Lynne Ramsay

We Need to Talk About Kevin (2011)

Regie: Lynne Ramsay
Original-Titel: We Need to Talk About Kevin
Erscheinungsjahr: 2011
Genre: Thriller, Drama
IMDB-Link: We Need to Talk About Kevin


Kann es sein, dass Hollywood den Namen Kevin gerne mit sadistischen Satansbraten assoziiert? Macaulay Culkin durfte als Träger dieses Namens dämliche Einbrecher quälen, und auch Lynne Ramsays Kevin in „We Need to Talk About Kevin“ hat echt ungute Veranlagungen. Schon als Kind ist er entrückt und unzugänglich. Da kann sich die Mutter (Tilda Swinton) noch so sehr um den Aufbau einer echten Beziehung bemühen, doch fröhlich scheint das Kind nur in den Armen des Vaters (John C. Reilly) zu sein. Aber was soll man machen, wenn man als Mutter keine Bindung zum eigenen Kind findet? Man spielt Gefühle vor, und erntet Missgunst und Niederträchtigkeit. Dass das mal ein böses Ende nehmen wird, ist nicht nur vorgezeichnet, sondern gleich mit dem allerersten Bild des Filmes angedeutet und kurze Zeit später auch ausformuliert (allerdings auf die für Ramsay typisch indirekte Weise, die sie dann später in You Were Never Really Here perfektioniert hat). Denn eben jener Kevin massakriert als Teenager (gespielt von Ezra Miller) seine Mitschüler. Und Eva, die Mutter, muss damit leben – mit den Schuldgefühlen und dem Hass, der ihr von Seiten der Kleinstadtbewohner entgegenschlägt. Und der auch nachvollziehbar ist, befinden sich unter den Opfern von Kevins Wahnsinnstat ja die Töchter und Söhne dieser Kleinstadtfamilien. „We Need to Talk About Kevin“ ist ein unangenehmer, intensiver Film, der sich artifiziell anfühlt (so scheint der junge Kevin mit seinen dunklen Blicken fast das Kind des Leibhaftigen zu sein), aber mit diesen Mitteln der Verfremdung eine nachvollziehbare Seelenqual, nämlich jene der Mutter, beschreibt. Tilda Swinton ist (wieder einmal) überragend. Es gibt nichts, was diese Frau nicht spielen kann. Die eigentliche Offenbarung des Films ist aber die Leistung von Nachwuchsdarsteller Jasper Newell als junger Kevin. So ein Arschlochkind muss man erst mal spielen können.


7,5
von 10 Kürbissen

(Bildzitat: Quelle imdb.com)

A Beautiful Day (2017)

Regie: Lynne Ramsay
Original-Titel: You Were Never Really Here
Erscheinungsjahr: 2017
Genre: Thriller
IMDB-Link: You Were Never Really Here


Der müde Joe (Joaquin Phoenix) ist jener Mann, den man fürs Grobe herbeiruft. Der Mann ist ein Profi: Seine Waffen beschafft er sich einfach im Baumarkt. Und wenn er mal losgelassen wurde, hämmert er fröhlich auf alles ein, was sich ihm in den Weg stellt. Natürlich hat so einer wie Joe eine Vorgeschichte, doch die wird nur angedeutet. Häusliche Gewalt durch den Vater, traumatische Erlebnisse – immer wieder kommen in Flashbacks Bilder hoch, die aber keine eindeutige Antwort geben. Nun hat Joe einen neuen Auftrag: Er soll die Tochter des Gouverneurs finden, der sich gerade im Wahlkampf befindet und damit die Öffentlichkeit aus dem Spiel lassen möchte. Man vermutet, dass Nina einem Kindersexring in die Hände gefallen ist. Und so zieht Joe los, um den Schurken mal ein paar neue Gedanken in den Schädel zu hämmern und das Kind zu befreien. Doch dann kommt es doch etwas anders als erwartet, und plötzlich ist Joe persönlich involviert. Lynne Ramsay erzählt die Geschichte von „You Were Never Really Here“ (so der englische Originaltitel, der mit „A Beautiful Day“ einen neuen englischen Titel bekommen hat, weil wir uns im deutschsprachigen Raum so schwer tun mit Wörtern wie never und really und here) auf eine unerwartete, aber umso passendere Weise: Die Gewalt wird kaum explizit gezeigt, sondern man sieht lediglich die Auswirkungen dieser. Unterlegt vom grandiosen düsteren Soundtrack von Jonny Greenwood (was Musik betrifft, kann dieser Mann einfach alles) entsteht so eine Atmosphäre der vagen Andeutungen. Vieles bleibt unausgesprochen, aber man kann sich als Zuseher schon sein Bild zusammenreimen. Auch verzichtet Lynne Ramsay, ihren gebrochenen und ambivalenten Helden zu sehr in Stereotype verfallen zu lassen. Immer wieder überrascht die Figur durch sehr menschliche Handlungen in unerwarteten Situationen, und man weiß, dass da einer ist, der selbst zutiefst verwundet ist und eigentlich gar nicht so sein möchte, wie er ist. Joaquin Phoenix spielt Joe mit einer unglaublichen physischen Präsenz und liefert tatsächlich einen weiteren Meilenstein in seiner ohnehin schon eindrucksvollen Karriere hin. Ich wittere Oscar-Nominierungen im nächsten Jahr für Phoenix, das Drehbuch, die Musik und vielleicht sogar für Regie und Film.


8,0
von 10 Kürbissen