Viennale 2019

Motherless Brooklyn (2019)

Regie: Edward Norton
Original-Titel: Motherless Brooklyn
Erscheinungsjahr: 2019
Genre: Krimi
IMDB-Link: Motherless Brooklyn


Vorhang auf für den Überraschungsfilm der Viennale 2019. Gut, für 735 Personen im ausverkauften Gartenbaukino war der Film tatsächlich eine Überraschung, für eine jedoch nicht. Verneigt euch vor Frau V., langjährige cineastische Begleiterin des Kürbis eures Vertrauens, die mal wieder all ihre dubiosen Quellen angezapft hatte, um in detektivischer Präzisionsarbeit das Geheimnis um den diesjährigen Überraschungsfilm zu lüften. Der Ausruf der Freude, der durch das Kino schallte, als das Warner Bros-Logo zu sehen war, war genuin und durchaus angebracht. Aber wenn wir schon von detektivischer Arbeit sprechen, dann sind wir genau richtig und schon in Edward Nortons Regiearbeit „Motherless Brooklyn“ drin. Darin spielt Edward Norton himself (und ja, es ist verdammt schön, ihn wieder auf der großen Leinwand zu sehen) den vom Tourette-Syndrom geplagten Detektei-Angestellten Lionel Essrog, dessen Boss und Ziehvater Frank Minna (Bruce Willis, der offensichtlich nur noch Rollen spielt, die Frank oder John heißen) seine Nase in die Angelegenheit mächtiger Männer gesteckt hat. Kleiner Spoiler: Bruce Willis muss in diesem Film nicht lange arbeiten. Während sich Bruce nach dem Ende der Dreharbeiten also wieder dem Golfspiel widmen kann, hat Edward Nortons Lionel Essrog alle Hände voll zu tun, um herauszufinden, was zur Hölle sein Boss sich eingebrockt hat. In weiteren Nebenrollen: Unter anderem Alec Baldwin, der einen so markanten Hinterkopf hat, dass man ihn erkennt, bevor man zum ersten Mal sein Gesicht sieht, und Willem Dafoe, der derzeit echt gut im Geschäft ist. Was sich dann entspinnt, ist ein von vielen tourette’schen „If“s durchzogener Film Noir, der richtig gut aussieht, aber im Mittelteil zu langatmig erzählt wird und dann mit klischeehaften Wendungen aufweist, die man schon von Weitem kommen hat sehen. Das hätte besser sein können. Edward Nortons tolle, sympathische Performance, das gute Setting mit dem Film Noir-Flair und Thom Yorkes hinreißendes Gesäusel auf dem Soundtrack reißen den Film aber dann doch noch raus.


6,5
von 10 Kürbissen

Ich war zuhause, aber … (2019)

Regie: Angela Schanelec
Original-Titel: Ich war zuhause, aber …
Erscheinungsjahr: 2019
Genre: Drama
IMDB-Link: Ich war zuhause, aber …


Der silberne Bär in Berlin für die beste Regie. Die Kritiker überschlagen sich mit Lob. Es ist nur Gutes über Angela Schanelecs „Ich war zuhause, aber …“ zu lesen. Dementsprechend gespannt war ich auf die Sichtung dieses Films, zumal ich ja schon einige Filme von Schanelec gesehen habe – mal mit mehr Interesse, mal mit weniger. Leider funktioniert aber ausgerechnet nun das hochgelobte neue Werk für mich überhaupt, nicht, auch wenn ich seine unbestrittenen Qualitäten erkennen kann. Schanelec perfektioniert hierin ihre sehr eigentümliche Weise, sich filmisch mit der Welt auseinanderzusetzen. Da treffen autobiographische Bezüge auf die Form des Essays, da vermischen sich die Theatralik der Sprache mit der Alltagswelt. All das ist hier stringent und durchdacht – und trotzdem oder vielleicht gerade deswegen war „Ich war zuhause, aber …“ ein Film, den ich am liebsten vorzeitig verlassen hätte. Und ja, es liegt an mir, nicht am Film. Aber ich gehöre zu jenen Film-Aficionados, die ein Mindestmaß an Geschichte brauchen und eine Entwicklung, wie subtil auch immer, spüren möchten, um sich in einen Film hineinfallen zu lassen. Das verwehrt mir Angela Schanelec in ihrem neuesten Film komplett. So haben mich andere Werke wie Orly oder Marseille noch interessiert, da gab es Figuren, mit denen ich mitfühlen konnte, da gab es Figuren, bei denen ich unter der abweisenden Oberfläche so etwas wie ein inneres Verlangen nach Leben gespürt habe – in „Ich war zuhause, aber …“ jedoch sind die Figuren fast ausschließlich reduziert auf ihre Funktion als Projektionsflächen für Ideen rund um Sprache, Theater, Verlust und Verlustangst. Das ist mir persönlich zu wenig. Und so kann ich mich (leider) nicht in den allgemeinen Lobgesang einfügen. Ich war zuhause, aber hätte der Postbote geläutet mit der DVD von Schanelecs Film, ich hätte ihm nicht aufgemacht.


3,0
von 10 Kürbissen

(Foto: Viennale)

Fire Will Come (2019)

Regie: Oliver Laxe
Original-Titel: O Que Arde
Erscheinungsjahr: 2019
Genre: Drama
IMDB-Link: O Que Arde


Ein verurteilter Pyromane tritt nach seinem Gefängnisaufenthalt die Heimreise in sein galizisches Dorf an. Dort wird er zwar nicht mit offenen Armen empfangen, aber es ist okay, dass er wieder da ist. Langsam nähert er sich seiner alten Mutter wieder an, und auch die Nachbarn sind bemüht, ihn nicht links liegen zu lassen. Normalität kehrt ein, und in Oliver Laxes „O Que Arde“ folgen wir dieser Normalität, die unspektakulär ist und damit auch ein wenig banal und langatmig. Aber gut, so ist die Wirklichkeit nun mal. Doch dann bricht ein Feuer aus. Oliver Laxe hat mich mit seiner letzten Regiearbeit Mimosas schon sehr überzeugen können, also war ich gespannt auf sein neuestes Werk, das diesmal in seiner spanischen Heimat angesiedelt ist. Kameramann Mauro Herce fängt die wilde Landschaft Galiziens auch in eindrucksvollen Bildern ein. Was schon für „Mimosas“ gegolten hat, gilt auch hier: Filme von Oliver Laxe sehen eindrucksvoll aus. Die Substanz hinter den Bildern ist freilich ausbaufähig, zumindest in „O Que Arde“. Wenn man nicht konzentriert dabei bleibt, führt die Subtilität des Films vielleicht auch mal zu einem ungewollten Nickerchen. „O Que Arde“ ist ein Film, der die Mitarbeit der Zuseher erfordert. Denn die Geschichte entwickelt sich nur dann, wenn man sie in den sparsamen Bewegungen erkennen kann und die Leerstellen für sich selbst ausfüllt. Das kann manchmal durchaus animierend sein. „O Que Arde“ ist aber vielleicht den Tick zu subtil, zu langsam, um mich für diese Art von Mitarbeit begeistern zu können. Gut gespielt ist das Drama aber jedenfalls. Amador Arìas Mon als stoischer Pyromane Amador und Benedicta Sánchez als dessen Mutter machen ihre Sache sehr gut. Oliver Laxe hat in der Besetzung auf Laiendarsteller gesetzt – und das macht sich bezahlt. Denn ihre kargen Gesichter verkörpern das raue Leben am galizischen Land so gut, wie es kein professioneller Schauspieler könnte. Dennoch ist „O Que Arde“ im Vergleich zu „Mimosas“ eher eine Enttäuschung, wenngleich beileibe kein schlechter Film.


6,0
von 10 Kürbissen

(Foto: Viennale)

Der Leuchtturm (2019)

Regie: Robert Eggers
Original-Titel: The Lighthouse
Erscheinungsjahr: 2019
Genre: Horror, Drama, Fantasy
IMDB-Link: The Lighthouse


Liebe Leserinnen und Leser, verneigt euch vor Robert Pattinson! Ja, ihr habt richtig gelesen. Der Glitzervampir aus der Twilight-Reihe mit dem – laut Filmpartnerin Kristen Stewart – schlechten Mundgeruch. Aber gut, diesen wird ja mit Pfefferminz und Kaugummi gut los. Das Stigma des Glitzervampirs bleibt hingegen länger haften. In Robert Eggers‘ „Der Leuchtturm“ sollte er sich aber an der Seite von Willem Dafoe, der ohnehin über jeden Zweifel erhaben ist, freigespielt haben von derartigen Sünden der Vergangenheit. Dieser Film ist eine Offenbarung. Man stecke zwei bärtige Typen aus dem 19. Jahrhundert in einen Leuchtturm und lasse Wind, Wellen, Seemannslieder und wuchtige Verse in körnigem Schwarz-Weiß auf sie einprasseln. Die meiste Zeit über empfand ich den Film als brutale Tour de Force in die Finsternis der menschlichen Seele und als einen Ritt in den Wahnsinn – wobei lange Zeit nicht klar ist, wer von den beiden diesen Höllenritt nun tatsächlich antritt. Diese Ambiguität ist – neben den außergewöhnlich archaischen Bildern in fast quadratischem Format und dem grandiosen Schauspiel zweier ebenbürtiger Widersacher, die sich nichts schenken – die größte Stärke des Films. Und schon war ich geneigt, das Ganze als Ritt in den Wahnsinn abzutun, als der Film am Ende eine letzte Kapriole schlug und ich mit offenem Mund und einer wortwörtlichen Erleuchtung in den Kinosessel gedrückt wurde. „Der Leuchtturm“ ist ein Film, der sowohl die Urinstinkte als auch den Verstand gleichermaßen anspricht – und damit ein seltener Glücksfall. Dass er überhaupt funktionieren kann, liegt an einer überragenden Inszenierung und der schon erwähnten Schauspielkunst. Hätte hier nur ein Rädchen nicht gegriffen, wäre der Film in sich zusammengefallen. So steht er aber als festes Monument in der cineastischen Landschaft wie ein Leuchtturm in rauer See. Ein Film, der bleibt. Und vielleicht Robert Pattinsons endgültige Emanzipation vom Vampirschmafu.


8,5
von 10 Kürbissen

(Foto: A24 Films)

Frauenarzt Dr. Schäfer (1928)

Regie: Jacob und Luise Fleck
Original-Titel: Frauenarzt Dr. Schäfer
Erscheinungsjahr: 1928
Genre: Drama
IMDB-Link: Frauenarzt Dr. Schäfer


Die Viennale 2019 zeigt in einer eigenen Kinematographie Filme der deutschen Film-Pionierin Luise Fleck. Vieler ihrer Werke (die meisten davon gemeinsam mit ihrem Ehemann Jacob Fleck gedreht) galten lange Zeit als verschollen – so auch „Frauenarzt Dr. Schäfer“ aus dem Jahr 1928. In Kopenhagen wurde schließlich eine Kopie des Films gefunden, die daraufhin restauriert wurde und – abgesehen einiger Szenen, die das leichte Leben im Berlin der Roaring Twenties zeigen – nun so gezeigt werden kann, wie das Regie-Paar dies im Sinne hatte. In „Frauenarzt Dr. Schäfer“ werden Themen behandelt, die auch heute noch überraschend aktuell und dringlich wirken. Der progressive Frauenarzt Dr. Schäfer (Iván Petrovich) versucht, ein neues Gesetz durchzubringen, das Frauen erlaubt, bei ungewollter Schwangerschaft abtreiben zu dürfen. Ausgerechnet der Vater seiner Verlobten Evelyne (Evelyn Holt), Professor Klausen (Leopold Kramer), ist streng konservativ und damit gegen jegliche Gesetzesänderung in diese Richtung. Als seine Tochter aber Opfer einer Vergewaltigung durch den schurkischen Scharlatan Dr. Greber (ein junger Hans Albers) wird, stehen seine Anschauungen auf dem Prüfstand. Natürlich werden diese schweren Themen zeitgerecht bearbeitet und ein Happy End ist garantiert – so happy, wie ein solches Ende halt sein kann. Aber es überrascht, mit welcher Klarheit und Eindrücklichkeit Jacob und Luise Fleck diese schwere Kost mit (für damalige Zeit) großer Sprengkraft bearbeiten. Bei aller Liebe zur Leichtigkeit, die immer wieder mal durchschlägt, ist dieser Film erstaunlich direkt in seinen Aussagen und Positionierungen. Und es ist beschämend, dass der Film auch heute noch aktuell ist in vielen Teilen unserer Erde und bezogen auf viele Schichten unserer eigenen heimischen Bevölkerung. Man möchte meinen, dass wir 90 Jahre später als Gesellschaft deutlich weiter sind. Pustekuchen. Ein Glücksfall dieses Screenings war im Übrigen auch noch das Engagement des Elektro-Duos „Wien Diesel“, das für eine außergewöhnliche akustische Begleitung des Stummfilms sorge. Chapeau an die beiden Damen an den Knöpfen und Reglern, die den Spagat zwischen Tradition und Moderne sehr erfrischend hinbekamen und somit die Zeitlosigkeit des Films unterstrichen.


7,5
von 10 Kürbissen

(Foto: Filmarchiv Austria)

Knives and Skin (2019)

Regie: Jennifer Reeder
Original-Titel: Knives and Skin
Erscheinungsjahr: 2019
Genre: Thriller, Drama, Fantasy
IMDB-Link: Knives and Skin


Der Film beginnt damit, dass ein Teenager-Mädel von ihrem Boyfriend nächtens ins Gemüse an einen beschaulichen See gekarrt wird. Dort findet man rasch zueinander, doch auf das Drängen des jungen Beaus, der sichtlich mehr will, reagiert die junge Dame nicht so positiv. Das wiederum lässt der hormongesteuerte Heißsporn nicht auf sich sitzen. Er stößt das Mädchen weg, das sich den Kopf blutig schlägt, und rast panisch davon. Und das ist das letzte Mal, dass Carolyn Harper lebendig gesehen wurde. Was Jennifer Reeder in „Knives and Skin“ dann aus dieser Prämisse macht, ist außergewöhnlich. Denn sie wählt nicht die einfachen, naheliegenden Verarbeitungsmöglichkeiten im Rahmen eines Verlust-Dramas oder eines Thrillers, sondern sie mischt die Zutaten dieser Genres wild zusammen mit Coming of Age-Themen, mit Popkultur, Mystery-Elementen und 80er-Chic. Eine derart arg zusammengewürfelte Melange kann auch rasch schiefgehen, zumal es hier keine klar definierten Hauptfiguren gibt. Eine groß aufspielende Marika Engelhardt als Mutter der Vermissten, die die Tragödie nicht so recht wahrhaben, geschweige denn verarbeiten kann, ist vielleicht noch das emotionale Zentrum des Films. Aber Reeder geht es um andere Aspekte: Um Beziehungsgeflechte, um das alte Thema des Erwachsenwerdens, um Emanzipation und Liebe, um Lust, um das ständige Beobachtenwerden in der Kleinstadt. Und wie die Balance ins Wanken gerät, wenn von außen eine Tragödie in die fragilen Beziehungen getragen wird. Das alles ist recht plakativ und zuweilen schrill in Szene gesetzt – und das ist vielleicht nichts für jedermann oder jederfrau. Mir hat „Knives and Skin“ aber gefallen. Jennifer Reeder versucht mit dem Film, sehr eigene und persönliche Wege zu gehen, und auch wenn der Film zuweilen ein bisschen wirkt, als wären die einzelnen Teile darin interessant, während das große Ganze aber undifferenziert und vage bleibt, als wäre es nicht ganz zu Ende gedacht worden, so bin ich diese Reise sehr gerne mitgegangen.


7,0
von 10 Kürbissen

(Foto: Viennale)

Ein leichtes Mädchen (2019)

Regie: Rebecca Zlotowski
Original-Titel: Une fille facile
Erscheinungsjahr: 2019
Genre: Drama, Erotik
IMDB-Link: Une fille facile


Eine der offenen Fragen der Menschheit: Wieviel wiegt so ein leichtes Mädchen eigentlich? Rebecca Zlotowski gibt darauf in ihrem neuen Film auch keine Antwort. Immerhin ist ihr mit der Besetzung ein Coup gelungen, der dafür sorgt, dass der Film ins Gespräch kommt, auch wenn er keine Antworten auf die schwerwiegenden Fragen geben kann: Mit Zahia Dehar verpflichtete die Regisseurin jene junge Dame, die vor einigen Jahren als minderjährige Prostituierte mit ein paar französischen Fußball-Stars unter die Bettdecke gehüpft ist. Sie spielt nun jenes leichte Mädchen, das sich in Cannes von älteren Herren auf Luxusyachten aushalten lässt. Als Kontrapunkt: Newcomerin Mina Farid als 15jährige Kusine, die als Anhängsel der lebensfrohen jungen Frau einen Sommer lang ebenfalls die Luft von Reich & Schön schnuppern darf, während sie die Entscheidung, welche Richtung ihr Leben nehmen soll, auf die lange Bank schiebt. Wäre der Film von einem Mann gedreht worden, hätte der erste empörte Hinweis auf einen „male gaze“ in Anbetracht der Inszenierung von Frau Dehars üppiger Oberweite nicht lange auf sich warten lassen. Auch eine der Grundprämissen des Films, nämlich dass Freiheit und Luxus durch Sex erlangt werden (können), wäre wohl heftiger diskutiert worden. Und dann schrammt der Film auch noch knapp an einem Lolita-Revival vorbei, denn die 15jährige Naima entwickelt ein Interesse am etwa fünfzigjährigen Philippe (Benoit Magimel), dem Mitarbeiter des Lebemannes und Yacht-Besitzers Andres Monteiro (Nuno Lopes), der die schöne Kusine vernaschen darf und sie dafür mit viel Blingbling in Form von sündteuren Handtaschen und Uhren entlohnt. Wie gesagt, wäre der Film von einem fünfzigjährigen Mann gedreht worden, hätte man erotische Gelüste hinein interpretieren können (ob nun zurecht oder nicht). Da der Film aber von einer Frau geschrieben und inszeniert wurde, scheint sich diese Diskussion zu erübrigen. Das macht den Film schon mal per se interessant. Allerdings schützt es ihn nicht davor, in einige wirklich unangenehme Klischee-Fallen zu tappen. Die Handlung ist so vorhersehbar wie das Ergebnis, wenn man sich zwei Stunden lang ohne Sonnenschutz an den Strand der Cote d’Azur setzt. Man hat das Gefühl, den Film bereits bei der ersten Sichtung mitsprechen zu können. Zwei- oder dreimal gelingt es der Regisseurin, kurz aus den bekannten Mustern auszubrechen, aber das reicht nicht aus, um den Film wirklich sehenswert zu machen. Am Ende ist es eine 08/15-Story mit prallen Brüsten und hübschen Booten.


5,0
von 10 Kürbissen

(Foto: Viennale)

Nachmittag (2007)

Regie: Angela Schanelec
Original-Titel: Nachmittag
Erscheinungsjahr: 2007
Genre: Drama
IMDB-Link: Nachmittag


Noch einmal Angela Schanelec. Gleich im Anschluss zu ihrem Marseille zeigte die Viennale im Rahmen der Monografie den Film „Nachmittag“ aus dem Jahr 2007. Lose basierend auf Motiven von Tschechows „Die Möwe“ erzählt Schanelec von sechs Menschen, die in einem Ferienhaus am See voneinander wegdriften. Da wäre einmal die Theaterschauspielerin Irene, gespielt von Angela Schanelec selbst, die mit ihrem neuen Freund Max (Mark Waschke) ihren älteren Bruder Alex (Fritz Schediwy) besucht. Ihr Sohn Konstantin (Jirka Zett), ein Schriftsteller, wohnt bei ihm. Dazu kommt noch Konstantins Nachbarin und Freundin Agnes (Miriam Horwitz) und deren junge Schwester Mimmi (Agnes Schanelec), die irgendwie als Bindeglied zwischen den Figuren herhalten muss. Man trifft sich auf der Terrasse, schaut den im Wind wogenden Blättern zu und rezitiert Sätze, die so gestochen sind, dass selbst Tschechow Ewigkeiten an ihnen gefeilt hätte. Da ist sie wieder, die Schanelec’sche Lebensbühne. Anders als in „Marseille“ geht hier die Rechnung aber nicht auf. Denn eingesperrt in diesen kleinen Raum mit fast keinem Bewegungsradius und auch kaum einer Möglichkeit, Emotionen in die scharfkantigen Sätze zu legen, bemühen sich die Schauspielerinnen und Schauspieler zwar nach Kräften, das Werk am Laufen zu halten, werden aber vom Drehbuch erdrückt, das ein bisschen mehr sein will als es letztlich ist. Vielleicht gehen die Verletzungen, die sich die Figuren zufügen, einfach nicht tief genug, sind vielleicht zu banal, als dass der Film das Ende, auf das er letztlich zusteuert, rechtfertigen könnte.  Vielleicht liegt es auch daran, dass alle Figuren den gleichen Schwermut in sich tragen und somit undifferenziert bleiben. Auch wenn ich die künstlerische Intention hinter dem Film erkennen kann, ist „Nachmittag“ leider nur in seltenen Fällen interessant.


4,5
von 10 Kürbissen

(Foto: Viennale)

Marseille (2004)

Regie: Angela Schanelec
Original-Titel: Marseille
Erscheinungsjahr: 2004
Genre: Drama
IMDB-Link: Marseille


Die Berliner Schule. Zusammengefasst kann man die so beschreiben: Menschen gehen in Bars oder stehen am Fenster, schweigen sich minutenlang an, um dann einen höchst philosophischen Satz von sich zu geben, der von ihrem Gegenüber (in der Bar oder auf dem Nachbarbalkon) eine vielsagende Replik erfährt. Dann wird wieder geschwiegen, und gelegentlich rauscht der Wind durch die Blätter. Am Ende fährt jemand mit dem Auto. Angela Schanelec ist im besten wie im schlimmsten Sinne eine würdige Vertreterin dieser Filmströmung. Mal funktioniert das Konzept für mich (siehe Orly), mal nicht (siehe Mein langsames Leben). „Marseille“ aus dem Jahr 2004 gehört zu den Filmen, die mich interessiert haben und mein Interesse halten konnte, auch wenn 1,5 Stunden lang nichts passiert. Die Berliner Fotografin Sophie (Maren Eggert) fährt für zwei Wochen nach Marseille, weil sie mit einer Marseillerin die Wohnung getauscht hat. Sie trifft auf den charmanten Mechaniker Pierre (Alexis Loret) und spaziert durch die Stadt. Eine bloße Existenz ohne Verpflichtungen, aber auch ohne Antrieb. Schnitt. Zurück in Berlin schlägt sie sich mit dem Alltag herum, mit den Beziehungsproblemen ihrer besten Freundin (Marie-Lou Sellem) mit ihrem Freund (Devid Striesow). Der Alltag besteht aus Missverständnissen und Nichtigkeiten. Eine Sehnsucht schleicht sich auf leisen Füßen in die Szenerie. Und das wäre dann auch schon der ganze Film. Inszeniert ist das alles – wie für Schanelec üblich – in den Dialogen höchst artifiziell. Das Leben als Theater. Wenn man sich darauf einlassen kann, entdeckt man in den Zwischenräumen das, worauf Angela Schanelec (vielleicht) hinauswollte: Die Schwierigkeit, Kontakt zu anderen Menschen aufzunehmen und diesen zu halten, denn überall lauert das Missverständnis, die Nichtigkeit, der Alltag eben. Wenn man sich aber nicht darauf einlassen kann, wird so ein Film allerdings zu einer extrem mühsamen Angelegenheit.


6,0
von 10 Kürbissen

(Foto: Viennale)

Little Joe (2019)

Regie: Jessica Hausner
Original-Titel: Little Joe
Erscheinungsjahr: 2019
Genre: Thriller
IMDB-Link: Little Joe


Bleampal (= Blümchen auf Wienerisch) sind doch was Feines. Sie sehen hübsch aus, riechen gut und helfen manch stammelndem Liebenden, der daran scheitert, seine Gefühle auf die Zunge zu legen, auf einfache Weise aus der Patsche. In Jessica Hausners „Little Joe“ können sie sogar noch mehr: Ihre Botanikerin Alice (Emily Beechum) hat nämlich ein zartes Pflänzchen entwickelt, das durch den Ausstoß ihres Duftes die Menschen glücklich macht. Mit ihrem Kollegen Chris (Ben Whishaw) arbeitet sie daran, die neu gezüchtete Blume für die große Blumenmesse fertigzumachen. Währenddessen lassen die Blümchen ihres Chefs im Trog nebenan die Köpfe hängen. Und da sind wir schon mittendrin in den unerwarteten Nebenwirkungen, die eben auftreten können, wenn sich die Wissenschaft mal wieder was Tolles ausdenkt. Schlag nach bei Frankenstein, auf den von Jessica Hausner im anschließenden Q&A auch verwiesen wird. „Die Natur findet ihren Weg.“ Das wusste schon Jeff Goldblums Dr. Ian Malcolm. Es ist nun mal keine gute Idee, wenn man einem Lebewesen die Möglichkeit der Reproduktion verweigert. Darauf reagiert Mutter Natur sauer bzw. – wie in diesem Fall – mit kreativen Mitteln der Umgehung. Und so entspinnt sich allmählich ein langsamer Thriller, eine Mischung aus „Jurassic Park“ meets “Die Körperfresser kommen“, aber vegan und auf Beruhigungsmitteln. Die Kernfrage ist interessant: Was sind „echte“ Gefühle vs. „falsche“ Gefühle? Nur leider weist der Film Schwächen im Drehbuch auf, das zu viel erzählt bzw. erzählen lässt. Ein Film voller Ambivalenz, von einem Soundtrack, bei dem höchste Tinnitus-Gefahr herrscht, stimmig begleitet. Wenn doch nur das ganze Drehbuch so subtil gewesen wäre wie die Veränderungen, die im Film postuliert werden, dann hätte das ein großer Wurf werden können. Ganz reicht es dafür nicht aus, aber interessant ist der Film allemal.


6,0
von 10 Kürbissen

(Foto: Viennale)