amsterdam“ ist auch mehr an der Geschichte dreier durch das Schicksal verbundenen Freunde (Bale, Margot Robbie und John David Washington) interessiert als an der Krimi-Handlung, die die drei nach vielen Jahren wieder zusammenführt. Es geht mehr um die Frage, wie eng Freundschaften sein können, die aus gemeinsamem Schmerz geboren wurden. Und das ist vielleicht der hoffnungsvollste Aspekt des Films: Auch wenn die Welt durchzudrehen scheint, solange man sich auf seine Freunde verlassen kann, gibt es immer einen Grund, jeden Tag aufzustehen und weiterzumachen.


7,0 Kürbisse

(Bildzitat: Foto von Courtesy of 20th Century Studios/Courtesy of 20th Century Studio – © 2022 20th Century Studios. All Rights Reserved, Quelle http://www.imdb.com)