Kelly Reichardt

First Cow (2019)

Regie: Kelly Reichardt
Original-Titel: First Cow
Erscheinungsjahr: 2019
Genre: Drama, Western
IMDB-Link: First Cow


Kelly Reichardt macht langsame, handlungsarme Filme. Manchmal ist das unglaublich ermüdend (Night Moves). Manchmal auch richtig interessant und schön (Auf dem Weg nach Oregon). Man braucht aber jedenfalls Geduld und gutes Sitzfleisch. Ich glaube mittlerweile fast, dass das Festival-Format denkbar ungeeignet ist für ihre Filme, denn die sind nicht dazu gedacht, mal zwischendurch oder am Abend nach bereits drei Filmen davor konsumiert zu werden. Kelly Reichardt-Filme sind eigentlich Sonntagnachmittagsfilme, wenn Regentropfen die Fensterscheiben hinabrinnen, und langsam in der Nachbarschaft die Lichter angehen. Kurz: Wenn alles zur Ruhe kommt, dann entfalten Filme wie „First Cow“ wohl ihre volle Kraft. Darin wird die Geschichte zweier ungleicher Freunde im Oregon des vorigen Jahrhunderts erzählt: Der eine ein eher unglücklicher Koch und Bäcker (John Magaro), der andere ein chinesischer Abenteurer auf der Suche nach Gold (Orion Lee). Ein zufällige Begegnung im Wald schweißt die beiden zusammen. Als sie erfahren, dass der reiche Grundbesitzer (Toby Jones) eine Kuh angeschafft hat, die einzige in der Gegend, schmieden sie einen aberwitzigen Plan, um zu Reichtum zu kommen: Jede Nacht melken sie die Kuh des Grundbesitzers, um mit der Milch schmackhaftes Gebäck zu backen, das da draußen in der Wildnis weggeht wie die sprichwörtlichen warmen Semmeln. Dass das nicht ohne Folgen bleiben kann, versteht sich von selbst. „First Cow“ ist eine über die Suche nach Wohlstand, über das Schicksal, das man in die eigenen Hände nimmt, über Streben und Scheitern. Alles, was am Ende zählt, ist jedoch die Kameradschaft der beiden Männer, und so ist „First Cow“ vorrangig eben ein Film über Freundschaft. Keine einfache Kost, vor allem keine, die man eben mal schnell konsumieren kann, aber wenn man in der richtigen Verfassung dafür ist, eine sehr schöne Erfahrung.


7,0
von 10 Kürbissen

(Foto: (c) Viennale)

Wendy and Lucy (2008)

Regie: Kelly Reichardt
Original-Titel: Wendy and Lucy
Erscheinungsjahr: 2008
Genre: Drama
IMDB-Link: Wendy and Lucy


Wendy möchte nach Alaska, um dort nach Arbeit zu suchen. Sie hat nicht viel dabei – ein altes Auto, knapp über 500 Dollar und ihren geliebten Hund Lucy. Sie schläft im Auto oder bei jungen Obdachlosen neben den Bahngleisen. Und von Oregon ist der Weg noch weit. Als sich ihr Auto nicht mehr starten lässt und auch noch das Hundefutter ausgeht, trifft sie eine folgenschwere Entscheidung – nämlich ein paar Dosen Hundefutter unbezahlt aus dem örtlichen Supermarkt mitgehen zu lassen, was nicht unentdeckt bleibt. Von da an nimmt eine Kette unglücklicher Ereignisse ihren Lauf, deren primäres Unglück das Verschwinden von Lucy ist. Nur ein alter Wachmann hilft der jungen Frau, die ohne Auto, ohne Telefon, ohne Hund, nahezu pleite und obdachlos in diesem kleinen Kaff gestrandet ist. Aber auch er kann nicht zaubern, und das bisschen Mitgefühl, was er mitbringt, ist eigentlich das, was man als Mindestmaß unter Mitmenschen erwarten darf. Doch so funktioniert die Welt nun einmal nicht. „Wendy und Lucy“ ist ein – ganz im Stile Kelly Reichardts – ein sehr langsam und schonungslos erzähltes Sozialdrama, das allerdings ihre Hauptfigur nicht ausweidet. Die Kamera hält einfach drauf und folgt Wendy, ohne dazu einen Kommentar abgeben zu wollen. Dieser bleibt den Zusehern vorbehalten. Warum kam Wendy in diese prekäre Lage? Was ist mir ihrer Familie? (Aus einem kurzen Telefonat geht hervor, dass es zumindest eine Schwester gibt, die auf Wendy aber nicht gut zu sprechen ist bzw. von ihr genervt zu sein scheint.) Die Hintergründe bleiben im Verborgenen. Kelly Reichardt erklärt nichts – sie zeigt nur eine junge Frau, die an den Minimalanforderungen der Zivilisation scheitert. Und das ist schon Aussage genug. Dennoch: Ein bisschen mehr über die Hintergründe zu wissen, wäre vermutlich hilfreich gewesen, noch mehr in den Film und in Wendys Situation hineinzukippen. Aber das ist eben nicht Kelly Reichardts Stil, die sich selbst – so empfinde ich es – als Beobachterin und nicht als Erzählerin sieht.


7,0
von 10 Kürbissen

(Foto: Stadtkino Filmverleih)

Auf dem Weg nach Oregon (2010)

Regie: Kelly Reichardt
Original-Titel: Meek’s Cutoff
Erscheinungsjahr: 2010
Genre: Western
IMDB-Link: Meek’s Cutoff


Geduld und eine Portion Hartnäckigkeit zahlen sich manchmal aus. Nachdem ich mit meinen ersten beiden Filmen von Kelly Reichardt, die ich gesehen habe, der Öko-Thriller „Night Moves“ und der Episodenfilm „Certain Women“, so meine Probleme hatte, zündete nun der minimalistische Western „Meek’s Cutoff“ aus dem Jahr 2010 so richtig. Auch wenn der Film in seiner Langsamkeit und Handlungsarmut ganz eindeutig in Reichardt-Film ist, so überzeugt er durch eine unglaublich dichte Atmosphäre, getragen von der düsteren Musik von Jeff Grace (die gelegentlich an die Soundtracks von Jonny Greenwood erinnert) und der Kameraarbeit von Christopher Blauvelt, der im Format 4:3 einen eindrucksvollen Spagat zwischen Realismus (in der Nacht ist es nun mal finster, da sieht man nur Schemen) und fast schon meditativ-entrückt anmutenden Landschaftsaufnahmen hinlegt. Die Handlung selbst ist – wie immer bei Kelly Reichardt – sehr dürftig. Drei Familien von Siedlern versuchen, über den Oregon Trail nach Westen zu kommen. Sie verlassen sich dabei auf den Trapper Stephen Meek, der vorgibt, eine Abkürzung zu kennen, sie aber – offenbar aus Unwissenheit – ins Nirgendwo führt. Die Landschaft ist karg und trocken, das Wasser wird knapp. Da stoßen sie auf einen Indianer und entgegen Meeks Warnungen, er würde sie bei der ersten Gelegenheit berauben und nicht zögern, ihnen die Kehlen durchzuschneiden, verlassen sie sich auf diesen, um sie zurück aus der Einöde und zum Wasser zu führen. Die Stärke des Films liegt eindeutig darin, dass der Überlebenskampf völlig frei von überzogenen Dramen erzählt wird, ultrarealistisch gewissermaßen. Trotz seiner Langsamkeit und Stille und auch trotz des fehlenden Bezugs zu den Figuren, die völlig ohne Backstory rätselhaft bleiben, entwickelt „Meek’s Cutoff“ dabei einen erstaunlichen Sog. Weder das Woher noch das Wohin sind von Bedeutung. Die Figuren wirken in der landschaftlichen Einöde wie aus der Zeit gefallen. Sie sind gefühlt schon seit Ewigkeiten unterwegs und werden das auch für immer sein. Sie haben keine Vergangenheit und keine Zukunft. Und das kann ich durchaus nachvollziehen: Wenn es ums Überleben geht, gibt es keinen Raum mehr für die Vergangenheit, und die Zukunft ist ungewiss und diffus. Nur das Jetzt zählt. Das hat Kelly Reichardt eindrücklich eingefangen. Vielleicht wird’s ja doch noch etwas mit uns beiden.


7,5
von 10 Kürbissen

(Foto: Stadtkino Filmverleih)

Night Moves (2013)

Regie: Kelly Reichardt
Original-Titel: Night Moves
Erscheinungsjahr: 2013
Genre: Drama, Politfilm
IMDB-Link: Night Moves


Night Moves von Kelly Reichardt war mein erster Viennale-Film überhaupt. Für diesen Beginn im Jahr 2013 hätte es schlechtere Filme geben können, aber auch deutlich bessere. Die US-amerikanische Filmemacherin erzählt in diesem Politdrama auf eine für sie übliche langsame Art und Weise die Geschichte dreier junger Öko-Aktivisten (gespielt von Jesse Eisenberg, Dakota Fanning und Peter Sarsgaard), die einen Anschlag auf einen Staudamm durchführen. Am Tag danach erfahren sie, dass ihre nächtliche Aktion nicht folgenlos geblieben ist und müssen sich nun mit nagenden Gewissensbissen herumplagen. Das alles wird sehr ruhig erzählt. Die drei jungen Zukunftsgestalter fahren durch die Nacht, planen, sitzen herum, vergewissern sich noch einmal, dass sie das tatsächlich tun, und der eigentliche (terroristische) Akt wird nebenbei abgehandelt, als ginge es gar nicht darum. Die Geschichte plätschert vor sich hin und ist eher in den gequälten Gesichtszügen Jesse Eisenbergs zu erahnen als dass man sie tatsächlich auf der Leinwand oder dem Bildschirm verfolgen kann. Die Frage nach Schuld trotz guter Absichten drängt sich auf. Allerdings bleiben mir die Figuren aufgrund des distanzierten Blicks fremd und gleichgültig. Dass sie nicht unbedingt als Sympathieträger gezeichnet werden, hilft auch nicht wirklich. Insgesamt ein Film, den man sich ansehen kann, wenn er mal läuft, aber wenn man ihn auslässt, hat man auch nichts falsch gemacht.


5,5
von 10 Kürbissen

(Foto: Stadtkino)