Susanna Nicchiarelli

Miss Marx (2020)

Regie: Susanna Nicchiarelli
Original-Titel: Miss Marx
Erscheinungsjahr: 2020
Genre: Drama, Biopic
IMDB-Link: Miss Marx


Punk ist nicht tot. Punk macht jetzt Biopics. Auf diese Idee kommt man jedenfalls, wenn man sich Susanna Nicchiarellis „Miss Marx“ ansieht. Nicchiarelli hat ja mit Nico, 1988 schon einen wertvollen Genrebeitrag geliefert. „Miss Marx“, die das Leben der jüngsten Tochter von Karl Marx nach dessen Tod beleuchtet, kommt da nicht ganz heran. Wie in „Nico, 1988“ weiß die Hauptdarstellerin, in diesem Fall Romola Garai, zwar zu überzeugen, und auch die punkigen Soundtrack-Einschübe lockern den Film einerseits auf und untermalen andererseits das Anderssein der Rebellin und Sozialistin, aber phasenweise mäandert der Film dann doch recht ziellos durch die Gegend. Allerdings wird er dabei nie langweilig oder banal – das muss man Nicchiarelli klar zu Gute halten. Nur verfranst sie sich manchmal zwischen den Themen „Eleonor Marx als sozialistische Kämpferin gegen die Ausbeutung“, „Eleonor Marx als Stütze in einer schwierigen Beziehung mit dem Künstler Edward, der mit Geld nicht umgehen kann“, „Eleonor Marx mit der Bürde des langen Schatten, die ihr Vater und enger Freund Friedrich Engels geworfen haben“ und „Eleonor Marx als liebevolle Tante, die aber immer wieder ihre familiären Beziehungen zurückstellt“. Nicchiarellis Eleonor Marx möchte alles sein und ist damit nichts wirklich. (Möglicherweise hatte Punk das gleiche Problem.) Ich denke, am Ende ist das dann auch genau die Aussage, die hängenbleiben soll und die das Ende nachvollziehbar macht. So gesehen wird das Ziel erreicht, ein wenig mehr Fokus hätte „Miss Marx“ aber dennoch gut getan und aus einem guten, sehenswerten Film einen großartigen machen können.


6,5 Kürbisse

(Foto: Filmladen Filmverleih)

Nico, 1988 (2017)

Regie: Susanna Nicchiarelli
Original-Titel: Nico, 1988
Erscheinungsjahr: 2017
Genre: Biopic, Musikfilm, Drama
IMDB-Link: Nico, 1988


Nico war ein Phänomen. Das erste deutsche Supermodel, Pop-Art-Ikone, Musikerin mit The Velvet Underground – ihr viel zu kurzes Leben hätte wohl mehr Biographien gefüllt als manche mehrere Hundert Jahre zurückgehende Familienchronik. 1988 kam sie bei einem Fahrradunfall auf Ibiza zu Tode. „Nico, 1988“ von Susanna Nicchiarelli steigt genau dort ein: Man sieht die Sängerin (überragend verkörpert von Trine Dyrholm, aber dazu gleich mehr) auf der Finca, sie nimmt das Fahrrad und verabschiedet sich von ihrem Sohn. Cut. Zwei Jahre davor ist Nico mit ihrer internationalen Band auf Europatournee. Diese hat ihr Manager Richard eingefädelt, der ebenfalls mit von der Partie ist und versucht, die exzentrische und schwer drogenabhängige Nico samt ihrer Begleitband bei Laune zu halten, sodass die Auftritte einigermaßen professionell über die Bühne gehen können. Zwar muss man kleinere Brötchen backen als früher (so sind alle in einem VW-Bus zusammengepfercht und mit der Qualität ihrer Tourneemusiker ist Nico nicht so ganz einverstanden), aber der Hauch von Mysterium und Nostalgie umweht die verschlossene Ausnahmekünstlerin Nico. Immer noch fasziniert sie die Menschen, die in ihren Bann geraten. Doch sie hat ein schweres Kreuz zu tragen – ihr Versagen als Mutter bei ihrem Sohn Ari. Und so ist diese Reise durch Europa mehr eine Reise zu sich selbst und der Versuch, inneren Frieden zu finden. „Nico, 1988“ ist ein klassisches Biopic, das aber dank seiner gewaltigen Hauptdarstellerin Trine Dyrholm deutlich über den Durchschnitt hinausragt. Trine Dyrholm spielt Nico nicht, sie wird zu Nico. Das geht so weit, dass sie die Songs selbst singt und man kaum einen Unterschied bemerkt. Auch der Rest des Casts weiß zu überzeugen, kommt aber mit Ausnahme von John Gordon Sinclair, der mit viel Herzenswärme den Manager Richard spielt, nicht wirklich über die Rolle als Stichwortgeber hinaus. Zu sehr ist alles auf Trine Dyrholm und ihre verletzliche und doch so stolze Nico konzentriert. In diesem Fall ist das aber in Ordnung, denn sie macht in ihrer fragilen Darstellung Nico zu einem Menschen, dem wir auf diese Weise tatsächlich näher kommen. Dazu gibt es jede Menge gute Musik und sehr starke Bilder. Vielleicht hätte man den Film noch ein bisschen straffen können, aber sei’s drum. „Nico, 1988“ ist einfach ein richtig guter Film.


7,5
von 10 Kürbissen

(Foto: Filmladen)