Germaine Dulac

Die Muschel und der Kleriker (1928)

Regie: Germaine Dulac
Original-Titel: La cocquille et le clergyman
Erscheinungsjahr: 1928
Genre: Kurzfilm, Experimentalfilm
IMDB-Link: La cocquille et le clergyman


Wenn man sich für Filme interessiert, stößt man irgendwann einmal unweigerlich auf das Werk „Ein andalusischer Hund“ von Luis Buñuel und Salvador Dalí – das frühe Meisterwerk des surrealistischen Films schlechthin (und ein Film, der immer noch auf meiner Watch-List steht). Was aber kaum jemand weiß: Dieses Werk steht nicht am Beginn des Surrealismus im Film. Denn Germaine Dulac war mit ihrem „Die Muschel und der Kleriker“ noch ein Jahr früher dran. Darin thematisiert sie die nur allzu menschlichen Gelüste eines Pfarrers und dessen Versuchungen, dargestellt durch die Frau eines Generals. Der Film lebt allein von seiner Stimmung. Und wie auch in anderen Werken beweist Dulac ihr tiefgreifendes Verständnis des Handwerks. Sie gilt zurecht als Filmpionierin, und ihre Art und Weise, bewegte Bilder überraschend einzusetzen und damit Atmosphäre zu kreieren, kann auch heute noch als Vorbild dienen. Ich kann nicht genau benennen, woran es genau liegt, aber ihre Bilder wirken auch 90 Jahre nach ihrer Entstehung frisch und modern. Vielleicht liegt es am geschickten Einsatz von Licht und Schatten, vielleicht an ungewöhnlichen Perspektiven, vielleicht am Rhythmus, in dem auch Zeitlupen-Einstellungen organisch eingebaut werden – wahrscheinlich ist es einfach das Zusammenspiel all dieser Techniken, die ihre Filme so zeitlos machen. Und auch wenn es teilweise anstrengend ist, den surrealistischen Bildern zu folgen, ist „Die Muschel und der Kleriker“ in jedem Augenblick ein faszinierendes Werk.

 


8,0
von 10 Kürbissen

Madame Beudets sonniges Lächeln (1923)

Regie: Germaine Dulac
Original-Titel: La souriante Madame Beudet
Erscheinungsjahr: 1923
Genre: Drama, Kurzfilm
IMDB-Link: La souriante Madame Beudet


Nach der Sichtung meiner ersten beiden Filme von Germaine Dulac hege ich nun den größten Wunsch, alles von ihr zu sehen – jedenfalls alles, was heute noch erhalten ist. Nach „Die Zigarette“ nun also „Madame Beudets sonniges Lächeln“ (Alternativtitel: „Das Lächeln der Madame Beudet“). Und wenn mich „Die Zigarette“ schon sehr angesprochen hat, so begeistert mich nun die „Madame Beudet“. Schonungsloser und deutlicher ist eine eheliche Depression selten gezeigt worden. „Madame Beudets sonniges Lächeln“ hat gar nicht viel Handlung, sondern konzentriert sich auf die Psychologie der Hauptfigur, ihre Tagträumereien, in denen sie dem ehelichen Gefängnis, verkörpert von ihrem völlig gleichgültigen, empathielosen und gefühllosen Trampel von Ehemann, zu entkommen versucht. Mal träumt sie sich in eine Romanze mit einem athletischen Tennisspieler, mal träumt sie davon, ihren Ehemann zu beseitigen, hat aber Angst vor den Konsequenzen (Zuchthaus, Schande). Dennoch steckt sie eines Tages eine Patrone in die Kammer des Revolvers ihres Mannes – mit dem er sie regelmäßig zu erschrecken versucht, indem er sich die Waffe an die Stirn hält und so tut, als würde er Selbstmord begehen. Doch wird es ihr gelingen, ihrem trostlosen Leben auf diese Weise zu entfliehen, auch wenn das bedeuten würde, ein Gefängnis gegen ein anderes einzutauschen? „Madame Beudets sonniges Lächeln“ ist ein frühes Avantgarde-Kino, das sich sehen lassen kann. Mit Zeitlupeneinstellungen, Überblendungen, Beleuchtungseffekten, Weichzeichnern und vor allem Germaine Dermoz‘ Mimik als depressive Ehefrau wird ein ganzes Seelenleben offen gelegt. Besser kann man dies mit der heutigen Technik auch nicht hinbekommen. Mein Rat (nicht „Mein Rad“): Die 39 Minuten, die der Film dauert, sollte jeder, der sich für Filme und Filmgeschichte interessiert, investieren, es lohnt sich!


9,0
von 10 Kürbissen

Die Zigarette (1919)

Regie: Germaine Dulac
Original-Titel: La Cigarette
Erscheinungsjahr: 1919
Genre: Drama
IMDB-Link: La Cigarette


Rauchen gefährdet die Gesundheit. Vor allem, wenn in der Zigarettenschachtel eine vergiftet ist wie der Apfel im Märchen von Schneewittchen. Diesen Zustand hat sich der Pariser Museumsdirektor Pierre selbst eingebrockt. Er selbst zählt schon einige Lenze und beschäftigt sich am liebsten mit der Mumie einer ägyptischen Königin, die der Legende zufolge einer blöden Eifersuchtsgeschichte zum Opfer gefallen ist. Womit sich Pierre weniger häufig beschäftigt: Mit seiner jungen und bildhübschen Frau. Die wird natürlich mit der Zeit empfänglich für die Ablenkungen, die die Welt da draußen so bietet. Das wiederum missversteht ein gelackter Dandy, der sich der Dame nun vehement anzunähern versucht. Sie selbst will nicht, denn trotz aller Langeweile liebt sie ihren verstaubten Professorengatten. Als aber eines Tages aufgrund eines Missverständnisses die Eifersucht in diesem entzündet wird, entschließt er sich, zur melodramatischsten aller Liebesbezeugungen zu greifen – dem Suizid. Eine vergiftete Zigarette soll sein Schicksal entscheiden. Nur eine einzige wird von ihm vergiftet und dann untergeschoben in die volle Zigarettenschachtel. Irgendwann, so der Plan, wenn er selbst nicht damit rechnet, soll ihm diese den Garaus machen. Suizid durch russisches Roulette, wenn man so will. Doch die Gattin wittert, dass da etwas faul ist – nicht nur im Staate Dänemark, sondern auch unter den Tabakgenussprodukten. Und so entspinnt sich ein dramatisches Katz-und-Maus-Spiel um das Leben des Professoren, seiner Frau und die Nerven der Zuseher. Und das ist durchaus modern inszeniert. Anders nämlich als viele anderer ihrer Zunft zur damaligen Zeit scheute sich Germaine Dulac, die „Die Zigarette“ inszenierte, vor dramatisch überhöhten Gesten und Mimiken. Ihre Figuren wirken angenehm geerdet und werden von den Schauspielern, allen voran Gabriel Signoret als Pierre, mit einer stoischen Zurückhaltung gespielt, die das ganze Drama noch viel greifbarer macht. Hier wird nicht gehampelt und gehüpft, und auch Augen werden nur in wirklich nachvollziehbaren Fällen aufgerissen. Und damit wird das Spiel naturalistisch und authentisch. Auch die Story selbst weiß mit dem gelungenen Einsatz von Suspense und wirklich tollen Twists zu überzeugen. So ist der Film auch heute noch, 100 Jahren nach seiner Entstehung, ein Meisterwerk, das man sich als Film-Aficionado keinesfalls entgehen lassen sollte. Sofern man nicht einer militanten Nichtraucher-Lobby angehört.


8,5
von 10 Kürbissen