Luis Buñuel

Das goldene Zeitalter (1930)

Regie: Luis Buñuel
Original-Titel: L’Âge d’Or
Erscheinungsjahr: 1930
Genre: Drama, Experimentalfilm
IMDB-Link: L’Âge d’Or


Einige abgekämpfte Soldaten im Gebirge marschieren los ins nächste Gefecht, auch wenn sie verwundet sind und sich kaum auf den Beinen halten können. Priester halten auf den Felsen eine Zeremonie ab. Schiffe landen, in einer Prozession gelangen die Ankömmlinge zum Felsen mit den Priestern, die mittlerweile nur noch Skelette sind. In Rom tummelt sich der Verkehr, eine Kuh liegt im Schlafzimmer, die verliebte Frau leckt die Zehen einer Statue ab, Menschen hängen von Decken, sind blutüberströmt, ein Herzog feiert eine Orgie und erscheint als Jesus – willkommen in der surrealen Welt von Luis Buñuel. Die Bilder erzählen weniger eine Geschichte als dass sie Assoziationen wecken. Was im Kurzfilm „Ein andalusischer Hund“ noch sehr gut funktioniert hat, führt im Langfilmdebüt des visionären Mexikaners allerdings zu einem langatmigen Durcheinander, das viel Geduld erfordert. Die Konzentration ging mir beim Ansehen zwischendurch mal flöten. So gelungen ich auch den Anfang und das Ende fand, aber der Mittelteil hat seine Durchhänger. Und insgesamt ist es halt auch etwas unbefriedigend, sechzig Minuten lang Assoziationen aufzubauen. Eine Handlung wird zwar angedeutet, aber die ist neblig wie eine Raucherkabine ohne Dunstabzug. Man kommt fast unweigerlich an den Punkt, an dem man sich fragt: Und was soll das alles jetzt? Insofern kann ich empfehlen, lieber beim andalusischen Hund zu bleiben, das ist der stringentere und durch die Kürze auch besser verdauliche Film. Auch wenn die Kuh im Bett schon ein sehr amüsanter Anblick ist.


5,0 Kürbisse

(Bildzitat: © Constantin Film/BerghausWoebke/Gordon Timpen, Quelle http://www.imdb.com)

Ein andalusischer Hund (1929)

Regie: Luis Buñuel
Original-Titel: Un chien andalou
Erscheinungsjahr: 1929
Genre: Kurzfilm, Experimentalfilm
IMDB-Link: Un chien andalou


Wenn sich die beiden jungen Verrückten Luis Buñuel und Salvador Dalí zusammentun und ein bisschen zu viel Absinth tanken, werden schon mal Augen aufgeschlitzt und Ameisen krabbeln aus Händen heraus. „Ein andalusischer Hund“ ist ein Fiebertraum von einem surrealistischen Film, der das damals immer noch junge Medium Film auf ein nächstes Level gehoben hat. In gewisser Weise markiert der berühmte Schnitt durch das Auge das Ende der Unschuld des Kinos. Der Schock fuhr dem Publikum in die Glieder, und von diesem Zeitpunkt an musste man sich im Kino auf alles gefasst machen. „Ein andalusischer Hund“ ist aber mehr als diese frühe Szene, die jeder mit dem Film verbindet. Auch der Rest der Szenen, die nur lose zusammenhängen, erzeugen ein Gefühl der Unsicherheit, sind unbequem und damit auch aus heutiger Perspektive noch interessant. Einen roten Faden gibt es nicht wirklich, aber wir sind hier schließlich auch im Surrealismus unterwegs – da wären Struktur und Ordnung ein Affront. Dennoch wird mit der Zeit assoziativ ein Bild erzeugt – eines von Liebe und Leidenschaft, von der Befreiung aus einer toxischen Beziehung und einem Rückfall in alte Muster. Soweit jedenfalls meine Gedanken zum Film, und dieser ist so offen und unbestimmt gestaltet, dass jede/r andere, eigene Assoziationen mitnimmt, die immer höchst persönlich und individuell bleiben müssen. Das ist nichts für jeden Moment im Leben, aber wenn man in der richtigen Stimmung ist, beim Filmschauen aktiv mitzuarbeiten, ist „Ein andalusischer Hund“ eine spannende Angelegenheit.


7,0 Kürbisse

(Bildzitat: © Kino International, Quelle http://www.imdb.com)

Abgründe der Leidenschaft (1954)

Regie: Luis Buñuel
Original-Titel: Abismos de pasión
Erscheinungsjahr: 1954
Genre: Drama, Liebesfilm
IMDB-Link: Abismos de pasión


Drama, Baby, Drama! Buñuels Interpretation von Emily Brontës „Wuthering Heights“ ist alles Mögliche, nur nicht subtil. Buñuel nimmt den ohnehin schon dramatischen Stoff, versetzt ihn in die mexikanischen Berge und lässt dort glutäugige Schönheiten und stolze mexikanische Gutsbesitzer leidenschaftliche Wortgefechte austragen, an deren Ende immer jemand wutentbrannt oder schluchzend (oder beides gleichzeitig) aus dem Zimmer stürmt. Am Ende fließen nicht nur Tränen, sondern dickes, pulsierendes Herzblut. Natürlich macht sich Buñuel einen Riesenspaß aus der Geschichte, und sein „Abismos des Pasión“ ist vor allem ein satirischer, in allen Belangen überzeichneter Blick auf Menschen, die nur sich selbst lieben und egoistisch über alle Gefühle ihrer Mitmenschen trampeln, aber es hilft nicht unbedingt, dass einem dadurch wirklich ausnahmslos jeder Protagonist herzlich unsympathisch ist. Dass es Buñuel, der ja später durch surrealistische Überzeichnungen Unsterbliches geschaffen hat, auch subtiler kann, hat er mit seinem Meisterwerk Die Vergessenen von 1950 bewiesen. So bin ich ein bisschen im wigl wogl. Mag ich den Film? Nicht unbedingt. Finde ich ihn gut gemacht? Mit Abstrichen schon. Gegen Andrea Arnolds Version von Wuthering Heights kommt er nicht an, jener Film bleibt für mich weiterhin das Referenzwerk, was diese Geschichte betrifft. Aber ein interessanter, sehenswerter Beitrag zum Thema ist Buñuels Film trotzdem.


6,0
von 10 Kürbissen

Tagebuch einer Kammerzofe (1964)

Regie: Luis Buñuel
Original-Titel: Le Journal d’une femme de chambre
Erscheinungsjahr: 1964
Genre: Drama, Krimi, Satire
IMDB-Link: Le Journal d’une femme de chambre


„Tagebuch einer Kammerzofe“ nach Octave Mirbeaus gleichnamigen Roman wurde inszeniert von Luis Buñuel, einem Regisseur, der zu meinen absoluten Lieblingen gehört. Der Film datiert aus dem Jahr 1964 und ist einer der wenigen Filme Buñuels, die ohne surrealistische Elemente auskommen. Man kann aber dennoch nicht sagen, dass alles so ist, wie es scheint. Jeanne Moreau (herrlich unterkühlt) spielt eine Kammerzofe aus Paris, die eine neue Anstellung am Land findet. Sehr rasch wird klar, dass wirklich alle im Haushalt und in der unmittelbaren Nachbarschaft einen an der Waffel haben. Die Hausherrin ist eine pedantische Furie, ihr Ehemann ein Schwerenöter, der Vater pervers, der Kutscher ein sadistischer Faschist und der Nachbar ein streitbarer Spießbürger. Genüsslich zerlegt Buñuel einmal mehr die Bourgeoisie, wie er es auch in seinen Meisterwerken „Der diskrete Charme der Bourgeoisie“ oder „Das Gespenst der Freiheit“ in seinen letzten Filmen einige Jahre später auf die Spitze getrieben hat. Im Gegensatz zu der satirischen Leichtigkeit, die seine Spätwerke auszeichnet, schichtet Buñuel in diesem Film allerdings auch Facetten der Dunkelheit auf. Als nämlich noch ein kleines Mädchen im Wald vergewaltigt und ermordet wird, werden die letzten Abgründe freigelegt. Und auch die Kammerzofe, die anfangs noch die unbeteiligte Außenstehende ist, der man als Zuseher durch den Haushalt folgt, trifft einige seltsame Entscheidungen. Die Tatsache, dass einem am Ende wirklich gar niemand mehr von der bunten Riege der Charaktere sympathisch ist, machte es mir neben dem kühlen, distanzierten Blick auf die Geschehnisse schwer, mich wirklich in den Film hineinkippen zu lassen. Aber sehenswert ist er allemal.

 


7,0
von 10 Kürbissen

(Bildzitat: Quelle imdb.com)

Die Vergessenen (1950)

Regie Luis Buñuel
Original-Titel: Los Olvidados
Erscheinungsjahr: 1950
Genre: Drama, Krimi
IMDB-Link: Los Olvidados


„Los Olvidados“ gehört zu den mexikanischen Filmen von Luis Buñuel und war sicherlich ein Wegbereiter für sein weiteres Werk. Während seine surrealistischen Filme, vor allem sein Spätwerk, heute auch hierzulande noch gut im Gedächtnis verankert sind, ist „Los Olvidados – Die Vergessenen“, nun ja, gefühlt doch ein klein wenig in Vergessenheit geraten. Zu Unrecht allerdings. Buñuel erzählt die tragische und wirklichkeitsnahe Geschichte mexikanischer Jugendlicher, die wie streunende Hunde durch die Straßen von Mexiko Stadt ziehen und sich mit Gaunereien und Gewalt über Wasser halten. Die Eltern sind hilflos, ahnungslos oder einfach mit der Ernährung der Familie noch mehr überfordert als ihr Nachwuchs. Die zentrale Figur ist Pedro, der zu einer dieser Gangs gehört und als Zeuge eines Mords immer mehr in die Kriminalität gezogen wird. Eine Chance, die er unvermittelt bekommt, erweist sich als nicht nachhaltig, die Straße ruft ihn zurück, und in bitterer Konsequenz kommt es zum Äußersten. „Los Olvidados“ beruht auf wahren Begebenheiten und ist schonungslos erzählt. Buñuel schaut gerade dort ganz genau hin, wo sich Andere wegdrehen. Seine Jugendlichen sind keine Opferlämmer, sie sind das Produkt ihrer Umwelt. Sind sie schuldig oder unschuldig? Beides zugleich, würde ich sagen. Ich habe mich sehr an den großartigen „City of God“ von Fernando Meirelles erinnert gefühlt, die Parallelen sind unübersehbar. Natürlich ist „Los Olvidados“ vor allem technisch mittlerweile recht angestaubt, aber ein guter Film bleibt ein guter Film, und Vieles, was uns beim Ansehen das Herz zusammenziehen lässt, ist sicherlich auch heute noch in den Armenvierteln der Städte gang und gäbe.


8,0
von 10 Kürbissen