Drama

Der Unsichtbare (2020)

Regie: Leigh Whannell
Original-Titel: The Invisible Man
Erscheinungsjahr: 2020
Genre: Drama, Horror, Thriller
IMDB-Link: The Invisible Man


Unsichtbar zu sein hat viele Vorteile. So muss man sich beispielsweise keine Gedanken über einen möglichen Bad Hair-Day machen und kann im Pyjama herumlaufen. Im Büro kann man endlich mal in Ruhe seine Sachen abarbeiten. Oder man kann seine psychotischen Neigungen ausleben und seine Exfreundin stalken und bedrohen. Jeder nach seinem Gusto. Nur blöd, wenn man die besagte Exfreundin ist, denn dann wird’s ungemütlich – zunächst für Elisabeth Moss in der Rolle der an ihrem Verstand Zweifelnden, dann aber für den Tunichtgut, der einfach ungeniert in ihrem Schlafzimmer herumlümmelt, ohne gesehen werden zu können. „Der Unsichtbare“ von Leigh Whannell geht auf einen ziemlich alten Stoff zurück. H. G. Wells schuf die literarische Vorlage, James Whale mit einer ersten Verfilmung 1933 einen Klassiker des Horrorgenres. Ziemlich große Fußstapfen also, in der Whannell mit seiner Verfilmung des Stoffs treten wollte. Man muss ihm hoch anrechnen, dass der Film wirklich gut geworden ist und jedenfalls für sich stehen kann. Mit einer feministischen Ermächtigungsgeschichte bringt Whannell eine zeitgemäße und intelligente eigene Note hinein, die von Elisabeth Moss, einer grandiosen Könnerin ihres Fachs, kongenial getragen wird. So ist diese Neuverfilmung nicht nur ein spannend inszenierter Nägelbeißer, sondern wartet auch noch mit einer klaren Botschaft an die Machos da draußen auf, die meinen, eine Freundin würde in die Kategorie des persönlichen Besitzes fallen.


7,5 Kürbisse

(Bildzitat: Foto von Universal Pictures – © 2020 Universal Pictures, Quelle http://www.imdb.com)

Das Waisenhaus (2007)

Regie: J. A. Bayona
Original-Titel: El orfanato
Erscheinungsjahr: 2007
Genre: Drama, Horror
IMDB-Link: El orfanato


Bevor J. A. Bayona die Jurassic World-Reihe mit Fallen Kingdom versenken durfte, schuf er sich einen respektablen Namen mit seinem Regie-Erstling „Das Waisenhaus“, dem bis heute noch zweiterfolgreichsten spanischen Film aller Zeiten (hinter „Pans Labyrinth“). Keine schlechte Visitenkarte für Hollywood. Dass ihm sein erster Film so viele Türen öffnete, ist auch durchaus berechtigt. Denn in einem vielleicht nicht neuartigem oder originellem, aber intelligent umgesetzten Gruseldrama baut er einen Spannungsbogen auf, der die Zuseher an die Sitze fesselt. Die Auflösung ist böse und gewitzt und befriedigt somit auch den anspruchsvollen cineastischen Magen. Belén Rueda in der Hauptrolle der Laura, die einst selbst in einem Waisenhaus aufgewachsen ist und dieses nun mit ihrem Mann nun fortführen möchte, aber bald feststellen muss, dass seltsame Ereignisse darin vorgehen, spielt mit Leib und Seele. Das ist schon große Schauspielkunst. Erinnerungen an Nicole Kidman in „The Others“ werden wach. Auch in Sachen Atmosphäre und Stimmung sind die beiden Filme durchaus vergleichbar. Wer also „The Others“ mochte, kann gerne zum „Waisenhaus“ greifen und vice versa. Und auch für so kleine Horrorfilmschisser wie den Kürbis eures Vertrauens ist der Film gut verdaulich, da er auf Atmosphäre und eine intelligent erzählte Geschichte setzt und nicht auf Schockmomente. Der Blutdruck dankt’s.


7,0 Kürbisse

(Bildzitat: Quelle http://www.imdb.com)

Minority Report (2002)

Regie: Steven Spielberg
Original-Titel: Minority Report
Erscheinungsjahr: 2002
Genre: Drama, Science Fiction, Thriller, Krimi
IMDB-Link: Minority Report


Wenn der Jäger zum Gejagten wird: Kein neues Sujet in der Filmgeschichte, doch immer wieder spannend. Wenn dieses Thema noch gewürzt wird mit einer dystopischen Vorlage aus der Feder von Philip K. Dick, einem der größten Science Fiction-Autoren des letzten Jahrhunderts, niemand Geringerer als Steven Spielberg auf dem Regiestuhl Platz nimmt und der ewige Actionheld Tom Cruise durchs Bild rennen darf, stehen die Vorzeichen für einen bombastischen Film schon mal sehr gut. „Minority Report“ aus dem Jahr 2002 arbeitet mit einer cleveren Ausgangsidee: In einer nicht allzu fernen Zukunft werden dank übersinnlich begabter Medien Verbrecher aus dem Verkehr gezogen, noch ehe sie ihr Verbrechen begehen. John Anderton ist Leiter dieses Spezialtrupps der Polizei, die künftige Morde verhindern soll, ehe sie geschehen. Doch eines Tages spuckt das System einen Namen, mit dem er selbst am wenigsten gerechnet hätte, als künftigen Mörder aus: seinen eigenen. Und schon beginnt die wilde Jagd, denn natürlich lässt sich das nicht geheim halten. Ihm auf den Fersen: Detective Witwer (Colin Farrell), der die ganze Verbrechensprävention auf Basis von drei seltsamen Schwimmern, die schlechte Träume haben, eh am liebsten einstampfen würde. Der gejagte Anderton ist im Zwiespalt – einerseits wäre es für ihn nicht übel, könnte er seine (zukünftige) Unschuld beweisen, denn niemand atmet gerne gesiebte Luft. Andererseits würde er damit seinen Job abschaffen. Dieses moralische Dilemma kommt vielleicht im Zuge des groß angelegten Actiongedöns etwas zu kurz, doch dafür ist der Film trotz stattlicher Laufzeit von fast 2,5 Stunden sehr kurzweilig und unterhaltsam. Doch aufgrund seiner moralischen und ethischen Grundsatzfragen bleibt der Film auch weiterhin interessant, und so ist „Minority Report“ mittlerweile zu einem gut gealterten Science Fiction-Klassiker geworden.


7,0 Kürbisse

(Bildzitat: Quelle http://www.imdb.com)

An einem schönen Morgen (2022)

Regie: Mia Hansen-Løve
Original-Titel: Un beau matin
Erscheinungsjahr: 2022
Genre: Drama, Liebesfilm
IMDB-Link: Un beau matin


Hach, die Franzosen. Gelingt es ihnen, ihre übliche Geschwätzigkeit in Liebesdramen abzulegen, kommen richtig feine, sensible Filme heraus. Wie „An einem schönen Morgen“ von Mia Hansen-Løve. Die renommierte Regisseurin schickt hier die hochgeschätzte Léa Seydoux auf eine emotionale Achterbahnfahrt. Die jung verwitwete Übersetzerin Sandra muss sich nicht nur um ihre Tochter, sondern auch um ihren neurogenerativ erkrankten Vater (Pascal Greggory) kümmern, der am sogenannten Benson-Syndrom leidet. Bei dieser teuflischen Erkrankung, die Alzheimer-Kranke befallen kann, kann das Sehvermögen nicht mehr richtig im Hirn verarbeitet werden. Die Folge sind Demenz und schlimme Seheinschränkungen, man vergisst, und man vergisst, zu sehen. Gerade in der Phase, als die Familie entscheiden muss, wie sie mit dem Vater weiterverfährt; der nicht mehr allein leben kann, tritt ein alter Freund wieder in ihr Leben. Dieser ist mäßig glücklich verheiratet, hat selbst einen jungen Sohn, und macht Sandra, die jegliche Hoffnung auf ein eigenes Liebesleben schon aufgegeben hat, sichtlich Avancen. Jede Teilgeschichte für sich gäbe in diesem Film schon mal ein hochemotionales, auf die Tränendrüse drückendes Drama ab. Hansen-Løve hingegen ist nicht daran interessiert, ihre Figuren dem Mitleid der Zuseher:innen auszusetzen. Stattdessen bringt sie ein feinfühliges Beziehungsdrama auf die Leinwand, das verschiedene Facetten der Liebe beleuchtet. Das ist große Kunst, wenngleich mit dem Risiko des Scheiterns behaftet, wenn nicht der Cast 1A abliefert. Doch mit Léa Seydoux und Pascal Greggory hat Mia Hansen-Løve zwei Zugpferde, die ihre schwierigen Aufgaben eindrucksvoll meistern. Ganz großes Gefühlskino – und das im besten Sinne ohne Kitsch und Tränendrücken.


7,5 Kürbisse

(Bildzitat: © Les Films Pelléas, Quelle http://www.imdb.com)

Alles, was wir geben mussten (2010)

Regie: Mark Romanek
Original-Titel: Never Let Me Go
Erscheinungsjahr: 2010
Genre: Drama, Science Fiction
IMDB-Link: Never Let Me Go


Der Brite Kazuo Ishiguro, seit 2017 Nobelpreisträger für Literatur, schreibt erbauliche Bücher, so richtige Schenkelklopfer. In „Was vom Tage übrig blieb“ reibt sich ein moralisch flexibler Butler für seinen Herrn auf, der unverhohlene Begeisterung für einen kleinen Mann mit Chaplin-Bart aus dem idyllischen Städtchen Braunau hegt. Im neuesten Roman „Klara und die Sonne“ stellt eine künstliche Intelligenz fest, dass sie nur dann beachtet wird, wenn sie nützlich ist. Und in „Alles, was wir geben mussten“ wachsen drei Kinder in einem Internat auf mit dem Wissen, dass sie nicht mehr sind als eine lebende Organspendebank für die Reichen und Mächtigen. Wenn es soweit ist, werden sie ausgeschlachtet, bis nichts mehr da ist, was sie am Leben halten kann. Hach, bei so viel Unterhaltung schmeckt das Popcorn doch gleich mal doppelt so gut! In diesem Sinne darf diese Einleitung als Warnung herhalten vor den Büchern von Ishiguro im Allgemeinen und der Verfilmung von „Alles, was wir geben mussten“ im Speziellen. Das ist nur etwas für sonnige Gemüter. Wer nicht mit einem Schutzschild aus Gelassenheit und innerem Frieden bewehrt ans Werk geht, wird gnadenlos niedergeknüppelt. Mark Romanek gelang jedenfalls eine sehr werksgetreue Verfilmung des berühmten Romans – mit allen dahin einhergehenden positiven wie negativen Aspekten. Positiv hervorzuheben ist die Besetzung, die mit Carey Mulligan als zentrale Figur Kathy ein schauspielerisches Schwergewicht aufwartet, das die Wucht der vielschichtigen Trostlosigkeit in Blicken und Gesten stemmen kann, ohne zur Karikatur zu verkommen. An ihrer Seite: Keira Knightley und Andrew Garfield, die beide deutlich zurückbleiben, was aber nicht weiter schlimm ist, da sich die Geschichte eben auf Kathy konzentriert. Der hauptsächliche negative Aspekt der werksgetreuen Verfilmung ist das Erzähltempo – hier merkt man den Einfluss der gesetzt erzählten Vorlage. So braucht es ein wenig Geduld und Sitzfleisch für den Film, und am Ende stellt sich die Frage, ob man mit der Lektüre des Buchs nicht insgesamt besser fahren würde, da der Film selbst dem Stoff keine weiteren Nuancen hinzufügen kann. Für alle, die das Buch aber nicht kennen, ist „Alles, was wir geben mussten“ ein guter Einstieg in die dystopischen Gedankenwelten von Kazuo Ishiguro, sehenswert und in sich sehr stimmig.


6,5 Kürbisse

(Bildzitat: Quelle http://www.imdb.com)

Amsterdam (2022)

Regie: David O. Russell
Original-Titel: Amsterdam
Erscheinungsjahr: 2022
Genre: Krimi, Drama, Komödie
IMDB-Link: Amsterdam


David O. Russell macht es mir nicht einfach. Für mich ist der renommierte Regisseur ein Überraschungsei. Oder, um es mit Forrest Gump zu sagen, eine Schachtel Pralinen. „Three Kings“ gehört zu den wenigen Filmen, die ich abgebrochen habe. Dann kam „The Fighter“, den ich richtig gut fand. Über „Silver Linings“ habe ich mich wieder geärgert. Zwar ein guter Film, aber hey, verdammt noch mal, der Oscar für die beste weibliche Hauptrolle gehörte Emmanuelle Riva für „Amour“. (Sorry, JLaw. Ich mag dich ja trotzdem, solange du keine russischen Spioninnen spielst.) Über „American Hustle“ konnte man sich hingegen gar nicht ärgern. Ein grandioser Film. Und dann „Joy“, wieder Jennifer Lawrence, diesmal aber in einem richtig miesen Film. Was ist nun „Amsterdam“ – Top oder Flop? Geht man nach den meisten Kritiken, hat hier David O. Russell eine veritable Bruchlandung hingelegt. Und ja, ich verstehe, wie man dazu kommt, den Film nicht zu mögen. „Amsterdam“ springt in der Tonalität recht erratisch umher, versucht, Komödie, Drama, Krimi und Thriller zu vereinen, um am Ende relativ unspektakulär auszulaufen. Und doch hat der Film etwas, das über die (erneut) überragende Darstellung von Christian Bale hinausgeht: Der Film will so erratisch sein. In einer chaotischen Zwischenkriegszeit (der letzte Krieg hat noch sichtbare Narben hinterlassen, der kommende ist zwar noch nicht greifbar, aber es brodelt sich etwas zusammen in der Weltpolitik) läuft eben nicht alles in einem klaren Bogen ab. Da gibt es Raum für Leid genauso wie für Hoffnung. „Amsterdam“ ist auch mehr an der Geschichte dreier durch das Schicksal verbundenen Freunde (Bale, Margot Robbie und John David Washington) interessiert als an der Krimi-Handlung, die die drei nach vielen Jahren wieder zusammenführt. Es geht mehr um die Frage, wie eng Freundschaften sein können, die aus gemeinsamem Schmerz geboren wurden. Und das ist vielleicht der hoffnungsvollste Aspekt des Films: Auch wenn die Welt durchzudrehen scheint, solange man sich auf seine Freunde verlassen kann, gibt es immer einen Grund, jeden Tag aufzustehen und weiterzumachen.


7,0 Kürbisse

(Bildzitat: Foto von Courtesy of 20th Century Studios/Courtesy of 20th Century Studio – © 2022 20th Century Studios. All Rights Reserved, Quelle http://www.imdb.com)

Der denkwürdige Fall des Mr Poe (2022)

Regie: Scott Cooper
Original-Titel: The Pale Blue Eye
Erscheinungsjahr: 2022
Genre: Drama, Krimi, Historienfilm
IMDB-Link: The Pale Blue Eye


Harry Melling hat es geschafft. Aus dem nervigen und übergewichtigen Dudley Dursley ist Edgar Allen Poe geworden, und zwar in einer sehr überzeugenden Art und Weise. Dass er dennoch nur die zweite Geige in „The Pale Blue Eye“ (auf Deutsch sperrig „Der denkwürdige Fall des Mr Poe“) spielen darf, liegt an der ersten Geige. Wenn Christian Bale aufgeigt, haben alle anderen Pause. Bale spielt mit viel Gravitas den Privatermittler Augustus Landor, der nach einem seltsamen Vorfall in einer Militärakademie zu Hilfe gezogen wird: Ein Kadett wurde erhängt aufgefunden, und kurze Zeit später schnitt man dem Leichnam das Herz heraus. Bei seinen Ermittlungen stößt Landor auf den jungen Schriftsteller und Kadetten Edgar Allen Poe. Logisch, dass in weiterer Folge Treffen auf dem Friedhof stattfinden und sich auch mal ein Rabe dekorativ niederlässt. So viel Foreshadowing muss sein. Und doch bleibt der Film auf Landor fokussiert, der sich in eisiger Winterlandschaft einen Reim auf die Ereignisse zu machen versucht. Leider ist das höchst unspannend, um nicht zu sagen: schlichtweg fad. Da hilft es auch nicht, wenn in jeder kleinsten Nebenrolle echte Kapazunder vom Format eines Timothy Spall, eines Toby Jones, einer Gillian Anderson, eines Robert Duvall, einer Charlotte Gainsbourg zu sehen sind – ein fader Film bleibt ein fader Film. Lediglich der Twist am Ende reißt den im Fauteuil schlummernden Zuseher mal wieder kurz aus den Träumen, und man fragt sich: Hätte man nicht ökonomischer dorthin gelangen können?


5,0 Kürbisse

(Bildzitat: Foto von SCOTT GARFIELD/NETFLIX © 2022/SCOTT GARFIELD/NETFLIX © 2022 – © 2022 Netflix, Inc, Quelle http://www.imdb.com)

Weißes Rauschen (2022)

Regie: Noah Baumbach
Original-Titel: White Noise
Erscheinungsjahr: 2022
Genre: Komödie, Drama
IMDB-Link: White Noise


Noah Baumbach hat eine sehr eigene, durchaus lakonische Sicht auf die Dinge. Unter seiner Regie sind einige bemerkenswerte Filme wie Marriage Story oder „Frances Ha“ entstanden, letzterer mit seiner nunmehrigen Lebensgefährtin Greta Gerwig in der Hauptrolle, die wiederum ihrerseits sehr umtriebig ist (auf ihre Barbie-Verfilmung mit Margot Robbie und Ryan Gosling in den Hauptrollen freue ich mich schon besonders). Das neueste Werk, „Weißes Rauschen“, ist mit Sicherheit Baumbachs ambitioniertestes. Die Millionen, die Netflix in den Film gepumpt hat, werden in einen überragenden Cast (Adam Driver, Don Cheadle, natürlich Greta Gerwig und in einer Nebenrolle am Schluss Lars Eidinger) und überzeugende Spezialeffekte investiert, und doch bleibt der Film zuallererst ein typischer Baumbach-Film. Es passiert nicht viel, Menschen reden aneinander vorbei und treffen sich in Supermärkten. Für die literarische Vorlage hat Don DeLillo gesorgt, doch ist „Weißes Rauschen“ mehr Baumbach als DeLillo. Adam Driver spielt ein kurioses Mash-Up aus Woody Allen und Jeff Goldblum (die Dialogzeilen und die verhuschten Blicke scheinen von Woody Allen zu stammen, der körperliche Stoizismus, der die Dialoge begleitet, von Jeff Goldblum), und Greta Gerwig ist mit 80er-Jahre-Locken kaum wiederzuerkennen. Als Oberhäupter einer Patchwork-Familie müssen sie sich mit den Folgen eines Chemie-Unfalls auseinandersetzen, der das Familienleben auf eine harte Belastungsprobe stellt. Die scheinbare Nahtod-Erfahrung legt Risse frei, die sich unterhalb der Oberfläche durch die Familie ziehen. Das alles wird aber dermaßen nüchtern und beiläufig erzählt, dass es schwer ist, eine Bindung zu den Figuren aufzubauen. Schlimmer noch: Abgesehen von ein paar wirklich gelungenen Szenen plätschert der Film dermaßen ereignisarm vor sich hin, dass man Gefahr läuft, auf dem Sofa friedlich einzubüseln. „Weißes Rauschen“ macht es dem Zuseher nicht leicht. Wenn der Abspann mit einer witzigen Tanzeinlage der gefühlte Höhepunkt des ganzen Films ist, dann läuft in den zwei Stunden davor etwas grundlegend falsch. Es gibt zugänglichere Baumbach-Filme.


5,5 Kürbisse

(Bildzitat: Foto von WILSON WEBB/NETFLIX © 2022/WILSON WEBB / NETFLIX ©2022 – © 2022 NETFLIX, Quelle http://www.imdb.com)

Master & Commander – Bis ans Ende der Welt (2003)

Regie: Peter Weir
Original-Titel: Master and Commander: The Far Side of the World
Erscheinungsjahr: 2003
Genre: Historienfilm, Kriegsfilm, Drama, Abenteuerfilm
IMDB-Link: Master and Commander: The Far Side of the World


Ein in meinen Augen unterschätztes Kleinod ist Peter Weirs Abenteuerfilm „Master & Commander – Bis ans Ende der Welt“. Vielleicht liegt es daran, dass eine Verfolgungsjagd via Schiff halt weniger spektakulär und rasant ausfällt als mit aufgemotzten Sportwagen. Auf „Verfolgen Sie dieses Schiff!“ folgt halt erst einmal „Holt den Anker ein!“ – „Setzt die Segel!“ – „Zwölf Grad Backbord!“ Und so weiter. Bis man den verfolgten Kahn eingeholt hat, ist eine Galapagos-Schildkröte locker mal um die ganze Insel gelaufen. Apropos Galapagos: Die spielen hier eine nicht minder wichtige Rolle als Russell Crowe und Paul Bettany. Denn sie kommen den gegensätzlichen Plänen des Kapitäns des Kriegsschiffs HMS Surprise und dessen Freund und Schiffsarzt in die Quere. Der Schiffsarzt möchte verständlicherweise Inselurlaub machen, um unerforschte Arten zu entdecken. Der grimmige Kapitän aber hat den Auftrag, das französische Kriegsschiff Acheron zu kapern. Und weil es immer so ist, dass der Ober den Unter sticht, kann sich Bettany seine neuen Arten wortwörtlich aufzeichnen. Aber er ist ohnehin bald damit beschäftigt, von Kanonenkugeln zerfetzte Leiber wieder zusammenzuflicken. „Master & Commander“ ist ein ruhiger, handlungsarmer, aber dafür umso intensiverer Kriegsfilm. Gezeigt wird ein Katz-und-Maus-Spiel zwischen dem britischen und dem französischen Schiff, wobei nicht immer klar ist, wer gerade die Katze und wer die Maus ist. Russell Crowe und Paul Bettany als befreundete Offiziere haben eine gute Chemie. Dazu kommt, dass das raue Leben an See so dreckig und ungeschönt gezeigt wird, wie es nun mal war. Es ist schade, dass Peter Weirs Film aus dem Jahr 2003 das einzige Abenteuer von Kapitän Aubrey und Schiffsarzt Dr. Maturin blieb. Die literarischen Vorlagen dazu hätten wohl noch so viel mehr hergegeben.


8,5 Kürbisse

(Bildzitat: © 2003 Twentieth Century Fox Film Corporation and Universal Studios and Miramax Film Corp. All rights reserved, Quelle http://www.imdb.com)

Plötzlich im letzten Sommer (1959)

Regie: Joseph L. Mankiewicz
Original-Titel: Suddenly, Last Summer
Erscheinungsjahr: 1959
Genre: Drama, Thriller
IMDB-Link: Suddenly, Last Summer


Katherine Hepburn konnte sogar ein Vogelnest auf dem Kopf tragen, und dennoch wirkte ihr Schauspiel graziös und messerscharf. Das ist Talent! Und dennoch spielt sie in „Plötzlich im letzten Sommer“ nach einem Stück von Tennessee Williams trotz erneuter Oscarnominierung nur die zweite Geige, denn die Primadonna des Thrillers, mit einem Golden Globe ausgezeichnet und ebenfalls für den Oscar nominiert, ist natürlich La Taylor, die schöne Elizabeth, die in der filmhistorischen Wahrnehmung so sehr mit ihrer späteren Rolle der Cleopatra verwachsen ist, dass man gerne vergisst, dass sie nicht nur unwahrscheinlich viel Lidstrich trug, sondern auch eine wirklich famose Schauspielerin war. Montgomery Clift als Chirurg, der emotional geschädigten Damen das Hirn lobotomiert, um sie zur Vernunft zu bringen (nein, es war nicht alles gut an der Goldenen Ära von Hollywood), hat zwar so viel Screentime wie sonst niemand, ist aber für die Geschichte irgendwie wurscht. Ein klassisches Indiana Jones-Schicksal also. Die Geschichte selbst: Die Witwe Violet Venable bittet den Arzt Dr. Cukrowicz zu Hilfe, da im letzten Sommer ihr geliebter Sohn Sebastian (Vorschlag für ein Trinkspiel: bei jeder Erwähnung des Namens einen Shot, und man ist hinüber, ehe Elizabeth Taylor das erste Mal auf der Leinwand aufgetaucht ist) auf einer Europareise mit seiner Cousine Catherine überraschend verstorben ist und Catherine selbst unter Amnesie leidet. Der Arzt soll doch bitte mal an ihren Frontallappen schnippeln. Der jedoch geht eigene, moderatere Wege und bringt so eine erschreckende Geschichte ins Licht. „Plötzlich im letzten Sommer“ ist großes Schauspielkino, ohne großes Kino zu sein. Denn dafür ist der Film einerseits etwas zu zäh geraten (man merkt ihm die Wurzeln als Bühnenstück an), andererseits zielt er am Ende zu sehr auf den Schockmoment ab, ohne diesen wirklich vorzubereiten. Aber das ist fast egal, wenn man zwei Meisterinnen, nämlich Hepburn und Taylor, bei ihrer Arbeit zusehen kann.


6,5 Kürbisse

(Bildzitat: Quelle http://www.imdb.com)