Liebesfilm

Sterne unter der Stadt (2023)

Regie: Chris Raiber
Original-Titel: Sterne unter der Stadt
Erscheinungsjahr: 2023
Genre: Drama, Liebesfilm
IMDB-Link: Sterne unter der Stadt


Seien wir ehrlich: Viel Wienerischer als „Sterne unter der Stadt“ kann ein Film nicht sein. Es geht um schräge Typen, um glühende Perry Rhodan-Fans, die nach den Sternen greifen wollen, aber unter der Erde im Fundbüro arbeiten, es geht um U-Bahnen (okay, es ist „nur“ die U2, für das ungeschönte Wien-Feeling empfehle ich eine Fahrt mit der U6 zwischen Floridsdorf und Westbahnhof) und es geht natürlich um die Liebe und um den Tod. Fehlt eigentlich nur noch der Zentralfriedhof als Schauplatz, aber gut, man kann nicht alles haben. Aber eben fast alles. Und wenn dann noch Verena Altenberger, eine der Größten ihrer Zunft, die wir aktuell haben, den Film mit ihrem unprätentiösen Spiel veredelt, ist das grantelnde Wiener Herz schon so gut wie gewonnen. Beziehungsweise erst einmal das von Alexander (Thomas Prenn), der eigentlich geschworen hat, sich niemals zu verlieben, um nicht dem tragischen elterlichen Schicksal zu folgen. Aber erstens kommt es anders, und zweitens, als man denkt. Und so entwickelt sich eine zarte, ja, fast schon kitschige Romanze zwischen Gleis 1 und Gleis 2. Und kaum hat man es sich so richtig bequem gemacht im plüschigen Kinosessel und wohlwollend die „Amelie“-Vibes aufgenommen, kommt der Wienerische Hang zum Morbiden durch, und man plagt sich mit schweren Schicksalsschlägen herum. Was ist der Film nun? Mehr Liebesfilm oder mehr Drama? Nun, der Film hält gut die Waage. Wie es im Leben halt so ist: Es gibt gute Tage, und es gibt schlechte Tage. Und manchmal muss man springen, auch wenn man Angst hat. „Sterne unter der Stadt“ ist ein schöner, ein melancholischer, ein durch und durch kitschiger Film, der das Publikum wohl gespalten zurücklässt, aber manchmal muss ein bisschen Zuckerguss sein, manchmal müssen bunte Schmetterlinge durchs Zimmer flattern und Blicke eine tiefere Bedeutung entfalten, als sie das in der Realität tun. Manchmal braucht es den Blick der Träumer.


7,0 Kürbisse

(Foto: http://www.filmladen.at)

An einem schönen Morgen (2022)

Regie: Mia Hansen-Løve
Original-Titel: Un beau matin
Erscheinungsjahr: 2022
Genre: Drama, Liebesfilm
IMDB-Link: Un beau matin


Hach, die Franzosen. Gelingt es ihnen, ihre übliche Geschwätzigkeit in Liebesdramen abzulegen, kommen richtig feine, sensible Filme heraus. Wie „An einem schönen Morgen“ von Mia Hansen-Løve. Die renommierte Regisseurin schickt hier die hochgeschätzte Léa Seydoux auf eine emotionale Achterbahnfahrt. Die jung verwitwete Übersetzerin Sandra muss sich nicht nur um ihre Tochter, sondern auch um ihren neurogenerativ erkrankten Vater (Pascal Greggory) kümmern, der am sogenannten Benson-Syndrom leidet. Bei dieser teuflischen Erkrankung, die Alzheimer-Kranke befallen kann, kann das Sehvermögen nicht mehr richtig im Hirn verarbeitet werden. Die Folge sind Demenz und schlimme Seheinschränkungen, man vergisst, und man vergisst, zu sehen. Gerade in der Phase, als die Familie entscheiden muss, wie sie mit dem Vater weiterverfährt; der nicht mehr allein leben kann, tritt ein alter Freund wieder in ihr Leben. Dieser ist mäßig glücklich verheiratet, hat selbst einen jungen Sohn, und macht Sandra, die jegliche Hoffnung auf ein eigenes Liebesleben schon aufgegeben hat, sichtlich Avancen. Jede Teilgeschichte für sich gäbe in diesem Film schon mal ein hochemotionales, auf die Tränendrüse drückendes Drama ab. Hansen-Løve hingegen ist nicht daran interessiert, ihre Figuren dem Mitleid der Zuseher:innen auszusetzen. Stattdessen bringt sie ein feinfühliges Beziehungsdrama auf die Leinwand, das verschiedene Facetten der Liebe beleuchtet. Das ist große Kunst, wenngleich mit dem Risiko des Scheiterns behaftet, wenn nicht der Cast 1A abliefert. Doch mit Léa Seydoux und Pascal Greggory hat Mia Hansen-Løve zwei Zugpferde, die ihre schwierigen Aufgaben eindrucksvoll meistern. Ganz großes Gefühlskino – und das im besten Sinne ohne Kitsch und Tränendrücken.


7,5 Kürbisse

(Bildzitat: © Les Films Pelléas, Quelle http://www.imdb.com)

Eve und der letzte Gentleman (1999)

Regie: Hugh Wilson
Original-Titel: Blast from the Past
Erscheinungsjahr: 1999
Genre: Rom-Com, Liebesfilm
IMDB-Link: Blast from the Past


Ich bin halt ein alter Romantiker. Wenn ein junger Herr mit guten Manieren auftaucht, sagen wir mal, von Brendan Fraser gespielt, und er öffnet einer junger Dame wie Alicia Silverstone galant die Türen, dann freue ich mich einfach darüber, dass Werte wie Respekt und Anstand hochgehalten werden. Auch beim Porno warte ich immer darauf, dass am Ende geheiratet wird, aber ich sage euch: Dieses Genre ist sowas von enttäuschend! Also lieber bei der Rom-Com bleiben, und in diesem Genre ist „Eve und der letzte Gentleman“ ein durchaus gelungener Beitrag, der vielleicht ein wenig Patina angesetzt hat in den letzten 23 Jahren, aber hey, wer nicht? Allein die Story ist schon entzückend: Als ein Jet nach einem Unfall auf sein Haus knallt, geht der leicht neurotische Wissenschaftler Calvin Webber (Christopher Walken) mit seiner Ehefrau (Sissy Spacek) in den Luftschutzkeller, und weil er vom Jet nichts weiß, sondern glaubt, dass die Sowjets eine Atombombe über L.A. gezündet hätten, bleibt das Ehepaar 35 Jahre lang abgeschottet von der Außenwelt da unten. Als ihr Sohn Adam (eben Brendan Fraser) sozusagen das Licht der Welt erblickt, da er losgeschickt wird, um neue Vorräte zu kaufen, und auf die kesse Eve (Alicia Silverstone) stößt, wirkt er nicht nur wie aus der Zeit gefallen, sondern ist dies wortwörtlich. Wie gesagt, fast ein Vierteljahrhundert nach Erscheinen des Films wirken manche Gags schon etwas angestaubt, und doch hat der Film seine Momente und kann auch heute noch gut unterhalten, was auch an der gut aufgelegten Besetzung liegt. Gute Screwball-Komödien sterben eben nie aus.


6,5 Kürbisse

(Bildzitat: © 1999 New Line Cinema, Quelle http://www.imdb.com)

Clueless – Was sonst! (1995)

Regie: Amy Heckerling
Original-Titel: Clueless
Erscheinungsjahr: 1995
Genre: Komödie, Satire, Liebesfilm
IMDB-Link: Clueless


Es gibt Filme, die zünden nicht beim ersten Ansehen, sondern es braucht ein paar Durchläufe. Fand ich „Clueless“ als Teenager noch mäßig unterhaltsam, kann ich diese Perle erst jetzt im zarten Alter von 40 Jahren so richtig schätzen. Aber gut, als Teenager ist man sowieso erst mal anti, egal, worum es geht. Außer man ist so reich und gut behütet wie Cher (Alicia Silverstone), dann ist man auch cool ohne aufmüpfige Attitüde. Das Geldbörserl richtet es. Und so kann die liebe Cher den ganzen Tag lang mit ihrer besten Freundin Dionne shoppen oder den Neuzugang der Schule (die viel zu früh verstorbene Brittany Murphy) in die wichtigen Belange des Lebens einführen, nämlich die Frage, welches Shirt man mit welchem Rock kombiniert. Doch etwas nagt schon an der beliebten Cher: Während ihre Freundinnen schon in den Genuss sexueller Ekstase gekommen sind, ist sie selbst noch Jungfrau, Die Versuche, dies zu ändern, erweisen sich zunächst als wenig erfolgreich. Und auch ihr Irgendwie-Stiefbruder Josh (Paul Rudd, dieser Vampir, der im Jahr 2022 genauso aussieht wie 1995), der Sohn einer Frau, mit der Chers Vater kurz mal verheiratet war, trägt zu den dunklen Wolken an ihrem Himmel bei, weiß der smarte Weltverbesserer ihre tief liegenden Probleme nicht richtig zu würdigen. Auf den ersten Blick ist „Clueless – Was sonst!“ von Amy Heckerling eine überdrehte Teenager-Komödie über eine verzogene Göre. Tatsächlich ist der Film aber so viel mehr. Er ist saukomisch, temporeich erzählt und hat trotz aller Oberflächlichkeit sein Herz am rechten Fleck. Am Ende zählen halt nur die echten Gefühle, und die siegen immer über den Kommerz. Halleluja! Und jetzt mach‘ ich ’n Schuh.


7,5 Kürbisse

(Bildzitat: © 1995 Paramount HE. All rights reserved, Quelle http://www.imdb.com)

Ist das Leben nicht schön? (1946)

Regie: Frank Capra
Original-Titel: It’s a Wonderful Life
Erscheinungsjahr: 1946
Genre: Drama, Liebesfilm, Weihnachtsfilm
IMDB-Link: It’s a Wonderful Life


Weil sich der Geschäftsmann George Bailey (James Stewart) ausgerechnet an Heiligabend umbringen möchte, stellt ihm der Himmel einen Schutzengel (Henry Travers) zur Seite, um ihn von seinem Vorhaben abzuhalten, doch der noch recht unerfahrene Engel zweiter Klasse muss erst einmal ordentlich gebrieft werden. Also wird zunächst die Lebensgeschichte von George Bailey aufgerollt, der immer groß auf Reisen gehen wollte, doch das Leben hatte andere Pläne für ihn. „Ist das Leben nicht schön?“ von Frank Capra ist einer der Weihnachtsklassiker schlechthin. Fast die gesamte Handlung besteht aus einer langen Rückblende, in der aufgerollt wird, wie George Bailey an den Punkt gelangen konnte, dass er seinen Lebensmut verlor. Diese Lebensgeschichte zieht sich zuweilen etwas hin, hat aber auch ihre legendären und denkwürdigen Momente, wenn beispielsweise ein Tanz mit der angebeteten Mary (Donna Reed) unerwartet in einem Bad im Swimming Pool endet. Aus der Auswahl solcher Momente, guter wie schlechter, schält sich allmählich ein Lebenslauf heraus. Die eigentliche Stärke des Films liegt allerdings in seinem letzten Drittel, als Engel Clarence dem Todessehnsüchtigen zeigt, wie eine Welt aussehen würde, in der er nie geboren wurde. Natürlich ist das kitschig, doch das leidenschaftliche Spiel von James Stewart und der trockene Humor von Henry Travers erden die Geschichte. Das Happy End rührt tatsächlich sehr und führt dem Zuseher vor Augen, was der Geist der Weihnacht bedeutet. So ist „Ist das Leben nicht schön?“ zurecht ein Klassiker, der auch heute noch bewegt und Werte vermittelt, die sich gut in die aktuelle Zeit übertragen lassen. In diesem Sinne wünsche ich euch allen da draußen ein friedvolles Weihnachtsfest im Kreise eurer Liebsten!


7,5 Kürbisse

(Bildzitat: Quelle http://www.imdb.com)

Stars at Noon (2022)

Regie: Claire Denis
Original-Titel: Stars at Noon
Erscheinungsjahr: 2022
Genre: Drama, Liebesfilm, Krimi, Erotik
IMDB-Link: Stars at Noon


Trish ist eine junge, durchaus aufmüpfige und selbstbestimmte Journalistin, die während ihres Aufenthalts in der Militärdiktatur kritische Texte über das Regime verfasst hat, was die hiesige Obrigkeit nicht so leiwand findet. Kurzerhand hat man ihren Pass konfisziert und ihr sämtliche Dollars, die einzige Währung, mit der man im Land etwas erreichen kann, abgeknöpft. Kurz: Sie steckt in der Scheiße. Auch ihr widerwilliges Panscherl mit einem höheren Tier im Militär bringt sie nicht weiter. Als sie den charismatischen englischen Geschäftsmann Daniel kennenlernt, wittert sie einen Ausweg aus ihrer Situation, doch je mehr sie sich auf ihn einlässt, desto tiefer wird sie in einen Strudel von Gefühlen, Abhängigkeiten und politischen Verwicklungen hineingezogen. Denn verglichen mit Daniels Problemen sind die eigenen kaum der Rede wert. „Stars at Noon“ ist ein sperriger Film. Claire Denis, die den Roman von Denis Johnson von den 80ern in die heutige Pandemiezeit verlegt hat, erzählt die komplizierte und vielschichte Story eher indirekt und durch Aussparungen. Ihr Fokus liegt auf Trish und ihre zunehmende Verunsicherung, die durch die aufkeimenden Gefühle für Daniel verstärkt wird. Margaret Qualley spielt die sich immer mehr selbst verlierende Journalistin mit vollem Einsatz und scheut auch nicht vor der Menge an Nacktszenen zurück, die das Skript verlangt. Wären diese notwendig gewesen? Auf den ersten Blick vielleicht nicht unbedingt, doch spiegeln die Liebeszenen zwischen ihr und ihren Partnern die Beziehungen zu den Männern wider: Während sie den Sex mit dem Kommandanten ausdruckslos über sich ergehen lässt, ist das Betthupferl mit dem smarten Engländer voller Leidenschaft – sie ist zunehmend nicht mehr Herrin der Lage. Generell ist „Stars at Noon“ ein äußerst sinnlicher Film, also einer, der mit allen Sinnen spielt: Das schwüle Klima Mittelamerikas, in dem es abwechselnd wie aus Eimern schüttet oder die Sonne herunterbrennt, ist ebenfalls ein zentrales Element des Films. Fast vermeint man die Mischung. aus Schweiß und stickiger Luft riechen zu können. In der Trägheit der Mittagshitze werden auch die Bewegungen träge, die Geschichte kommt zunehmend ins Stocken, Fluchtversuche werden ungeplant und halbherzig ausgeführt. Für den Zuseher mag das zeitweise anstrengend sein, und doch entwickelt „Stars at Noon“ dadurch eine geheimnisvolle Sogwirkung. Alles fließt. Auch wenn die Lage aussichtslos scheint, so steuert die Geschichte dennoch auf ihr logisches Ende hin, es lässt sich einfach nicht verhindern.


7,0 Kürbisse

(Foto: (c) Viennale)

Other People’s Children (2022)

Regie: Rebecca Zlotowski
Original-Titel: Les enfants des autres
Erscheinungsjahr: 2022
Genre: Drama, Liebesfilm
IMDB-Link: Les enfants des autres


Rachel (Virginie Efira) ist Lehrerin, 40, unverheiratet und eigentlich ganz zufrieden mit ihrem Leben. Ihre Liaison mit dem Gitarrenlehrer und Automobiltechniker Ali (Roschdy Zem) läuft gut an – es deutet sich ein Wendepunkt an in ihrem Leben. Nun ist es so, dass Ali aus seiner früheren Beziehung eine entzückende, vier Jahre (nein, viereinhalb, das halbe Jahr ist wichtig, wie Rachel beim ersten Kennenlernen festhält) alte Tochter namens Leila hat. Patchwork-Familien sind ja heute kein großes Ding mehr, und mit der Zeit festigt sich das Beziehungsdreieck Rachel-Ali-Leila. Es könnte alles so einfach sein, ist es aber nicht – das wussten schon die Fantastischen Vier, und das weiß auch Regisseurin und Drehbuchautorin Rebecca Zlotowski. Denn Rachel fühlt, dass ihre Uhr tickt; das bestätigt auch der Gynäkologe (mit viel augenzwinkerndem Humor gespielt von Frederick Wiseman). Möchte Rachel noch eigene Kinder haben, sollte sie mal ein bisschen Gas geben. Der Mann wäre ja jetzt schon da, aber hat ein weiteres Kind in dieser Familie noch Platz? Wie fragil dieses Familiengebilde ist, erfährt Rachel immer wieder selbst am eigenen Leib, wenn beispielsweise Leila ihren Vater lautstark fragt, warum denn Rachel so oft bei ihnen wäre, sie solle doch mal wieder gehen. Es sind diese kleine Verletzungen, aus denen große Verunsicherungen entstehen, und Virginie Efira, eine Batzenschauspielerin, gelingt es, diese Verunsicherungen mit präzisem, einfühlsamem Spiel sichtbar werden zu lassen. Ihre Rachel ist eine erfolgreiche, gut aussehende, selbstbewusste Frau, die aber begreift, dass dies alles womöglich nicht ausreicht, um Herzenswünsche wahr werden zu lassen. In Efiras Gesicht spiegelt sich das Drama, das in ihrer Figur tobt – der Wunsch, den eigenen Bedürfnissen nachzukommen und die zunehmende Unsicherheit, ob dies gelingen kann, wird in Zaum gehalten von dem Versuch, sich die Würde zu bewahren und das Leben weiter positiv zu sehen. Das ist schon große Schauspielkunst. Da wir aber immer noch in einem französischen Film sitzen, geht alles mit Leichtigkeit vonstatten und wird von fröhlicher Musik untermalt. So sind sie halt, die Franzosen. Hätte man einen Ulrich Seidl auf die Thematik losgelassen, frage nicht – die Telefonseelsorge hätte nach der Sichtung Überstunden schieben müssen. Aber so kann man sich entspannt zurücklehnen in dem Wissen, dass es am Ende so etwas wie eine Katharsis gibt, wenn auch nur im Kleinen.


7,0 Kürbisse

(Foto: (c) Viennale)

Triangle of Sadness (2022)

Regie: Ruben Östlund
Original-Titel: Triangle of Sadness
Erscheinungsjahr: 2022
Genre: Komödie, Satire
IMDB-Link: Triangle of Sadness


Ruben Östlund ist schon ein Schlingel. Knallt er uns eine bitterböse Satire nach der anderen hin, nach dessen Sichtung wir uns eigentlich verschämt ins Bett verkriechen sollten, so grauslich ist das Bild, das aus dem Spiegel starrt, und was macht die Filmwelt? Überschüttet ihn mit Preisen, wie zuletzt in Cannes, sodass er einfach weitermacht mit diesen Grauslichkeiten. Gut, mit dem vielgefeierten The Square konnte ich wenig bis gar nichts anfangen, dafür mochte ich „Höhere Gewalt“ umso mehr. Wenn einer das Animalische unter der glattgebügelten Oberfläche des wohlhabenden Anstands hervorkratzen kann, dann Östlund. Und diese Meisterschaft zeigt er nun auch in seinem neuen Film, eine derbe Satire über Reich&Schön, die sich auf einer Luxusyacht zur Luxuskreuzfahrt versammeln. Dort fallen bald die Fassaden, wenn der Seegang zunimmt und die Lage außer Kontrolle gerät. Der Film ist in drei Episoden unterteilt: In der ersten sieht man einen Beziehungsstreit des jungen, modischen Paars Carl und Yaya (Harris Dickinson und die viel zu früh verstorbene Charlbi Dean), der sich an einer Restaurantrechnung entzündet und sich zu einer Abrechnung mit Geschlechterrollen auswächst, in der zweiten dann die besagte Kreuzfahrt auf dem Schiff des dauerbesoffenen Kapitäns Thomas (Woody Harrelson, der sichtlich Spaß daran hat, den Besoffenen zu spielen), und in der dritten Episode schließlich ist das Kind in den Brunnen gefallen, die Würde liegt im heißen Sand begraben und Rollen kehren sich um. Man kann Östlund vorwerfen, dass er in seinen 2,5 Stunden etwas zu sehr mäandert und die Geschichte ausfransen lässt, doch halte ich entgegen, dass jede Minute dieser 2,5 Stunden dank des beißenden Humors, der die Geschichte wie ein roter Faden durchzieht, unterhaltsam ist. Ja, es ist ein Blick von oben herab, den Östlund auf uns armen Würstchen wirft, die versuchen, uns in einer konfusen Welt in zwar tradierten, aber ständig neu verhandelten Rollen zurechtzufinden, aber wenn das Ding so fetzt wie hier, sei ihm verziehen. Immerhin erbarmt sich Östlund dahingehend, dass er eben die Extrareichen und Extraschönen in die Misere reiten lässt, was immerhin die Möglichkeit eröffnet, sich davon ein wenig zu distanzieren. Max Frisch, auch so einer, der ständig die Rollen, die wir im Leben spielen, hinterfragt hat, hätte wohl auch seine diebische Freude an dem Chaos gehabt. Allerdings sei noch gewarnt: Ein Saumagen kann nicht schaden, möchte man den Film sichten.


8,0 Kürbisse

(Bildzitat: Quelle http://www.imdb.com)

10 Dinge, die ich an dir hasse (1999)

Regie: Gil Junger
Original-Titel: 10 Things I Hate About You
Erscheinungsjahr: 1999
Genre: Komödie, Rom-Com, Liebesfilm
IMDB-Link: 10 Things I Hate About You


Es gibt Stoffe, die sind für die Ewigkeit gemacht. Der gute, alte William Shakepeare hat gleich eine ganze Reihe davon für die Nachwelt abgeliefert. Alle Verfilmungen von Shakespeare-Stoffen zu sehen, wäre eine Lebensaufgabe. Wie zeitlos die Geschichten sind, zeigt sich auch daran, dass die meisten Stoffe ohne Probleme in die heutige Zeit übertragen werden können und dort auch noch wunderbar funktionieren. Wie am Beispiel des Stücks „Der Widerspenstigen Zähmung“, das mit Julia Stiles und Heath Ledger in den Hauptrollen als „10 Dinge, die ich an dir hasse“ schlicht an eine amerikanische High School transferiert wurde. Wer aber fürchtet, dass hier nun Teenager altbackene Verse deklamieren (obwohl auch das funktionieren kann, wie beispielsweise Baz Luhrmanns „Romeo und Julia“ beweist), kann beruhigt sein – lediglich der Handlungsrahmen ist Shakespeare, der ganze Rest vom Typus „freche Teenie-Komödie der 90er“. Temporeich und mit viel Gespür für Witz und Timing inszeniert Gil Junger das zunächst monetär indizierte Werben des Slackers Patrick Verona um die feministische, auf Krawall gebürstete Anwaltstochter Kat, die wiederum Druck von ihrer jüngeren Schwester bekommt, denn die darf nicht zum Abschlussball, wenn die an amourösen Verwicklungen so gut wie gar nicht interessierte Kat nicht ebenfalls ein Date aufweisen kann. Natürlich rückt der geschäftliche Aspekt des Buhlens bald in den Hintergrund, schwebt aber wie ein Damoklesschwert über allen Beteiligten. „10 Dinge, die ich an dir hasse“ ist ein gutes Beispiel, wie man Figuren witzig und mit Marotten zeichnen kann, ohne sie der Lächerlichkeit preiszugeben. Man merkt den Respekt vor der Vorlage und vor den Protagonisten. Gleichzeitig schafft der Film es aber, etwas komplett Eigenständiges zu sein. Dazu haben Ledger und Stiles eine wirklich gute Chemie miteinander. Ein Film, der auch fast ein Vierteljahrhundert nach seinem Erscheinen nichts von seinem Unterhaltungswert eingebüßt hat.


7,5 Kürbisse

(Bildzitat: © 1999 – Touchstone Pictures, Quelle http://www.imdb.com)

Whatever Works – Liebe sich wer kann (2009)

Regie: Woody Allen
Original-Titel: Whatever Works
Erscheinungsjahr: 2009
Genre: Komödie, Liebesfilm
IMDB-Link: Whatever Works


Die Paraderolle von Woody Allen ist jene des leicht verbitterten, intellektuellen, zynischen, jüdischen New Yorkers. Nein, falsch. Woody Allen ist der leicht verbitterte, intellektuelle, zynische, jüdische New Yorker. Dass sich eine ganze Karriere darauf aufbauen lässt, philosophierend herumzugranteln, lässt das Wiener Herz höherschlagen. In „Whatever Works“ (kein Mensch weiß übrigens, welchen Mehrwert dieser dämliche deutsche Titelzusatz einbringen soll) reicht er den Staffelstab an Larry David weiter, der nun den leicht verbitterten, intellektuellen, zynischen, jüdischen New Yorker vulgo Woody Allen spielen darf. Und das passt ganz gut. Denn wenn man sich die Biographien von Larry David und Woody Allen mal ansieht, dann sind die beiden mehr als Brüder im Geiste. Sie könnten, überspitzt formuliert, zwei Facetten der gleichen Person sein. Ein Larry Allen quasi. Also ist es unterm Strich wurscht, wer von den beiden in diesem Film als Boris Yelnikoff vor der Kamera steht. Was nicht wurscht ist, ist die Besetzung der weiblichen Hauptrolle, jene des naiven Landeis aus den Südstaaten, die irgendwie in Boris‘ Wohnung angeschwemmt wird und eine ungewöhnliche Zuneigung für den älteren Fast-Nobelpreisträger und Beinahe-Suizidalen entwickelt. Evan Rachel Wood ist nämlich perfekt in der Rolle. Unschuldig, süß, naiv, diese Attribute verkörpert sie perfekt und setzt sie äußerst gelungen als Kontrast zu Larry Davids Misanthropie ein. Kaum zu glauben, dass die junge Dame im privaten Leben mal mit Marilyn Manson liiert war. Aber auch dort gilt: Whatever works. Was auch immer für euch funktioniert. Und da Woody Allen diese Prämisse wirklich konsequent durch seinen Film zieht und gleich mehreren Charakteren ihre Katharsis in der Liebe angedeihen lässt, ist ausgerechnet der Film mit dem größten grantelnden Kotzbrocken als Hauptfigur vielleicht sein entspanntester, positivster und optimistischster.


8,0 Kürbisse

(Bildzitat: Quelle http://www.imdb.com)